Der heftige Absturz einer früheren Nummer 1
Tennis-Anhänger von heute kennen ihn bestens, mindestens sein Gesicht.
Mats Wilander, der heute 60 Jahre alt wird, ist eine der präsentesten TV-Persönlichkeiten seines Sports. Seit 2006 ist der Schwede als Experte bei der englischsprachigen Version von Eurosport bei fast allen Grand-Slam-Turnieren vor Ort, seine kundig-pointierten Analysen begleiteten die Karrieren von Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und jetzt Carlos Alcaraz und Alex Zverev.
Eher weniger vor Augen haben jüngere Fans, dass Wilander einst selbst der beste Tennisspieler der Welt war – dann aber im jungen Alter einen jähen und heftigen sportlichen Absturz hinlegte.
Legendäre Duelle mit Boris Becker
Der Stern von Wilander, geboren am 22. August 1964 in der schwedischen Kleinstadt Växjö, ging im Jahr 1982 ähnlich schnell auf wie drei Jahre später der von Boris Becker.
Als ungesetzter 17-Jähriger schaltete Wilander bei den French Open einen Favoriten nach dem anderen aus - und kürte sich nach Siegen über Ivan Lendl, Vitas Gerulaitis, José Luis Clerc und Guillermo Vilas zum damals jüngsten Grand-Slam-Turniersieger der Geschichte. (Vitas Gerulaitis: Der tragische Tod eines Tennis-Playboys)
Ein Jahr nach dem letzten großen Triumph von Wilanders Landsmann Björn Borg hatte Schweden völlig unerwartet einen neuen Tennis-Heroen – der zudem auch noch mit einer bemerkenswerten Fairplay-Geste Sympathien gewann: Er bestand nach einer umstrittenen Schiri-Entscheidung zu seinen Gunsten im Halbfinale gegen Clerc auf einer Wiederholung des Matchballs.
Wilander etablierte sich in der Weltspitze, gewann sechs weitere Grand-Slam-Turniere und mit Schweden dreimal den Davis Cup. Die drei großen Finalduelle mit dem deutschen Team um Becker (1985 unterlegen, 1988 und 89 siegreich) sind legendär.
Den persönlichen Zenit erreichte Wilander mit seiner Fabelsaison 1988: Im selben Jahr, in dem Steffi Graf den Golden Slam gewann, machte es Wilander nicht viel schlechter: Er siegte zum jeweils dritten Mal in Melbourne und in Paris und schließlich nach einer Fünf-Satz-Finalschlacht gegen Ivan Lendl auch zum ersten Mal bei den US Open.
Mats Wilander war 24 Jahre alt, die Nummer 1 der Welt und auf dem Gipfel. Danach aber klappte (fast) nichts mehr.
Ein unrühmliches Karriereende
Wilander scheiterte 1989 in der 2. Runde der Australian Open am Inder Ramesh Krishnan - und wie sich zeigte, war es kein Betriebsunfall, sondern der Beginn eines Niedergangs, aus dem Wilander keinen Ausweg fand.
Am Ende des Jahres hatte Wilander keinen Turniersieg auf dem Konto und war auf Platz 12 der Weltrangliste gefallen. Ein Jahr darauf war er auf Rang 41 gepurzelt. Ein letztes Turnier hatte er 1990 zwar nochmal gewonnen. Wilander selbst sagte im Nachhinein aber, dass er im brasilianischen Itaparica auch nur deshalb triumphiert hätte, weil die Konkurrenz auf dem malerischen Inselparadies zu viel gefeiert hätte.
Wilander war keine Naturgewalt wie Becker, kein Künstler wie McEnroe: Er war ein Allrounder, der nicht über die eine, entscheidende Waffe verfügte. Sein Erfolg beruhte auf Fleiß und Ehrgeiz – und er selbst gab zu, dass beides nachließ, als er ganz oben angekommen war.
„Ich musste jeden Gegner mit Taktik, Energie und hohem spielerischen Einsatz niederringen, ich musste immer dafür arbeiten“, blickte Wilander 2020 in einem Interview mit Ubitennis zurück: „Irgendwann fängt dein Kopf an zu sagen ‚Ich mag mich nicht mehr so in den Dreck werfen‘, dann beginnen die Niederlagen und der große Absturz.“ Dass 1989 auch Wilanders Vater schwer erkrankt und im Jahr darauf starb, trug dazu bei, dass Wilander den Fokus verlor.
Der einstige Spitzenspieler blieb noch bis 1996 aktiv, er hörte auf, nachdem ihn ein Jahr zuvor ein Drogenskandal in die Schlagzeilen brachte: Bei den French Open 1995 wurden bei einem Dopingtest Kokainspuren bei Wilander und Doppelpartner Karel Novacek gefunden. Wilander beteuerte, dass der Konsum versehentlich war, kam mit einer dreimonatigen Sperre davon.
Wilanders Platz in der Tennisgeschichte
Wilanders sportlicher Verfall im jungen Alter war nicht untypisch für seine Zeit: Auch Björn Borg fiel mit 26 in ein Motivationsloch und beendete deswegen früh seine Karriere, Rivale McEnroe gewann seinen letzten Grand-Slam-Titel mit 25 und erreichte nie mehr das Niveau seiner frühen Jahre. Auch Boris Becker gewann fünf seiner sechs Grand-Slam-Titel, bevor er 24 wurde.
Dass die Stars von damals meist nicht dieselbe Langlebigkeit hatten wie die von Federer, Nadal und Djokovic sehen Experten als Folge der damals anderen Bedingungen auf der Tour: Auch Spitzenspieler hatten damals nicht das große, kostspielige und hochprofessionalisierte Umfeld, das psychisch und physisch auch im fortgeschrittenen Alter alles aus ihnen herauskitzelte.
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Obwohl Wilanders sportliche Blüte verhältnismäßig kurz war, ist sein Vermächtnis groß: Bis heute ist er einer von nur sieben Spielern (Jimmy Connors, Andre Agassi, Nadal, Federer, Djokovic, Alcaraz), die Grand-Slam-Titel auf allen Beläge gewannen – die Australian Open 1983 und 1984 wurden auf Rasen ausgetragen.
Wilander, nach seiner Karriere auch als Trainer aktiv, lebt mit seiner Frau Sonya – ein früheres Model aus Südafrika – und den vier gemeinsamen Kindern auf einem Landgut im US-Skiresort Sun Valley in Idaho.