Als eine 18-Jährige Sport-Amerika erzürnte

Als eine 18-Jährige Sport-Amerika erzürnte
Als eine 18-Jährige Sport-Amerika erzürnte

Leichtathletik-Ikone Carl Lewis und die rumänische Turn-Legende Ecaterina Szabó holen vier Goldmedaillen. Hochspringerin Ulrike Meyfarth triumphiert zwölf Jahre nach München 1972 nochmal im Hochsprung. „Albatros“ Michael Groß schwingt sich zum Aushängeschild des deutschen Schwimmsports auf.

Die Olympischen Spiele von 1984 boten viele Geschichten, die Sport-Fans bis heute in Erinnerung sind. Die Traumfabrik Los Angeles - die auch 2028 wieder Olympia-Standort sein wird - bot die passende Kulisse für die ersten voll kommerzialisierten Konkurrenzen der olympischen Geschichte. Und die beliebten Motive der Dramen und Duelle, für Heldengeschichten und echte oder vermeintliche Schurkenstücke.

Hierzulande inzwischen eher in Vergessenheit, aber damals besonders großes Thema war ein Vorfall, indem sich praktisch alle der eben aufgeführten Zutaten vermischten: die Story von Mary Decker und Zola Budd.

Olympia 1984: Zweikampf zwischen Budd und Decker

Mary Decker (heute: Mary Slaney) war seinerzeit die beste Mittel- und Langstreckenläuferin der USA: Bei der WM 1983 in Helsinki war sie Siegerin über 1500 und 3000 Meter und wurde danach von Sports Illustrated zur Sportlerin des Jahres gekürt.

In das Großereignis in ihrer Heimat ging sie als Medien-Darling und Gold-Favoritin über die 3000 Meter, auf die sie sich konzentrierte. Sie erschien als sichere Wette auf die Heldinnenrolle, nicht zuletzt auch, weil der Boykott der kommunistischen Ostblock-Staaten das Feld der Rivalinnen lichtete.

Eine vielbeachtete Konkurrentin aber blieb - obwohl auch sie mit politischen Turbulenzen zu kämpfen hatte: Budd, das damals 18 Jahre junge Wunderkind aus Südafrika.

Die stets barfuß laufende Budd (heute: Zola Pieterse) wurde zu Beginn des Olympia-Jahrs weltberühmt, als sie bei einem Meeting in ihrer Heimat die Weltrekord-Zeit über 5000 Meter unterbot.

Aus politischen Gründen wurde der Rekord nicht offiziell anerkannt, weil Südafrika wegen der rassistischen Apartheid-Politik damals vom Weltverband IAAF boykottiert wurde. Budd hätte unter südafrikanischer Flagge damals auch nicht zu den Olympischen Spielen gedurft - beantragte aber rechtzeitig den britischen Pass, den ihr ihre Abstammung ermöglichte.

Die Einbürgerung der vielbeachteten Wunderläuferin wurde damals aktiv befeuert von einer Kampagne der englischen Boulevard-Zeitung Daily Mail, die auch auf Budds Vater einwirkte, seine Tochter zur Annahme der britischen Staatsbürgerschaft zu überreden. Dass die Formalitäten dann schnell gingen, sorgte schon vor dem Olympia-Start für Diskussionen.

Mit starken Vorbereitungsleistungen bereitete Budd die Bühne für die Inszenierung eines großen Zweikampfs. Die Weltjahresbeste Maricica Puica aus Rumänien - das den Ost-Boykott nicht mitmachte - ging in der medialen Betrachtung eher unter. Sie hatte keine so spektakuläre Geschichte.

So entwickelte sich das Drama

In Los Angeles ging es dann schon in den Vorläufen hoch her: Decker stellte im ersten Vorlauf einen olympischen Rekord auf. Puica unterbot ihn allerdings in ihrem Quali-Rennen gleich wieder.

Später spitzte sich dann aber doch alles auf das Duell zwischen Decker und Budd zu - allerdings auf eine Weise, die sich weder die amerikanischen noch die englischen Fans erhofft hatten.

Decker lief im Finale voraus, dicht gefolgt von Budd, dahinter lauerten Puica und Budds neue Landsfrau Wendy Sly. In der Mitte des Rennens zog Budd vorbei und setzte Decker damit unter Druck. Dann entwickelte sich das wilde Drama.

Lauf-Crash hat weitreichende Folgen

Beim Versuch, Budd wieder einzuholen, kam es mehrfach zu Körperkontakt zwischen den beiden. Budd kam zweimal ins Stolpern, beim dritten Mal kam es zu einer Kollision, nach der Decker mit der Hüfte auf den Boden aufprallte - sie schied aus und wurde von Diskuswerfer Richard Slaney, ihrem späteren Ehemann, von der Strecke getragen.

Budd, von den Geschehnissen auch mental sichtlich aus dem Tritt gebracht, fiel zurück und wurde am Ende nur Siebte. Puica holte sich den Sieg vor Sly.

Der folgenschwere Lauf-Crash schlug hohe Wellen: Decker warf Budd auf einer Pressekonferenz vor, sie behindert zu haben und schuld an ihrem geplatzten Gold-Traum zu sein. Budd wurde zwischenzeitlich disqualifiziert, nach einer nachträglichen Sichtung des Videos wurde sie aber wieder in die Ergebnisliste eingetragen - der Weltverband erkannte kein Fehlverhalten.

Budd wurde auch von dem nachträglichen Wirbel schwer mitgenommen, erhielt Morddrohungen, nach ihrer Rückkehr nach England wurde sie zeitweise unter Polizeischutz gestellt.

Die Frage, wer tatsächlich verantwortlich für den Sturz war, wurde noch jahrelang kontrovers diskutiert. Decker sprach sich 1985 mit Budd aus, blieb aber weiter bei ihrer Sicht der Dinge - Jahre später bewertete sie die Angelegenheit neu: Das Problem sei ihr eigener Mangel an Erfahrung in der Rennsituation mit einem dicht gedrängten Verfolgerfeld gewesen, findet sie inzwischen.

Den geplatzten Traum von Olympia-Gold konnten sich sowohl Budd als auch Decker - ab 1985: Slaney - auch im Nachhinein nicht mehr erfüllen.

Keine Olympia-Medaille für Ausnahme-Läuferinnen

Slaney war bei Olympia 1988 in Seoul zwar immer noch beste US-Läuferin, aber nicht mehr in Medaillennähe. Budd war zuvor in eine weitere Kontroverse geraten, als ihr vorgeworfen wurde, entgegen der damaligen Regeln in ihrem geächteten Heimatland angetreten zu sein.

Einer drohenden Sperre kam sie zuvor, indem sie erklärte, ihre internationale Karriere aufzugeben und in ihr Geburtsland zurückzukehren - der psychische Stress sei so sehr auf ihre Gesundheit geschlagen, dass sie sich nicht mehr zu Leistungssport in der Lage sähe.

1992, nach der politischen Befriedung Südafrikas durch die Freilassung Nelson Mandelas, trat Budd bei Olympia in Barcelona für ihr Heimatland an. Für eine Medaille reichte es nicht mehr.

Mary Slaney verlor spätes WM-Silber nach Doping-Skandal

Für einen weiteren Skandal blieb auch Mary Slaney in Erinnerung, die noch zum nächsten Heim-Olympia 1996 in Atlanta und darüber hinaus aktiv blieb.

Bei der Hallen-WM 1997 in Paris überraschte die damals 38 Jahre alte Slaney mit einem Silber-Gewinn über 1500 Meter. Kurz darauf aber kam heraus: Sie war schon vor Olympia 1996 wegen erhöhter Testosteron-Werte durch einen Doping-Test gefallen.

Slaney versuchte den Befund dadurch zu erklären, dass ihr Hormon-Haushalt durch ihr Alter und ihre Verhütungspille aus dem Gleichgewicht geraten war. Ein Schiedsgericht des IAAF erkannte ihr das WM-Silber aber letztlich ab.

Die inzwischen 66 Jahre alte Slaney lebt heute mit ihrem Mann auf einem großen Landgut in der Leichtathletik-Hochburg Eugene in Oregon. Die 58 Jahre alte Zola Pieterse, die mit Slaney für die 2016 veröffentlichte Film-Doku „The Fall“ ein Widersehen feierte, lebte nach ihrer olympischen Karriere auch lange in den USA und hielt sich dort mit zahlreichen Marathonläufen fit. Seit 2021 lebt sie wieder in ihrer Heimat.