Matthäus‘ sensationelles Comeback

Matthäus‘ sensationelles Comeback
Matthäus‘ sensationelles Comeback

Der Zeitpunkt schien ideal gewählt.

Ein Superstart in die Saison mit fünf Siegen, Oktoberfest-Beginn und dann noch ein schlagbarer Gegner - was sollte da schon schiefgehen? Also riskierten sie es.

Lothar Matthäus, der verlorene Sohn, kehrte nach vier Jahren und vier Monaten zurück in die Bundesliga und wieder zu seinem FC Bayern. Am 19. September 1992, heute vor 32 Jahren, gab er gegen Wattenscheid 09 sein Comeback. Es war das sensationellste der Bundesliga-Geschichte, vergleichbar vielleicht nur mit dem von Franz Beckenbauer, der 1980 aus New York kam und zu Bayern-Konkurrent HSV ging.

Matthäus aber kehrte zu dem Verein zurück, von dem er im Groll geschieden war.

Lothar Matthäus ging 1988 als Gescholtener

Als Matthäus 1988 ging, sah man ihn als Unvollendeten, als einen, der sich in den großen Spielen versteckte, etliche Mitspieler machten das auch öffentlich.

Nun aber war sein Standing ein ganz anderes: Bei Inter Mailand war er zum zweimaligen Weltfußballer (1990, 1991) avanciert, 1990 war er zudem als Kapitän Weltmeister geworden und genoss deshalb auch in Deutschland höchstens Ansehen.

Trotzdem ging es ihm schon besser als im Sommer 1992.

Matthäus fand 1992 beim FC Bayern neue Lage vor

Bei Inter brauchten ihn sie nicht mehr so wirklich, nach einem Kreuzbandriss verbrachte er fünf lange Monate allein im Krankenhaus und in der Reha und von Inter meldete sich kein Mensch bei ihm. Er fühlte sich nicht mehr gebraucht.

Da tat das Interesse der Bayern so gut wie ein frischer Luftzug in einem stickigen überfüllten Zugabteil. Außerdem waren die Bayern nicht mehr die Bayern, die er hinterlassen hatte. Der mit Matthäus hadernde Trainer Jupp Heynckes war seit einem Jahr weg, sein schärfster Kritiker Klaus Augenthaler hatte aufgehört und in der darauf folgenden Krise änderten sich die Strukturen beim Rekordmeister, der 1992 fast abgestiegen wäre.

„Bei einem 31-jährigen ist das Risiko schwer kalkulierbar und der FC Bayern wäre es kaum eingegangen, hätte er nicht im letzten Herbst zwei investitionsfreudige Herren als Vize-Präsidenten angestellt: Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge schaffen an, beide machen was her“, analysierte die Süddeutsche Zeitung Ende August 1992, als der Sensationstransfer ruchbar geworden war.

Kühler Empfang von Trainer Erich Ribbeck

Dass der Teamchef des Weltmeisters von 1990 bei Bayern nun mehr denn je zu sagen hatte, war für Matthäus‘ Entscheidung zweifellos von Vorteil. Geheimverhandlungen zwischen den Vorständen der Klubs folgten, während denen sich Matthäus mit Frau Lolita und ihrem Sohn auf eine Berghütte in Crans Montana zurückzog, um den Transfer nicht durch eine unbedachte Bemerkung gegenüber Reportern zu gefährden.

Obwohl eine Zeitschrift doch davon erfuhr und schon Mitte August den Plan publizierte, was Inter sehr verärgerte, kam der Wechsel zustande. Für auch für damalige Verhältnisse bescheidene vier Millionen D-Mark Ablöse kam Matthäus zurück - zunächst für zwei Jahre. Für die meisten Mitspieler war er ein Neuer und Mehmet Scholl freute sich: „Von dem kann ich was lernen.“ Die Begrüßung von Trainer Erich Ribbeck fiel etwas reservierter aus: „Lothar darf nicht den Fehler machen, zu meinen, dass er gleich der Denker und Lenker ist. Er benötigt sehr viel Hilfe von der Mannschaft.“

Dennoch waren die Erwartungen an den Weltmeister riesig, er lockte 51.000 Zuschauer ins Olympia-Stadion. Zumindest war es eine der höchsten Kulissen in der Historie der SG Wattenscheid 09.

Leroy Sanés Vater als Spielverderber

Das Fußball-Magazin Kicker hat das Matthäus-Comeback damals so exakt protokolliert wie einen Staatsbesuch. Man erfuhr dass Matthäus einen schwarzen Trainingsanzug mit weißen Turnschuhen kombinierte und 35 Meter vom Bus entfernt sein erstes Interview am Spieltag gab: „Auf der Anreise hatte ich schon ein Kribbeln im Bauch.“

In der Kabine saß er zwischen Thomas Helmer und Bruno Labbadia, um 15.01 Uhr betrat er den ihm so vertrauten Rasen, um 15.22 Uhr schoss er erstmals aufs Tor - in den Winkel. Leider war noch nicht angepfiffen. Matthäus spielte wie gehabt im Mittelfeld und bekam die Nummer drei, verkündete aber: „Ich glaube nicht, dass dies auf Dauer meine Nummer ist.“

Um 15.46 Uhr der erste Sonderbeifall nach einem Pass auf Scholl, um 16.10 Uhr endlich der erste Torjubel. Den entfachte allerdings Olaf Thon per Elfmeter, noch galten die alten Hierarchien. Aber Matthäus sagte hinterher: „Wenn Olaf mal verschießen sollte, melde ich mich vielleicht.“ Mit Sicherheit sogar. Um 16.41 Uhr gab ihm Schiedsrichter Michael Malbranc nach einem Foul die Gelbe Karte. Matthäus einsichtig: „Total berechtigt.“

Und dann kam das dicke Ende. Bayern versuchte den Sieg über die Zeit zu schaukeln, als Souleyman Sané, Vater des heutigen Bayern-Stars Leroy, in letzter Minute der Ausgleich glückte. Die Fans pfiffen, der Wiesn-Besuch der Mannschaft war verhagelt und Matthäus, der im Kicker eine 3 bekam, zog ein zwiespältiges Fazit: „Ich bin zufrieden, dass ich 90 Minuten durchgehalten habe. Entscheidend aber ist das Ergebnis, damit kann ich nicht zufrieden sein.“

Lothar Matthäus‘ zweite Ära: Erfolg und Nebengeräusche

Doch seine Vorgesetzten waren milde gestimmt. Manager Uli Hoeneß fand: „Lothar hat mehr gebracht als erwartet. „Für Trainer Ribbeck war es schlicht „sensationell, was er nach fünf Monaten Pause gebracht hat.“ Was hat er eigentlich gebracht? Auch das wurde protokolliert.

40 Pässe, davon 11 Fehlpässe, fünf von acht Zweikämpfen gewonnen, zwei Kopfbälle, kein Torschuss, je zwei Flanken und Ecken, ein Einwurf und - ein Hackentrick. Zweimal wurde er gefoult, zweimal foulte er selbst. Nichts Besonderes - eigentlich. Aber es kam ja noch einiges.

Matthäus spielte noch sieben Jahre länger, als es der erste Vertrag vorsah und verließ den FC Bayern im März 2000 - nach drei weiteren Meisterschaften und dem UEFA-Pokalsieg 1996.

Rein sportlich hat sich die Geheimaktion gelohnt. Aber es gab auch Nebengeräusche, die auch beim zweiten Matthäus-Engagement und danach die Verbindung belasteten - Stichworte: Tagebuch und Greenkeeper. Einige Kapitel der Comeback-Story hätten sich die Bayern, die in dieser Ära zum FC Hollywood wurden, gern erspart.