Ein Mythos für die Ewigkeit und sein trauriges Ende

Ein Mythos für die Ewigkeit und sein trauriges Ende
Ein Mythos für die Ewigkeit und sein trauriges Ende

100 Jahre ist seine berühmteste Errungenschaft inzwischen her - und was er vollbracht hat, ist so erstaunlich, dass sein Name immer noch ein Mythos ist.

Paavo Nurmi war der erfolgreichste männliche Olympia-Athlet des 20. Jahrhunderts, seine Bilanz von neun Gold- und drei Silber-Medaillen wurde bis heute nur von drei Sportlerinnen und Sportlern übertroffen: Michael Phelps (23-3-2), Larissa Latynina (9-5-4) und zuletzt Katie Ledecky (9-4-1).

Nurmi, der heute vor 51 Jahren starb, verblüffte aber nicht nur durch die Masse seiner Triumphe - es war vor allem die Art und Weise, mit der der finnische Läufer zu einem kaum verblassten Mythos der Leichtathletik geworden ist.

Paavo Nurmi schaffte bei Olympia in Paris Einmaliges

Bei den Sommerspielen 1924 - die ebenso wie die ein Jahrhundert später in Paris stattfanden - gewann Nurmi fünf Goldmedaillen, mit einer Dominanz, die die Zuschauer sprachlos zurückließ.

Den damals bei brutaler Hitze von angeblich bis zu 45 Grad ausgetragenen Cross-Country-Lauf gewann Nurmi mit eineinhalb Minuten Vorsprung, während 23 seiner 37 Konkurrenten aufgaben und teils kollabierten. Im Ziel sah der Finne nach der „Sonnenschlacht von Colombes“ laut Zeugenberichten aus, als hätte er einen lockeren Trab hinter sich gebracht.

Noch legendärer war zwei Tage vorher eine bis heute einzigartige Errungenschaft: Er gewann sowohl das Mittelstreckenrennen über 1500 und über 5000 Meter - am selben Tag.

Für Finnland so groß wie in der BRD das Wunder von Bern

Nurmi, am 13. Juni 1897 als Sohn eines Kleinbauern geboren und in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, war ein früher Superstar des olympischen Sports und ein Volksheld der damals jungen Nation Finnland.

Sieben Jahre nach der Loslösung von Russland im Revolutionsjahr 1917 spielten speziell Nurmis Triumphe von Paris für das finnische Selbstverständnis eine ähnliche Rolle wie 1954 das Wunder von Bern für die Nachkriegs-BRD. Seine Berühmtheit spiegelt sich auch darin wider, dass in Österreich der Ausdruck „I bin jo ned da Nurmi“ zum geflügelten Wort wurde, wenn jemand sich nicht hetzen lassen mochte.

Die Überlegenheit des „fliegenden Finnen“ basierte auf modernen Trainingsmethoden und hoher Selbstdisziplin. Zur Legendenbildung trug auch sein stilles, für viele mystisch wirkendes Naturell bei.

„Er läuft nicht gegen Menschen, er läuft gegen das Unsichtbare“

„Schweigend betrat er den Platz, schweigend lief er seine Runden und schweigend, fast scheu, verschwand er wieder in seiner Kabine“, beschrieb sein deutscher Konkurrent Otto Peltzer den Mann, den er als „Buddha zwischen den Kreidelinien“ charakterisierte.

Nurmi erschien wie eine Figur aus den Filmen seines nachgeborenen Landsmanns Aki Kaurismäki, auch sein distanziert wirkendes Verhältnis zur Konkurrenz passte ins Bild.

„Was mit ihm, um ihn und bald hinter ihm rennt, ist für ihn nicht Gegner, ist für ihn höchstens störend, weil er beim Überholen ausweichen muss“, schrieb der deutsche Sportjournalismus-Pionier Wilhelm Meisl, Augenzeuge der Nurmi-Show in Paris: „Nurmi läuft nicht gegen Menschen, er läuft gegen das Unheimliche, Unsichtbare, gegen die schemenhafte Zeit, die er mit sich trägt in seiner rechten Hand.“

In den letzten Lebensjahren schwer krank und verbittert

Nurmi, der seine weiteren Medaillen 1920 in Antwerpen und 1928 in Amsterdam gewann, durfte 1932 nicht zu den Spielen nach Los Angeles, weil er nach Auffassung des IOC seinen Amateurstatus durch die Annahme zu hoher Prämien verwirkt hatte.

Das Verhältnis zwischen Nurmi und den „Herren der Ringe“ war danach Jahrzehnte lang zerrüttet. Noch 1952, als die Legende Fackelläufer bei den Heimspielen in Helsinki war, soll das IOC verschnupft reagiert haben.

Auch Nurmi wurde Verbitterung über seinen unrühmlichen Karriere-Ausklang nachgesagt. In seinen späteren Lebensjahren erlitt er mehrere Herzinfarkte, eine halbseitige Lähmung und Depressionen.

„Ich habe in meinem Leben nichts geleistet“, soll er kurz vor seinem Tod gesagt haben. Bedrückt registrierte der damalige Staatspräsident Urho Kaleva Kekkonen in einem Nachruf, dass Nurmi „kein glücklicher Mensch“ gewesen sei.

Nurmi starb am 2. Oktober 1973 und wurde mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt. Er ruht in einem Familiengrab in seiner Geburtsstadt Turku, in Finnland. Sein gigantisches sportliches Vermächtnis wird bis heute weltweit geehrt.