Revolutioniert dieser deutsche Teenie eine ganze Sportart?

Revolutioniert dieser deutsche Teenie eine ganze Sportart?
Revolutioniert dieser deutsche Teenie eine ganze Sportart?

Wenn die deutsche Hammerwerferin Nova Kienast in den Ring steigt, dann scheint sich ihre Welt buchstäblich langsamer zu drehen. Es ist eine neurologische Gabe, von der sie profitiert, weil sie subjektiv mehr Zeit hat, um etwaige Fehler zu korrigieren.

„Ich nehme die Bewegungen während der Drehung langsamer wahr, als sie tatsächlich passieren“, schildert sie bei SPORT1. Dadurch hat sich die 17-Jährige bereits eine so stabile und ausgereifte Technik zugelegt, dass sogar ein Meistertrainer auf sie aufmerksam wurde - doch dazu später mehr.

Wenn sie mit ihrem aktuellen Coach Thomas Brack die Würfe am Monitor analysiert, ergäben sich riesige Diskrepanzen zwischen den Bildern, die sie sieht und ihrer subjektiven Wahrnehmung. „Im Video sehe ich den Wurf, der ungefähr zweieinhalb Sekunden dauert“, sagt sie: „Aber im Ring fühlt er sich deutlich länger an, eher wie zehn oder sogar 15 Sekunden.“

Dass sie das Schwingen des Hammers, die Drehungen und den Abwurf wie in Zeitlupe erlebt, ist kein ganz neues Phänomen im Sport. Im Tennis oder Baseball etwa können die Besten dadurch blitzschnell reagieren, um im letzten Augenblick den Schläger der Flugbahn des Balles anzupassen.

„Vor einer geplanten, schnellen Bewegung ist es entscheidend, diese Aktion noch in letzter Sekunde ändern oder stoppen zu können“, zitierte der Spiegel 2012 den japanischen Wissenschaftler Nobuhiro Hagura.

Das Gehirn verarbeitet Umweltreize in dieser Phase der Vorbereitung schneller – ein immenser Vorteil, der auch Kienast im Hammerwurfring zugutekommt.

„Sie hat das Gefühl für jeden Moment, wo gerade was passiert“

„Sie hat das Gefühl für jeden Moment, wo gerade was passiert. Im Umkehrschluss kann sie auch entsprechend agieren“, bestätigte Brack unlängst bei RBB24.

Der Coach achtet tunlichst darauf, dem heranwachsenden Körper seines Schützlings nur sehr dosiertes Krafttraining zuzumuten. Entsprechend deutet bei Kienast äußerlich nur wenig darauf hin, dass sie eine Disziplin der Leichtathletik ausübt, in der die Kraft eine entscheidende Rolle spielt. Die hochgewachsene, schlanke Teenagerin würde man aufgrund ihrer Konstitution eher im Stabhochsprung oder Siebenkampf verorten.

„Die Theorie, dass man ausschließlich durch Masse sehr weit werfen kann, ist ein bisschen überholt“, klärt Kienast auf. „Ich finde, dass man in den letzten Jahren immer mehr schlankere Körper im Hammerwurfring sieht. Ich glaube, das ist ein langsam voranschreitendes Phänomen.“

Ihr Coach sage immer, „dass er noch viele Pfeile im Köcher behalten will“, verrät sie. „Als mein Jugendtrainer wollte er, dass ich im Erwachsenenalter noch viele Fortschritte machen kann. Deswegen haben wir bislang kaum Krafttraining gemacht.“

Erfolgscoach holt Kienast nach Kanada

Umso erstaunlicher, dass Kienast den Hammer bereits jetzt auf Weiten schleudert, die man in ihrer Altersklasse nur sehr selten sieht. 72,17 Meter stehen mit der Drei-Kilo-Kugel zu Buche, im Sommer gewann sie bei der U18-EM in Banska Bystrica die Bronzemedaille. Ganz oben auf dem Treppchen stand dabei ihre Teamkollegin Clara Hegemann - gute Vorzeichen also, dass die lange deutsche Durststrecke, die 2016 nach dem Rücktritt von Betty Heidler begann, mittelfristig zu Ende geht.

Dass Kienast auch schon mit dem vier Kilo schweren Hammer aus dem Erwachsenenbereich umgehen kann, bewies sie unlängst bei der U20-WM in Lima, als sie mit 63,81 Meter auf Platz 5 landete - wohlgemerkt als 17-Jährige.

Auch ohne allzu breite Schultern hat sie damit schon mächtig Eindruck gemacht – so sehr, dass kein Geringerer als der kanadische Meistertrainer Dylan Armstrong auf sie aufmerksam wurde und sie nun in sein Trainingszentrum nach Kamloops (Provinz British Columbia) holt.

Im Trainingslager in Portugal habe Armstrong sie zum ersten Mal gesehen, erinnert sich Kienast – und es dauerte nicht lange, bis sie der Erfolgscoach, der den Kanadier Ethan Katzberg kürzlich in Paris zum Olympiatitel führte, ansprach.

Parallelen zu Olympiasieger Katzberg

„Danach hat er mir noch weitere Male beim Training zugeschaut und so hat es sich Stück für Stück entwickelt. Zuerst war geplant, dass ich nur ein paar Trainingslager in Kanada mache.“ Schließlich entschied man sich für einen permanenten Wechsel.

Armstrong sieht in der jungen deutschen Hammerwerferin Parallelen zu Olympiasieger Katzberg, was Voraussetzungen und Wurfstil angeht. „Weil ich lange Muskeln habe, kann ich dem Hammer in den Würfen Länge und somit Meter geben“, erklärt die Athletin des SV Preußen Berlin. „Zudem bin ich ziemlich schnell im Ring und meine Technik würde der von Ethan ähneln“, habe ihr Armstrong gesagt. Katzberg wechselte übrigens ebenfalls mit 17 Jahren zum Erfolgscoach nach Kamloops.

Ob auch Kienast irgendwann einmal die olympische Goldmedaille um den Hals gehängt wird, steht selbstredend noch in den Sternen - ebenso wie lange sie in den Genuss von Armstrongs Training kommt. In Kanada hat die Schülerin, die im kommenden Jahr ihr Abitur ablegen will, zunächst die Möglichkeit, online am Unterricht teilzunehmen. Wie lange das sein wird, ist noch offen.

„Wir haben die Vereinbarung getroffen, dass das von meinen Zwischennoten abhängig gemacht wird“, sagt sie. „Je nachdem, wie gut das funktioniert, bekomme ich die Möglichkeit noch länger zu bleiben.“

Am 23. September wird sich Nova Kienast jetzt erstmal in den Flieger setzen, um den möglicherweise entscheidenden Schliff in ihrer noch jungen Karriere zu erhalten. Im besten Fall wird sie eines Tages die deutsche Durststrecke im Hammerwurfring beenden - gefühlt natürlich in Zeitlupe.