Scholz weist FDP-Forderung nach Stopp des Akw-Rückbaus zurück
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die FDP-Forderung nach einem Stopp des Rückbaus abgeschalteter Atomkraftwerke zurückgewiesen. "Das Thema Kernkraft ist in Deutschland ein totes Pferd", sagte Scholz im Deutschlandfunk. Der Ausstieg sei gesetzlich erfolgt. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnte, eine Neuauflage der Atomdebatte hätte "nur neuen endlosen Streit" zur Folge. Die SPD-Energieexpertin Nina Scheer betonte, Investitionen in Atomenergie seien auch ökonomisch betrachtet "der falsche Weg".
Die FDP-Bundestagsfraktion hatte am Freitag auf ihrer Klausurtagung gefordert, auf den Rückbau der drei noch einsatzfähigen Atomkraftwerke vorerst zu verzichten. Scholz bekräftigte nun im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks: "Die Kernkraft ist zu Ende. Sie wird in Deutschland nicht mehr eingesetzt." Wer neue Kernkraftwerke bauen wollte, bräuchte dafür 15 Jahre und müsste 15 bis 20 Milliarden Euro pro Stück ausgeben.
Mit Blick auf die Haltung des Koalitionspartners FDP sagte Scholz, bei dem Thema brauche er "kein Machtwort" zu sprechen. "Die Fakten sind ja so, dass mit dem Ende der Nutzung der Atomkraft auch der Abbau begonnen hat."
Deutschland wolle "mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, mit einer auf Windkraft, auf Solarenergie, auf Wasserkraft, auf Biomasse gestützten Energieversorgung, Stromversorgung am Ende des Jahrzehnts 80 Prozent unseres Bedarfs decken und kurz danach sogar alles, was erforderlich ist", sagte Scholz.
Zu den jüngsten Forderungen von Wirtschaftsverbänden und Teilen der Ampel-Koalition nach einem Industriestrompreis sagte der Bundeskanzler, hier müsse Klartext gesprochen werden. Bei jeder Diskussion müsse gesagt werden, wo die benötigten Milliarden weggenommen werden sollten.
"Dass wir in einen Modus reinkommen, wo hundert Milliarden Schulden pro Jahr so ein ganz normales Ding sind, das - glaube ich - wäre kein guter Einfall", sagte Scholz. Es müsse ein Verständnis dafür geben, dass eine solche Verschuldung nicht zum Regelfall werden könne. "Jetzt aber müssen wir sehen, dass wir mit dem immerhin ja noch vielen Geld, das wir haben, ganz gut zurechtkommen", fügte er hinzu.
Scholz verteidigte zugleich die Beschlüsse der Bundesregierung zur Förderung und Entlastung der Wirtschaft. Die Maßnahmen zielten nicht einfach darauf ab, jemanden weniger Steuern zahlen zu lassen, sondern die Investitionstätigkeit anzuregen. "Das haben wir genau kalibriert", sagte der Kanzler.
Ansiedlungen internationaler und deutscher Chiphersteller straften alle Lügen, die jetzt sagten, in Deutschland werde nicht investiert, betonte Scholz. Günstigere Abschreibungsregeln und Möglichkeiten zum Verlustvortrag seien "genau der Impuls, den die Wirtschaft genau zu diesem Zeitpunkt braucht".
Das Bundeskabinett hatte am Mittwoch das sogenannte Wachstumschancengesetz beschlossen. Es sieht Entlastungen für die Wirtschaft im Volumen von gut sieben Milliarden Euro vor.
Die Wirtschaftsweise Grimm sagte den Funke-Zeitungen vom Sonntag mit Blick auf die Atomdebatte: "Angesichts der sehr polarisierten Diskussion in Deutschland zur Kernkraft gäbe es wohl nur neuen endlosen Streit, wenn man jetzt das Fass Neubau von Atomkraftwerken auch noch aufmacht." Das Land brauche "eine Reduktion von Unsicherheit und klare Rahmenbedingungen".
Zugleich nannte Grimm es einen Fehler, in der Energiekrise die Kernkraftwerke nicht noch drei oder vier Jahre länger laufen zu lassen: "Jeder Beitrag zur Senkung der Strompreise wäre aktuell von großem Nutzen."
Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Scheer, sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Es ist rückwärtsgewandt, Restrisiken, Folgekosten, Endlagerverantwortlichkeit sowie Kosten für Primärenergie aus der ökonomischen Betrachtung von Energiegewinnung auszublenden." Weltweit gebe es kein Atomkraftwerk, "das ohne staatliche Haftungsübernahmen in Betrieb ist".
Auch Folgelasten würden auf nachfolgende Generationen verlagert. "Investitionen in Atomenergie sind ein Minus an Investitionen in Erneuerbare Energien als günstigste und gerechteste Form der Energiegewinnung", so Scheer.
cha/smb