Ex-Ultra: „Eine Machtverschiebung im Fußball erst, wenn…“
Das Thema Ultras im Fußball wird heiß diskutiert. Doch sprechen wollen die Mitglieder aus der aktiven Fanszene selten. Die Medien und die Polizei sind ein rotes Tuch für Ultras.
Durch die Wahl von Kay Bernstein - ein ehemaliger Ultra - zum neuen Präsidenten von Hertha BSC hat das Thema neue Brisanz erhalten. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Der 41-Jährige war früher Vorsänger in der Kurve im Olympiastadion und wurde damals auch mal mit einem Stadionverbot belegt. Bernstein hatte einst die Ultra-Formation Harlekins gegründet. Mittlerweile besitzt Bernstein in Berlin eine Kommunikations- und Event-Agentur.
Sascha Kempf ist eingefleischter Fan des 1. FC Kaiserslautern und war rund zehn Jahre als Capo bei den Spielen der Roten Teufel dabei. In der aktiven Szene war er von 1999 bis 2019.
Ex-Ultra: Hertha-Wahl „großartige Geschichte“
Aus familiären Gründen stieg Kempf damals aus, hat seinen FCK aber nach wie vor fest im Herzen. „Durch die Geburt unserer zwei Kinder haben sich die Prioritäten im Leben verschoben“, sagt der 38-Jährige im Gespräch mit SPORT1.
Die Wahl von Bernstein zum neuen Hertha-Boss ist für Kempf eine „großartige Geschichte“, er freue sich sehr für ihn. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Gerät Bernstein jetzt nicht in einen Gewissens-Konflikt? „Da ich ihn persönlich nicht kenne, ist es schwer, mir hier ein Urteil zu bilden“, sagt Kempf. „Ich würde mal behaupten, dass sich mit dem nötigen Abstand von der Zeit in der aktiven Szene da kein Konflikt für ihn ergibt.
Er meint vielmehr: „Das Rad der Zeit wird im deutschen Fußball weitergedreht und als junger Unternehmer und eingefleischter Hertha-Fan weiß Bernstein ebenfalls, dass es im deutschen Fußball aller Interessensparteien innerhalb eines Vereins bedarf, um erfolgreich zu sein.“
Neue Herausforderung für Bernstein
Genau daraus ergebe sich für Bernstein auch die Chance, diese neue Herausforderung zur Zufriedenheit aller zu meistern.
Auf Bernstein würde „mit Sicherheit viel Arbeit warten“, glaubt Kempf. „Den Schulterschluss und ‚Frieden‘ zwischen den verschiedenen Interessensparteien innerhalb der Hertha wiederherzustellen und gleichzeitig ein guter, stets erreichbarer Chef für die Mitarbeiter der Geschäftsstelle zu sein, das stellt schon eine Mammut-Aufgabe dar.“
Eine Aufgabe, bei der Bernstein womöglich das einstige Ultra-Dasein sogar eine Hilfe sein kann?
Ultra zu sein, sagt Kempf, bedeute „den Verein sowie die Gruppe im Prinzip rund um die Uhr in sein Leben zu integrieren“ - was erst einmal nicht nach den schlechtesten Erfahrungswerten klingt.
Dennoch werden die Ultras in der Gesellschaft oft negativ gesehen. Das hat vor allem einen Grund, findet Kempf. „Der Umgang mit den Medien ist immer noch das größte Thema, die vielen positiven Dinge werden leider weiterhin zu wenig ins Rampenlicht gerückt“, kritisiert er. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Dies liege zum einen daran, „dass sich die Szene zu schlecht nach außen verkauft, beziehungsweise es nicht will, und zum anderen auch an der unterschiedlichen Berichterstattung der diversen Medien“.
Vorurteile gegen Ultras
Oft verbinden Kritiker mit dem Thema Ultras zwei Begriffe: Schlägereien und Pyrotechnik.
Auf der anderen Seite steht ein oftmals großes Engagement für soziale Projekte, die Planung und Umsetzung von Choreografien - und meist sind die Ultras eben auch maßgeblich für die Stimmung in den Stadien verantwortlich. (ÜBERSICHT: Die fixen Transfers aller Bundesliga-Klubs)
Negative Erlebnisse gab es für Kempf als Ultra nicht. „Ganz im Gegenteil. Durch den Fußball durfte ich viele Menschen kennenlernen, die mich auch bis heute noch begleiten. Das entschädigt die in der jüngsten Vergangenheit erlebten sportlichen sowie vereinspolitischen Rückschläge“, erzählt der Ex-Ultra.
Was in jüngerer Vergangenheit auffällt: Die Ultras wollen in ihren Vereinen immer mehr Mitspracherecht und Entscheidungsgewalt. Eine gefährliche Entwicklung?
Mitspracherecht und Entscheidungsgewalt
„Mitspracherecht und Entscheidungsgewalt durch die Ausübung einer Tätigkeit innerhalb eines Gremiums sehe ich überhaupt nicht als gefährlich an“, findet Kempf, „weil vor diesem Schritt je nach Position ein demokratischer Akt analog zur Wahl von Kay Bernstein bei Hertha liegt. Sprich, die Mitglieder haben entschieden.“
Es gebe „etliche“ Personen, die der aktiven Fan-Szene angehörten oder immer noch angehören, die ihre Arbeit in den Vereinen ausüben. „Da wäre mir bisher keine gefährliche Situation bekannt“, meint Kempf.
Selbst einen Posten wie Bernstein zu bekleiden, kann er sich nur schwer vorstellen - zumal es beim FCK kein klassisches Präsidenten-Amt gibt.
„Man muss als erstes die nötige Zeit mitbringen, um solch eine Stelle vollumfänglich ausüben zu können. Allein aus diesem Grund kann ich mir dies aufgrund meines Jobs und meiner Rolle als zweifacher Familienvater schlecht vorstellen“, sagt Kempf und schiebt lächelnd hinterher: „Aber man soll nie nie sagen. Ich bin ja noch jung.“
Glaubt er, dass es künftig Machtverschiebungen in den Klubs geben wird? „Geld regiert den Fußball. Das ist so und wir können die Entwicklung auch nicht mehr zurückdrehen. Eine echte Machtverschiebung im Fußball befürchte ich erst dann, wenn die 50+1-Regel kippen sollte.“