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Sportsender ohne Aufgabe: Entwöhnen wir uns vom TV-Sport?

Wie stemmen sich Sky, DAZN, Eurosport oder Sport1 gegen die Corona-Krise? Eventuell noch für viele Monate aussetzende Ligen und Wettbewerbe machen den Sportsendern schwer zu schaffen. Sie werden ihrer Existenzberechtigung beraubt. Entwöhnen sich die Zuschauer gar vom Fernsehsport?

Vielleicht muss man das Gute sehen: Niemals zuvor konnte man so viele Sportklassiker noch einmal in voller Länge erleben. Zum Beispiel Bayerns traumatische Champions League-Finalniederlage gegen ManU von 1999 (DAZN). Oder das legendäre US-Basketball-Dreamteam mit Michael Jordan und Magic Johnson 1992 beim Olympia-Endspiel in Barcelona (Eurosport). Und natürlich jeden Samstag eine "klassische" Bundesliga-Konferenz ab 15 Uhr bei Sky. Aber mal ehrlich - wie lange will man das? Hin und wieder haben Retro-Spiele, auf die wegen Corona ihres Live-Inhaltes beraubte Sportsender gegenwärtig setzen, durchaus ihren Charme. Vor allem dann, wenn sie - beispielsweise durch Zeitzeugen oder die Originalsprecher von damals - noch einmal neu kommentiert werden. Tolle Idee! Auf Dauer macht TV-Sport so allerdings keinen Sinn, dann das Geschehen lebt von der Spannung des Live-Moments. "Warum gehen die Leute ins Stadion", lautet einer der lakonischen Sprüche vom deutschen Weltmeister-Trainer Sepp Herberger. "Weil sie nicht wissen, wie's ausgeht", heißt die auch heute noch gültige Antwort.

Wie stellen sich die Sportsender Sky, DAZN, Eurosport und Sport1 der Corona-Krise? Eine Bestandsaufnahme - und ein Ausblick.

"Mein Nachbar der Weltmeister"

Wenn man ein "Formatgesicht" des Sports in Corona-Lockdownzeiten zeichnen müsste, es würde wohl in etwa so aussehen wie das von "Mein Nachbar der Weltmeister" auf DAZN. Da unterhalten sich Andreas Brehme, Fußballweltmeister von 1990, und DAZN-Moderator Sebastian Benesch, von Balkon zu Balkon. Zwischen ihnen liegen etwa zehn Meter städtische Hinterhofatmosphäre. Beide Männer könnten mal wieder einen Haarschnitt vertragen. Brehme ist mit einem Bademantel bekleidet, die Kaffeetasse in der Hand.

"Guten Morgen, Andreas", heißt es im täglichen Kurzformat, in dem der Weltmeister dem Moderator - sie sind tatsächlich Nachbarn, anders würde es ja auch keinen Corona-Sinn ergeben - ein paar Anekdoten aus seinem Leben erzählt. Das Ganze ist drollig, manchmal etwas hölzern, dann wieder charmant - und irgendwie ein Sinnbild für all das, was gegenwärtig fehlt.

Sender wie DAZN, Sky, Eurosport oder Sport1 leben in normalen Zeiten fast ausschließlich vom aktuellen Live-Sport beziehungsweise der Diskussion darüber. Seit Gründung dieser Sender lebten wir dank des niemals anhaltenden Profisport-Karussells immer in normalen Zeiten. Nun ist es anders geworden. Seit Wochen findet so gut wie kein aktueller Sport zum Anschauen mehr statt. Es sei denn, man sieht einem Freund beim Joggen oder Workout im Park zu. Wie reagieren die Sender auf die Krise? Nun, ziemlich ähnlich - kann man sagen. Angepasst an die jeweilige Rechtelage werden vor allem Konserven aus dem Keller geholt. Noch einmal anschauen kann man sich klassische Bundesliga-Konferenzen oder ausführliche Saison-Zusammenfassungen seines Vereins (Sky), legendäre Champions League-Matches (DAZN), eine alte Tour de France und Olympia-Highlights (Europort) aus Städten, deren Flamme längst erloschen ist oder auch E-Sport wie die "Bundesliga Home Challenge" auf Sport1.

Der fehlende Reiz der Gegenwart

Jene Konserven, die durchaus Charme besitzen können, unterscheiden sich, je nachdem, ob man sie mit dem Originalkommentar von damals zeigt, oder ob man das Geschehen von damals mit Zeitzeugen oder eben denselben Reportern von damals noch einmal neu reflektiert.

Neben Fulltime-Wiederholungen schlägt nun natürlich auch die Stunde der Dokumentations- oder Beitragsmacher, bei denen besondere Saisons oder Ereignisse zusammenfassend aufbereitet werden. Je nach Interesse oder Sportverrücktheit kann man so gegenwärtig viele gute Filme sehen: Vielleicht möchte man noch einmal die damals völlig überraschende Double-Saison des SV Werder Bremen der Saison 2003/04 oder die Rivalität zwischen den Bayern und dem Hamburger SV um die Vormachtstellung in deutschen Fußball um das Jahr 1980 noch einmal Revue passieren lassen. Beides findet sich bei DAZN, wie auch viele neue Sportler-Porträts. Der andere Bezahlanbieter SKY, momentan noch im Besitz der Bundesligarechte, hält ähnliche Angebote bereit.

Doch wie lange schauen die Menschen Nostalgie-Sportfernsehen, bevor man doch einer neuen, spannenden Serie bei Netflix, dem Angebot der öffentlich-rechtlichen Mediatheken oder noch mehr Nachrichtenfernsehen widmet? "Ich habe den Eindruck, dass man sich selbst als sehr sportbegeisterter Zuschauer mit der Zeit ein wenig vom Sport distanziert", sagt ein Sprecher eines der Sportsender, der aus naheliegenden Gründen anonym bleiben will.

Anders formuliert: Selbst hartgesottenen Sport-Junkies fällt irgendwann auf, dass bei alten Fußballspielen, Autorennen und Olympiaden so ein bisschen die Spannung der Gegenwart fehlt. Auf Nachfrage nach dem Ausmaß der Krise in Sachen Zuschauerverlust hielten sich alle vier angefragten Sender bedeckt. Sky, DAZN und Eurosport, hinter denen jeweils milliardenschwere, internationale Medienkonzerne stehen, veröffentlichen ohnehin sehr ungern konkrete Zahlen.

Vor allem die Existenz der Clubs steht auf dem Spiel

Einzig und allein der Free-TV-Sender Sport1, in Sachen Erstausstrahlungsrechte eher sparsam unterwegs, gibt der Krise eine konkrete Zahl: "Die Marktanteile in der Zielgruppe der Männer zwischen 14 und 49 Jahre", sagt ein Unternehmenssprecher, "bewegen sich ohne Live-Sport seit Mitte März um rund 35 Prozent unter den Marktanteilen im Zeitraum vor der Corona-Krise." Die Münchner, deren wohl bekanntestes Format der sonntäglich das deutsche Profi-Kicken reflektierende "Fußball-Stammtisch" ist, dessen kompletter Name ein Sponsor ziert, zeigt normalerweise Fußball, Motorsport, Eishockey, Basketball, Volleyball, Tennis, Darts und US-Sport als Live-Event oder - in stärkerem Maße - als Zweitverwerter-Zusammenfassung. Jene Sender, die vor allem von teuren Erstverwertungsrechten leben, dürften noch weitaus stärker vom Lockdown der großen Ligen und Sport-Events betroffen sein.

Irgendwann wird es jedoch wieder Live-Sport geben. Geisterspiele in der Fußball-Bundesliga oder auch internationalen Wettbewerben, die noch im Mai oder Juni starten sollen, werden längst diskutiert. Kaum jemand hat bislang die Saison abgebrochen und verloren gegeben. Natürlich, auch das wird passieren - so wie in den deutschen Volleyball-Ligen geschehen. Die meisten Sportarten und Ligen kämpfen allerdings noch um eine eventuelle Fortsetzung der laufenden Saison. Nicht selten steht die Existenz der Clubs auf dem Spiel.

Die Krise trifft keine armen Sender

Und die Sportsender? Hinter Sky steht seit 2018 Comcast, einer der größten Medienkonzerne der Welt. Man betreibt Kabelnetze, bietet Internet und Telefondienstleistungen an. Bekannte Marken wie NBC Universal oder AT&T gehören zum Portfolio. Das relativ neue Unternehmen DAZN wurde im Dezember 2018 auf rund drei Milliarden britischen Pfund geschätzt. Es gilt als eines der wenigen Tech-Unicorns des Vereinigten Königreichs. Hinter Eurosport steht seit einigen Jahren der ebenfalls nicht gerade kleine amerikanische Medienkonzern Discovery. Sport1 hingegen gehört zu weiten Teilen dem Schweizer Medienkonzern Highlight Communications AG, unter deren Fittiche auch die Constantin Film AG steht. Alles in allem trifft die Krise - vor allem bei jenen Sendern mit umfangreichen, teuren Erstrechten - keine Armen.

Dazu kommt, dass für Spiele und Sport-Wettbewerbe, die nicht stattfinden, gegenwärtig nichts oder deutlich weniger bezahlt wird. Es ist anzunehmen, dass die Sender der Krise trotzen und sie bis zu deren Ende aussitzen. Irgendwann wird dann alles wieder beim Alten sein, hofft man.

Und die Sportbegeisterung der Zuschauer? Sie wird zurückkehren und sich neu entfachen, sobald die Spannung der Live-Events wiederkehrt. Für den vollen Genuss via Bildschirm müssten allerdings auch wieder Zuschauer in den Stadien oder an den Strecken stehen. Das könnte vielleicht erst 2021 wieder der Fall sein. Ob Andreas Brehme noch so lange auf seinem Balkon Kaffee trinkt und Anekdoten erzählt? Man weiß es nicht.