Staatenlosigkeit – die wichtigsten Fragen und Antworten

Über 700.000 Menschen in Afrika sind staatenlos, in Indien leben 1,9 Millionen ohne Staatsbürgerschaft. Das Phänomen der Staatenlosigkeit gibt es schon seit Jahrzehnten, jetzt drängt es unter anderem aufgrund der Flüchtlingsthematik an die Oberfläche. Betroffen sind Einzelpersonen, aber auch ganze Volksgruppen, Initiativen von UNHCR sollen nun gegensteuern. Die wichtigsten Fakten zum Thema.

Einzelpersonen, aber auch ganze ethnische Gruppen sind von Staatenlosigkeit betroffen (Symbolbild: Getty Images)
Einzelpersonen, aber auch ganze ethnische Gruppen sind von Staatenlosigkeit betroffen (Symbolbild: Getty Images)

Fast zwei Millionen Menschen im Nordosten Indiens drohen, staatenlos zu werden, weil sie plötzlich als illegale Einwanderer gelten. Wie das passieren kann? Ganz einfach, durch eine Volkszählung, die im Sommer im indischen Bundesstaat Assam stattgefunden hat. Alle Bewohner waren aufgerufen, nachzuweisen, dass ihre Vorfahren vor 1971 ins Land gekommen waren. Das Ziel: festzustellen, wer tatsächlich Inder ist und wer womöglich illegal aus Bangladesch einreiste. Das Ergebnis: eine Liste, auf der von 33 Millionen Bewohnern ganze 1,9 Millionen fehlen. 1,9 Millionen Menschen, denen – wenn ihr Einspruch abgewiesen wird – die Staatenlosigkeit droht. Doch was bedeutet das genau, welchen Gefahren sind Staatenlose ausgesetzt und wie kann man seine Staatsbürgerschaft überhaupt verlieren?

Was bedeutet “staatenlos“?

Laut dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) ist staatenlos, “wer unter nationalen Gesetzen keine Staatsbürgerschaft eines Landes besitzt. Dies bedeutet, dass der rechtliche Bund, der normalerweise zwischen einer Regierung und einer Einzelperson geschlossen wird, nicht besteht.“ Ein Staatenloser wird von keinem Staat als Angehöriger angesehen, entsprechend fehlen ihm sowohl die Rechte und Pflichten, aber auch der Schutz eines Staates.

Statistik: Fast zwei Millionen Menschen im indischen Bundesstaat Assam droht Staatenlosigkeit

Wie wird man staatenlos?

Es ist von zahlreichen “Maßnahmen“ und “Versäumnissen“ die Rede, die laut UNHCR das Verlieren der Staatsbürgerschaft verursachen können. Diese können etwa politischer, staatlicher, rechtlicher, technischer oder administrativer Natur sein. So kann, wenn sich Gebietsgrenzen oder die Hoheitsgewalt eines Staates ändern, den Bürgern die Staatsbürgerschaft ihres früheren Staates aberkannt werden. Auch Missverständnisse, Versäumnisse bei Ämtern oder inkompatible Gesetze können dafür sorgen, dass eine Einzelperson staatenlos wird – zum Beispiel, wenn ein Neugeborenes nicht oder fehlerhaft registriert wird oder das Kind in einem Staat geboren wird, der die Staatsbürgerschaft ausschließlich nach dem Abstammungsprinzip vergibt, das Heimatland der Eltern diese aber nur bei Geburt auf seinem Hoheitsgebiet gewährt. Natürlich gibt es auch Menschen, die auf ihre Staatsbürgerschaft verzichten, ohne zuvor eine andere angenommen zu haben. Doch die Anzahl derer, denen die Staatsbürgerschaft von einer Regierung aberkannt wird, ist bedeutend größer.

Es gibt rund 2 Millionen Staatenlose in Indien (Bild: Getty Images)
Es gibt rund 2 Millionen Staatenlose in Indien (Bild: Getty Images)

Wie viele Staatenlose gibt es und wo gibt es besonders viele?

Nach neueren Untersuchungen geht die UNHCR von mindestens vier Millionen Staatenlosen weltweit aus. Zählungen wie im indischen Bundesstaat Assam sind selten, weil das Thema Staatenlosigkeit politisch sensibel ist. So sind rund 2 Millionen Staatenlose in Indien bzw. Asien zu verorten, in Afrika wird die Zahl auf rund 700.000 Menschen geschätzt. Bei Letzteren handelt es sich häufig um Einwanderer anderer afrikanischer Länder, die zum Zeitpunkt der Migration in den 1960ern aber nicht eingebürgert wurden, weil es in den damaligen Verfassungen dazu keine Regelungen gab. Zahlenmäßig unterlegen, aber dennoch nicht zu vergessen, sollten laut Plattformen wie Humanrights.ch die Staatenlosen in den rund 30 Staaten sein, die qua Gesetz Frauen die Staatsangehörigkeit entziehen, wenn sie einen Ausländer heiraten. Oft sind in der Folge auch deren Kinder staatenlos.

UNO: Alle zehn Minuten wird ein staatenloses Kind geboren

Welche Rechte haben Staatenlose?

Staatenlose sind aus rechtlicher Sicht besonders verletzlich, weil sie keine Staatsangehörigkeit besitzen und entsprechend nicht von einem Staat beschützt werden. Sie können viele Rechte des Landes, in dem sie eventuell schon seit Geburt leben, nicht wahrnehmen und erfahren Nachteile – beispielsweise was die Möglichkeiten zum Schulbesuch oder Themen wie Heirat, Eigentum oder Behandlung in Krankenhäusern angeht. Auch Klagen vor Gericht oder das Eröffnen eines Bankkontos kann laut Humanrights.ch schwierig sein. In verschiedenen internationalen und regionalen Abkommen seit den 1950er Jahren sind Richtlinien zur Rechtsstellung von Staatenlosen enthalten, doch laut UNHCR ist die internationale Unterstützung dieser Abkommen jedoch gering und bedarf dringend einer Stärkung.

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Was wird gegen Staatenlosigkeit getan?

Die UNHCR ist ein wichtiger Treiber gegen die Staatenlosigkeit. Von der Generalversammlung offiziell beauftragt, hat sich das Hochkommissariat der UN auf die Fahnen geschrieben, die Staatenlosigkeit zu bekämpfen. Mehr noch: Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, sagte erst im Oktober, dass die UN vorhabe, die Staatenlosigkeit von Menschen bis 2024 zu beenden. Seit 2014 ist das Kommissariat in einer groß angelegten Initiative mit zehn grundsätzlichen Aktionspunkten aktiv: Diese enthalten unter anderem die vereinfachte Einbürgerung von staatenlosen Migranten, die Sicherstellung von Geburtenregistrierungen und das Entfernen von geschlechtsspezifischer Diskriminierung aus Staatsangehörigkeitsgesetzen.

Einige Meilensteine sind dabei bereits erreicht: Laut Grandi erhielten in den vergangenen fünf Jahren 220.000 ehemals staatenlose Menschen eine Staatsbürgerschaft, Kirgistan ist das erste Land, in dem kein Mensch mehr von Staatenlosigkeit betroffen ist.

Info: Mit der #IBELONG-Kampagne will die UNHCR die Staatenlosigkeit bis 2024 beenden. Weitere Infos und der konkrete Aktionsplan der UN gibt es hier.

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