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Stadtbevölkerung 2020 erstmals nicht gewachsen

Wiesbaden (dpa) - Viele Jahre galt für Studien- und Berufsanfänger vom Land oder aus den Kleinstädten: raus aus dem Kinderzimmer ins Studentenwohnheim oder eine WG in einer Großstadt zum neuen Lebensabschnitt nach der Schule.

Die Corona-Pandemie hat allerdings im vergangenen Jahr alles ausgebremst. Angesichts digitaler Vorlesungen wurde der Umzug aufgeschoben. Auch sonstige beruflich bedingte Umzüge fielen geringer aus - in Zeiten von pandemiebedingter Kurzarbeit und ungewisser Zukunftsperspektiven sind Job- und Ortswechsel selten. Das zeigt sich auch in den Zahlen, die das Statistische Bundesamt am Donnerstag veröffentlichte: Sowohl bei Umzügen innerhalb Deutschlands - der sogenannten Binnenwanderung - als auch bei Zu- und Fortzügen aus dem beziehungsweise in das Ausland waren 2020 Rückgänge zu beobachten.

Städte wachsen nicht weiter

So lebten Ende vergangenen Jahres in Deutschland knapp 24,5 Millionen Menschen in kreisfreien Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Das waren rund 29,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Dabei setzte sich das seit 2011 festgestellte Wachstum der Stadtbevölkerung von 0,7 Prozent pro Jahr nicht fort. Im Corona-Jahr 2020 gab es im Bereich der Binnenwanderung rund 855.000 Zuzüge und 965 000 Fortzüge. Im Vorjahr waren es noch 933.000 Zuzüge gegenüber 993 000 Fortzügen gewesen.

Die Zahl der Zuzüge aus dem Ausland lag bei rund 452.000 und die Zahl der Fortzüge ins Ausland bei 361.000. Im Vorjahr verzeichneten die kreisfreien Großstädte den Angaben zufolge noch 620.000 Zuzüge und 472.000 Fortzüge. Die Nettozuwanderung aus dem Ausland sank damit von 148.000 im Jahr 2019 auf rund 91.000 im Jahr 2020. Auch im Bundesdurchschnitt ist die Nettozuwanderung aufgrund der Corona-Pandemie 2020 deutlich gesunken (-33 Prozent) – in kreisfreien Großstädten fiel der Rückgang jedoch mit 38 Prozent noch stärker aus.

Besonders deutlich fällt die Veränderung in gewissen Altersgruppen aus. So nahm bei der Binnenwanderung vor allem der Zuzug der 18- bis 22-Jährigen, also junger Erwachsener im typischen Alter von Ausbildung und Studienstart, in die Großstädte ab. Sind diese Zahlen der Pandemie geschuldet oder verliert das Stadtleben langfristig an Attraktivität - gerade im Zusammenhang mit der Veränderung der Arbeitswelten hin zu mehr mobilem Arbeiten?

Noch seien sich die Bevölkerungsforscher hier nicht einig, sagt der Stadtsoziologe Dieter Rink vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. «Wir gehen davon aus, dass der Zuzug in die Städte nicht mehr so stark sein wird.» Dazu zähle nicht nur die Erkenntnis, dass viele Beschäftigte ihre Arbeit aus dem Home Office genauso gut erledigen können wie aus dem städtischen Büro und ohne lange Pendelzeiten im Grünen wohnen könnten. Ein weiteres wichtiges Argument seien die hohen Miet- und Hauspreise in den Städten, so Rink. «Die Preise sind auch während der Pandemie gestiegen.» Das könnte auch in Zukunft ein Argument gegen die Stadt sein.

Städte für junge Leute attraktiv

Vor allem für junge Menschen blieben Städte jedoch weiterhin attraktiv, sagt Rink. «Die wollen ausgehen, das Freizeitangebot genießen, Gleichaltrige kennenlernen. Zehn, 15 Jahre später gibt es dann wieder andere Prioritäten.» Für junge Familien werde dann das Umland der Städte attraktiv, damit ihre Kinder mit viel Grün und sauberer Luft, sicher und verkehrsarm aufwachsen können. «Typischerweise sind es Familien und Paare, die ins Umfeld ziehen.» In den Großstädten sei hingegen eine starke «Versingelung» mit einem hohen Anteil von Ein-Personen-Haushalten bemerkbar.

Bei der Frage, ob es sich bei 2020 damit um ein Ausnahmejahr handelt und die kreisfreien Großstädte zukünftig wieder wachsen werden, sind auch demografische Aspekte zu berücksichtigen, so das Statistische Bundesamt. Durch den demografischen Wandel wird die Gruppe der 18- bis 22-Jährigen, die am stärksten in die Städte ziehen, immer kleiner. Im Jahr 2020 nahm die Zahl der jungen Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren um 261.000 ab - während die Bevölkerung insgesamt nahezu konstant blieb. Angesichts des demografischen Wandels dürfte für das Bevölkerungswachstum der Großstädte vor allem die Frage entscheidend sein, wie sich die Zuwanderung aus dem Ausland in den kommenden Jahren entwickelt.