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Das steckt hinter Cenas bizarrer Mania-Demontage

Es war das vielleicht bizarrste WWE-Match aller Zeiten. Und eine furiose Neubelebung der Horror-Figur The Fiend - auf Kosten des langjährigen Topstars der Liga.

Bei WrestleMania 36 durfte sich das maskierte Alter Ego von Bray Wyatt für die umstrittene Niederlage gegen Altstar Bill Goldberg in Saudi-Arabien rehabilitieren: in einem "Firefly Funhouse Match" besiegte der Fiend John Cena. Und wie!

In einer surrealen Inszenierung, in der WWE das Beste aus der durch Corona erzwungenen Geister-WrestleMania machte, unterstrich Wyatt seinen Ruf als einer der intelligentesten Unterhalter der Showkampf-Geschichte.

Wyatt entführte Cena in dem als gruseligen Psycho-Trip konzipierten Clip auf eine Reise in die WWE-Vergangenheit - voller Insider-Anspielungen auf die Karriere-Geschichte von Cena und Wyatt und mit einigen Seitenhieben auf WWE-Boss Vince McMahon und auch Wrestling-Überfigur Hulk Hogan.

SPORT1 erklärt das denkwürdige Match - und entschlüsselt die Botschaften dahinter.

1. Das Firefly Funhouse

Das Funhouse wurde im vergangenen Jahr als Teil von Wyatts Neuerfindung eingeführt, es wird als vermeintliche Kindersendung und "sicherer Ort" der Traumabewältigung dargestellt, hinter der sich tatsächlich die Abgründe von Wyatts schizophrenem Verstand verbergen.

Beim WrestleMania-Match wurde Cena bei seinem Einzug in dieses Funhouse "teleportiert" und dort zunächst von Wyatts Puppenfreund "Ramblin' Rabbit" hinter eine Tür mit der Aufschrift "Abandon All Hope ye who exit here" (Ihr, die ihr hier austretet, lasst alle Hoffnung fahren, wer hier austritt), eine Umkehrung der berühmten Formel an der Höllenpforte in Dante Alighieris Epos "Inferno".

Hinter der Tür findet Cena zunächst Finsternis vor, untermalt von unheimlicher Musik - und dann etwas anderes, als zunächst vermutet.

2. WWE-Boss Vince McMahon, der Teufel

Neben Cena ploppt plötzlich eine Puppenfigur von WWE-Boss Vince McMahon mit Teufelshörnern auf und ermahnt den verwirrten Cena, jetzt zu zeigen, ob ein Superstar in ihm stecke - ansonsten werde er gefeuert.

Es folgt eine Parallelmontage des in einem abgedunkelten Ring wartenden Wyatt und Archivbildern von Legende Kurt Angle, Cenas Gegner in dessen erstem WWE-Match 2002. Cena, anscheinend nicht mehr Herr seiner Sinne, trägt auf einmal sein Ringoutfit von damals und imitiert die Annahme von Angles Herausforderung, mit der er damals debütiert - mitsamt des Versprechens "Ruthless Aggression" zu liefern, die zum Synonym für die von Cena geprägte WWE-Ära wurde.

Wie ferngesteuert versucht Cena dann auf Wyatt einzuschlagen, der aber weicht stets aus, verhöhnt Cena noch mit dem Ausspruch "You can look, but you can't touch" - dem Intro der Einzusmusik von Cenas Ex-Freundin Nikki Bella.

Er fügt hinzu, dass ihn nicht wundert, dass Cena damals fast von WWE entlassen worden wäre. Eine wahre Geschichte - wobei Wyatt mit dem Hinweis auch darauf anspielt, dass er selbst kurz vor dem Rauswurf stand, bevor er sich vom farblosen Husky Harris in Bray Wyatt verwandelte.

3. Zu Hulk Hogan in die Achtziger

Das nächste Segment wird eingeleitet mit dem Intro von "Saturday Night's Main Event", einer legendären Show der damaligen WWF in den Achtzigern, mit McMahons damaligen Topstar Hulk Hogan im Mittelpunkt.

Wyatt meldet sich aus der Kulisse von damals (mit dem charakteristischen blauen Stahlkäfig) und stellt Cena als seinen Partner "Johnny Largemeat" vor, der zwar kein Talent hätte, aber dafür jede Menge Muskeln. Cena kommt hinzu, hält eine Promo-Ansprache im Stil von Hogan und stemmt wie wild Hanteln - wobei nach und nach klar wird, dass er in Wyatts Welt weiter nicht die Kontrolle über seinen Körper hat und ferngesteuert wird, bis er sich völlig verausgabt hat.

Wyatt zeigt dann - ebenso wie Hogan - auf Cena und variiert Hogans Standardsatz: "What you're gonna do when Egomania runs wild on you?"

Die Szenen spiegeln den Vorwurf wider, dass Cena ein Egomane wie Hogan wäre, dem früher vorgeworfen wurde, die Karrieren vieler Kollegen mit Ego-Eskapaden gebremst zu haben. Zudem spielen sie auch darauf an, dass Wyatt ligaintern immer wieder vorgeworfen wurde, dass er nicht genug Muskeln und Übergewicht gehabt hätte (wovon er sich für den Neustart als Fiend einen Großteil abtrainiert hat).

Detailverliebte Dreingabe: Die McMahon-Puppe gab - wie der echte McMahon zu dieser Zeit - den Kommentator, zusammen mit der Vogelpuppe "Mercy the Buzzard", gekleidet wie "Macho Man" Randy Savage.

4. John Cena wird zum Rapper

Cenas altes Einzusvideo "Word Life" leitet den nächsten Szenenwechsel ein, Cena trägt nun sein altes Outfit aus der Zeit, in der er bei WWE als böser Rapper-Charakter antrat (und damit seinen Durchbruch feierte).

Cena trägt wie damals einen Battle-Rap vor, der sich über Wyatt lustig macht - in Wyatts Welt aber nicht auf Jubel stößt, sondern in eisiger Stille verklingt. Wyatt hält Cena dann vor, ein "fürchterlicher Mensch" zu sein, der seine Karriere darauf aufgebaut hätte, die Schwächen anderer Menschen zu Witzen zu machen.

Nachdem er kurz über den Vorwurf nachzudenken scheint, schließt Cena seinen Rap trotzdem ab und will auf Wyatt losgehen, der aber beamt sich erneut weg, steht plötzlich hinter Cena und schlägt ihn mit einer Stahlkette nieder - dem einstigen Markenzeichen Cenas, mit dem er als Bösewicht viele Matches unfair gewann.

5. Rückkehr zu WrestleMania XXX

Im nächsten Kapitel des Matches verwandelt sich nun auch Wyatt zurück - in den Goth-Charakter, mit dem er 2013/14 zum Topstar wurde. Szenen aus Wyatts WrestleMania-Duell mit Cena 2014 werden eingespielt und wie das Publikum Wyatts Erkennungslied "He's got the whole World in his Hands" singt.

Wyatt verlor damals das große Match, was von vielen Fans als falsche Entscheidung kritisiert worden war, die Wyatt schwer geschadet hätte - was folgt, ist die Andeutung, die Geschichte umzuschreiben: Wyatt greift den ausgeknockten Cena an und setzt seinen Finisher Sister Abigail an, lässt dann aber los, reicht Cena einen Stuhl und fordert ihn auf, seinerseits damit zuzuschlagen.

Dies ist ein erneuter Rückgriff auf das Match von damals, in dem es darum ging, dass Wyatt Cenas dunkle Seite hervorlocken wollte, dieser aber widerstand. Cena folgt diesmal Wyatts Aufforderung, will zuschlagen - aber wieder ist Wyatt plötzlich verschwunden.

6. Hollywood Cena

In einer erneuten Parallelmontage schlüpft Wyatt nun in die Rolle von Eric Bischoff, des früheren Chefs der einstigen WWE-Konkurrenzliga WCW (dessen WWE-Comeback im vergangenen Jahr in einem Fiasko geendet war).

Er stellt Cena - an einem alten Set der WCW-Sendung Monday Nitro - erneut als Hogan-Wiedergänger vor, diesmal in Hogans Rolle als böser Anführer der nWo (New World Order). Wyatt empfängt Cena mit dem berühmten Too-Sweet-Gruß, wird dann aber von ihm niedergeschlagen.

Während Cena auf Wyatt einprügelt, gehen kurze Szenen aus Hogans nWo-Zeiten in Szenen aus Cenas großen Matches der Vergangenheit gegen Shawn Michaels, The Rock, CM Punk, Brock Lesnar, Roman Reigns, den Undertaker und andere über, dazu auch das berühmte Hassplakat "If Cena wins we riot" ("Wenn Cena gewinnt, randalieren wir").

Die Montage transportiert erneut den Vorwurf, dass Cena genauso ein Ego-Shooter wie Hogan wäre und seine große Karriere nicht verdient hätte.

Das nebenbei platzierte Highlight: Die McMahon-Teufelspuppe kommentiert Cenas Einmarsch mit den Worten "That's such good shit". Der Satz hatte im vergangenen Berühmtheit erlangt, weil er dazu beitrug dass McMahon seinen Ex-Champion Dean Ambrose alias Jon Moxley zum Konkurrenten AEW vergraulte.

7. The Fiend schreibt die Geschichte um

Während Cena wie von Sinnen auf Wyatt einprügelt, stellt er plötzlich fest, das nicht mehr Wyatt unter ihm liegt, sondern die verfressene Schweinepuppe "Huskus the Pig", in der Funhouse-Welt die Symbolfigur für Wyatts alten Husky-Harris-Charakter beziehungsweise seine schwache, menschliche Seite.

Als Cena das realisiert, erhebt sich hinter ihm die Figur, auf deren Auftritt alles hingearbeitet hatte: der maskierte Fiend.

Wyatts Alter Ego überwältigt Cena mit seiner Mandible Claw - und kurz bevor Cena k.o. geht, wird ein eigener O-Ton Cenas eingespielt (Lesen Sie hier die unglaubliche Geschichte, wie ein realer Mordfall den Fiend-Finisher inspirierte).

"Bei WrestleMania wird passieren, was vor sechs Jahren hätte passieren sollen: Das Aus für den am meisten überhypeten, überbewerteten und überprivilegierten Superstar", sagte Cena da - und die auf Wyatt gemünzten Worte werden zu seinem eigenen Abgesang. Der Fiend erhebt sich über den niedergestreckten Cena, der von einem Moment auf den anderen vom Bildschirm verschwindet. Das Match endet mit einem Zoom auf das Gesicht des Fiend und dessen Standardspruch "Let me in".

Das Ergebnis des Matches ist also: Wyatt hat die Scharte von damals ausgewetzt und Cena vernichtend besiegt.

Auf anderer Ebene geht aber auch Cena - der mittlerweile nur noch selten bei WWE auftritt und hauptsächlich als Hollywood-Schauspieler arbeitet - als moralischer Sieger aus dem Match heraus.

Dass er diese Demontage mitmachte, beweist einmal mehr, dass er eben kein Egomane wie Hogan ist. Cena hat zum wiederholten Mal sein Ego zurückgestellt und seinen Superstar-Status voll in die Wagschale geworfen, um einem vielversprechenden Hoffnungsträger davon profitieren zu lassen.