Steckt Russland dahinter? - Ex-Agent warnt Scholz nach DHL-Crash vor einer möglichen Falle Putins
Kanzler, Außenministerin und der oberste Bundeswehr-General spekulieren darüber, ob Russland hinter dem DHL-Flugzeugabsturz steckt. Der ehemalige Nachrichtendienstler Gerhard Conrad findet das befremdlich. Die Mutmaßungen könnten Putin nämlich in die Hände spielen.
Nach dem Absturz eines DHL-Flugzeugs in Litauen hat der oberste General der Bundeswehr aufhorchen lassen: Russlands Präsident Wladimir Putin habe einen hybriden Zustand zwischen Krieg und Frieden geschaffen, in dem er „austestet, wie weit man gehen kann“, erklärte Generalinspekteur Carsten Breuer in der ARD-Talkshow „Maischberger“.
In eine ganz ähnliche Kerbe schlugen zuvor schon Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD). Der Kanzler sagte am Montag in Bezug auf eine mögliche russische Sabotage: „Es könnte so sein. Es gibt sehr viele schlimme Formen hybrider Kriegsführung, die wir in Deutschland feststellen.“
Wissen die drei mehr, als öffentlich bekannt ist? Das ist zumindest deshalb eher unwahrscheinlich, weil der Flugschreiber der verunglückten Maschine zwar geborgen, aber noch nicht auswertet wurde. Gerhard Conrad, der lange als Agent für den Bundesnachrichtendienst (BND) gearbeitet hat, findet die Äußerungen aus Berlin deshalb befremdlich. „Solange die Absturzursache nicht ausreichend geklärt ist, sollten wir uns vor weiteren Mutmaßungen hüten“, warnt er im Gespräch mit FOCUS online.
„Falsches Signal, wenn aufgeregte öffentliche Spekulationen verbreitet werden“
Der Ex-Nachrichtendienstler mahnt an: „Es wäre besser, zunächst die Absturzursache zu prüfen und sich in Gelassenheit zu üben. Es sendet das falsche Signal, wenn bereits jetzt aufgeregte öffentliche Spekulationen verbreitet werden.“ Denn mit einer solchen Reaktion vermittle man nur den Eindruck, dass man keinen Plan für die Antwort auf mögliche russische Sabotage habe.
Das führt auch zu dem Punkt, den Bundeswehr-General Breuer selbst angesprochen hat: Denn möglicherweise war der Absturz nur ein „Test“ Russlands. Ex-BND-Agent Conrad erklärt das mögliche Kalkül dahinter: „Russland testet womöglich die Fähigkeit und insbesondere den Willen von EU und NATO, angemessen und insbesondere auch geschlossen zu reagieren. Zugleich würde ein derartiger Anschlag dazu dienen, ein weiteres Mal das Sicherheitsgefühl der westlichen Gesellschaften zu erodieren.“
Experte zweifelt an Deutschlands Möglichkeiten
Zu einem besseren Sicherheitsgefühl tragen die Äußerungen von Scholz, Baerbock und Breuer aber nicht gerade bei. Ohne gesicherte Erkenntnisse können sie nämlich schlecht Konsequenzen gegen Russland in Kraft setzen. Selbst wenn die Ermittlungen zur Erkenntnis führen würden, dass Russland hinter dem Flugzeugabsturz steckt, sieht Conrad Probleme.
„Es stellt sich ja die Frage, ob wir ein angemessenes Instrumentarium in der Hand haben, um auf einen staatlichen terroristischen Anschlag zu reagieren – denn nichts anderes wäre ein russischer feindseliger Akt gegen die Sicherheit des Luftverkehrs und die Unverletzlichkeit des baltischen Luftraums“, erklärt der Ex-Agent. Bei jeder potenziellen russischen Operation im Westen stünde man nämlich vor der Frage, ob bereits ein Fall gemäß Nato-Artikel 5 eingetreten ist und was das praktisch bedeuten würde.
Ein Gedankenspiel, wie eine Reaktion ohne eigenen militärischen Einsatz aussehen könnte, sieht so aus: Würde sich herausstellen, dass Russland Funksignale gestört und damit den DHL-Flieger zum Absturz gebracht hat, könnte man die Ukraine bitten, die Störsender auszuschalten. Dann würde sich aber die Frage stellen, ob die Reichweite zum Beispiel der ATACMS-Raketen dafür ausreichen würde – oder es zum Beispiel Taurus benötigen würde, die Kanzler Scholz aber nicht liefern will.
In einem Punkt ist Deutschland „kümmerlich aufgestellt“
Ein anderes Szenario, nämlich ein geheimer Gegenangriff auf Russland, ist hingegen ausgeschlossen – dazu ist der BND nämlich nicht befugt. Schließlich bliebe noch eine weitere Option: die Einbestellung des russischen Botschafters. „Das wäre kaum zielführend“, vermutet Conrad. „In einem harten hybriden Konflikt wie dem laufenden, stoßen die üblichen Methoden des zwischenstaatlichen Umgangs an ihre Grenzen.“
Conrad betont: „Ich hoffe, dass mittlerweile über angemessene Maßnahmen für solche Fälle nachgedacht worden ist. Das Problem ist ja nicht neu.“ Ob das tatsächlich geschehen ist, ließe sich nicht einschätzen. „Es ist richtig, dass das diskret passiert und man damit nicht öffentlich hausieren geht.“
Zumindest in einem Punkt sieht der Ex-Agent in Deutschland noch Nachholbedarf. „Im Bereich der Cyber-Abwehr beziehungsweise einer eigenen Reaktion darauf, sind wir bislang kümmerlich aufgestellt. Das ist technisch nicht trivial, aber ich kann leider auch keinen Willen zum Ausbau erkennen.“