Steigende Arbeitslosigkeit beunruhigt - Die Sahm-Rule: Stürzt eine bizarre Faustregel die USA in die Rezession?
Die USA gehörten in den vergangenen Jahren zu den am stärksten wachsenden Industrieländern – großen Konjunkturprogrammen sei Dank. Doch jetzt steigt die Arbeitslosigkeit über einen Schwellwert, den manche als bedrohlich ansehen.
Rund 7,2 Millionen US-Amerikaner im erwachsenen Alter hatten im Juli keinen Job. Das klingt viel, macht in dem großen Land aber gerade einmal 4,3 Prozent aus. In der EU kommen gerade einmal acht Länder auf eine geringere Arbeitslosenquote, darunter Deutschland mit 3,1 Prozent. Aber: In den USA ist die Quote überraschend um 0,2 Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen und das lässt sich Alarmglocken bei Ökonomen schrillen. Sie erinnern sich an eine Faustregel, die die Ökonomin Claudia Sahm 2019 aufgestellt hatte und die nach ihr benannt wurde. Demnach ist eine Volkswirtschaft bereits in einer Rezession, wenn die durchschnittliche Arbeitslosenquote der vergangenen drei Monate mindestens 0,5 Prozent höher liegt als der Tiefstwert dieses 3-Monats-Durchschnitts in den 12 Monaten zuvor.
Das klingt kompliziert, deswegen am US-Beispiel erklärt: Die durchschnittliche Arbeitslosenquote zwischen Mai und Juli betrug 4,13 Prozent. Den tiefsten Stand erreichte dieser 3-Monatsdurchschnitts von Juni 2023 bis Juni 2024 im Juni vergangenen Jahres mit 3,60 Prozent. Der Unterschied macht also jetzt 0,53 Prozent aus und liegt damit über dem von Sahm definierten Schwellwert von 0,5 Prozent.
Sahm ging bei der Erstellung der Regel davon aus, dass steigende Arbeitslosigkeit ein Indikator dafür ist, dass der Konsum kurz darauf einbrechen wird, weil mehr Menschen ohne Job weniger Güter einkaufen können. Entsprechend würde dann auch das gesamte Wirtschaftswachstum sinken.
Wie sicher ist die Sahm-Regel?
Sahm hat sich diese Faustregel nicht einfach willkürlich ausgedacht, sondern sie mit historischen Daten überprüft. Dabei ist sie erstaunlich präzise. Erhoben für Daten ab 1960, hätte der Sahm-Indikator eine Rezession in den USA seitdem in 9 von 11 Fällen wenige Monate zuvor angekündigt. Nur bei den zwei leichtesten Rezessionen in den Jahren 1970 und 2022 kündigte der Indikator den Wirtschaftsabschwung nicht zuverlässig an.
Allerdings ist die Faustregel umgekehrt nicht sehr präzise. In 37 von 49 Fällen stieg der Indikator über den Wert von 0,5, ohne dass im Jahr darauf eine Rezession folgte. In 29 Fällen war der Zusammenhang sogar umgekehrt und der Sahm-Indikator stieg erst nach Beginn einer Rezession über den Grenzwert.
Warum herrscht dann trotzdem Aufregung?
Aus zweierlei Gründen: Für Medien ist ein solch vermeintlich zuverlässiger Indikator immer ein guter Anlass für eine dramatische Berichterstattung, weil er komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge auf einen simplen Nenner herunterbricht. Zweitens bedeutet steigt der Sahm-Indikator auch deswegen, weil tatsächlich die Arbeitslosenquote in den USA zugelegt hat. Mit nicht saisonbereinigten 4,3 Prozent lag sie im Juli so hoch wie zuletzt im Oktober 2021, also noch zu Hochzeiten der Corona-Krise.
„Traditionell führt ein sich verschlechternder Arbeitsmarkt zu einem Teufelskreis“, sagt Bill Dudley, Präsident der New Yorker Abteilung der Zentralbank Fed. „Wenn Jobs schwieriger zu finden sind, geben Haushalte weniger Geld aus, woraufhin die Wirtschaft schwächelt und Unternehmen weniger Investitionen tätigen, was dann zu mehr Entlassungen und weiteren Ausgabenkürzungen führt.“ Deswegen schauen die US-Ökonomen nicht nur auf die steigende Arbeitslosenquote, sondern auch auf die Zahl der neu geschaffenen Jobs. Die sank im Juli auf 115.000. Werte ab 150.000 gelten als in Ordnung, alles darunter macht Sorgen.
Woher kommt die plötzliche Wirtschaftsschwäche?
„Vor ein paar Monaten sah der Arbeitsmarkt noch in Ordnung aus und die Richtung stimmte“, sagt Guy Berger, Forschungschef des Burning Glass Institutes, einem Think Tank aus den USA, gegenüber NBC . Als größtes Problem wird die Zentralbank Fed angesehen. Sie hatte wie alle Zentralbanken auf der Welt die Leitzinsen stark erhöh, um die in den Vorjahren gestiegene Inflation zu bekämpfen. Während Sie dabei Vorreiter war, ist sie jetzt Nachzügler, wenn es darum geht, die Zinsen wieder zu senken. Die Europäische Zentralbank läutete die Wende bereits im Juni ein, die Fed voraussichtlich erst im September.
Das Problem dabei: Solange die Zinsen hoch sind, bremst die Fed damit die Investitionen von Unternehmen aus, weil eben auch Kreditzinsen für neue Maschinen, Fabriken oder ähnliches hoch sind. Ohne Investitionen kann die Wirtschaft aber nur schwer wachsen. In Zeiten hoher Inflation war das ein Risiko, das Zentralbanken gerne eingegangen sind, jetzt gilt das nicht mehr.
Wie geht es jetzt weiter?
Ob die USA wirklich in die Rezession rutschen, wird sich erst zum Jahresende zeigen. Eine Rezession ist definiert als zwei aufeinanderfolgende Quartale mit schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt (BIP). In den ersten beiden Quartalen 2024 wuchs die US-Wirtschaft mit 1,4 beziehungsweise 2,8 Prozent deutlich, ein Abschwung könnte sich also frühestens im Dezember in Form einer Rezession zeigen.
Das ließe der Notenbank Fed und der US-Regierung auch noch genug Zeit, gegenzusteuern. Erstere wird wie gesagt spätestens im September die Leitzinsen senken und so Investitionen wieder ankurbeln. Für letztere schlug die Indikator-Erfinderin Sahm als Gegenmittel vor, Geld direkt an Haushalte zu verteilen. So hatte die US-Regierung auch in der Corona-Krise agiert.