Steuergeld für Pornos? - «Kulturelle Ausdrucksform»
Sachsen fördert die Gründerinnen eines Portals, das faire Pornos empfiehlt - und löst Empörung aus. Eine Kulturwissenschaftlerin sagt: Die Idee ethischer Pornos ohne eine Form der Bezahlung sei «absurd».
Berlin/Dresden (dpa) - 96 Prozent der Männer haben es schon getan. 79 Prozent der Frauen auch. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland schaut Pornos. Das hat eine repräsentative Umfrage zur Erwachsenensexualität ergeben.
«Porno ist Alltagspraxis, das lässt sich nicht leugnen», sagt die Kulturwissenschaftlerin Madita Oeming der Deutschen Presse-Agentur. In vielen Köpfen aber ist Porno noch immer etwas anderes: ein schambehaftetes Thema, gar eine Gefahr für Jugendliche. Oder schlicht «Schmuddelkram», wie es die sächsische AfD-Fraktion im Juni auf der Plattform X, früher Twitter, ausdrückte.
In dem Beitrag echauffierte sich die Partei über eine Förderung des Landes Sachsen: Im Zuge des Programms «InnoStartBusiness» werden die zwei Gründerinnen der Seite porn-better.com ein Jahr lang mit 25.200 Euro unterstützt, wie es in der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Abgeordneten Martina Jost steht.
Mainstream-Pornos sollen nicht verteufelt werden
Öffentliche Mittel für die Arbeit an einer Porno-Plattform - wer so etwas höre, sagt Oeming, der denke schnell: «Ach Gott, jetzt werden meine Steuern schon für Pornos ausgegeben.»
Tatsächlich gibt es auf dem Portal von Luna Heine und Esti Krüger gar keine Sexvideos, sondern lediglich Empfehlungen für Internetangebote jenseits von xHamster oder YouPorn. Auf solchen Mainstream-Seiten werde oft nicht einmal klar, ob die Filme im Einvernehmen aller Beteiligten hochgeladen worden seien, zudem gebe es dort unter anderem rassistische oder sexistische Darstellungen, kritisiert Esti Krüger im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Luna und ich fühlten uns von solchen Seiten nicht abgeholt, wir hatten das Gefühl: Das ist irgendwie nicht für uns gemacht.»
Verteufeln wollen die beiden Gründerinnen Mainstream-Porno ausdrücklich nicht, aber Alternativen bekannt machen, die auf faire und ethische Filme setzen. Was das konkret bedeutet?
«Bei der Idee des fairen Pornos geht es ähnlich wie bei Fair-Trade-Produkten darum, den Fokus auf den Produktionsprozess zu legen», erklärt Oeming, die mit «Porno: Eine unverschämte Analyse» gerade ein Sachbuch über den gesellschaftlichen Umgang mit Pornografie veröffentlicht hat. Das umfasse etwa Einvernehmlichkeit am Set, eine faire Bezahlung und volle Transparenz darüber, mit welchen Darstellenden welche Praktiken gedreht würden und wo das Ergebnis schließlich zu sehen sei.
«Was wir nicht klicken, wird auch nicht weiter produziert»
Doch mit der Produktion und mit ganz praktischen Punkten - «Gibt es genügend Drehpausen, ausreichend Gleitmittel und nach dem Dreh die Möglichkeit zum Gespräch?» - sei es nicht getan. «Teil des ethischen Pornos ist auch der ethische Konsum. Und das fehlt komplett im Bewusstsein der meisten Menschen», sagt die Expertin.
Jeder und jede Einzelne habe massive Konsummacht, die Porno-Industrie zu beeinflussen. «Verkürzt ausgedrückt: Was wir nicht klicken, wird auch nicht weiter produziert.»
Anstatt «immer nur auf die bösen Porno-Macher zu zeigen», sollten wir uns laut Oeming mehr mit der Herkunft von Sexfilmen beschäftigen - und dazu bereit sein, Geld auszugeben. «Kostenlose Seiten sind nicht sonderlich transparent. Man weiß oft nicht, wer die Clips hochgeladen hat und ob es sich zum Beispiel um inszenierten Voyeurismus handelt oder jemand gefilmt wurde, der das nicht wusste. Kurze Clips sind oft aus größeren professionellen Produktionen geklaut. Auf Bezahlseiten muss es ein Impressum geben, man kann sich also darüber informieren, wer dahintersteht», schildert die Autorin.
«Eine Garantie, dass es allen am Set gut ging, können wir zwar nie haben. Die gibt es aber auch bei keinem einzigen Hollywood-Film.»
Schweigen, Scham, Unwissen
Auf viele Fragen, die sich seit dem massenhaften Aufkommen von Gratis-Pornos im Internet Ende der 2000er Jahre stellen würden, habe man bis heute keine zufriedenstellenden Antworten gefunden, stellt Oeming fest. «Porno ist in der breiten Gesellschaft ein Tabu, da herrschen Schweigen, Scham und auch Unwissen. Das zeigt sich nicht zuletzt auf politischer Ebene, wo fehlgeleitete Entscheidungen getroffen werden.»
Für die Wissenschaftlerin äußert sich das in mangelnden Investitionen in sexuelle Bildung und Aufklärung über Pornografie einerseits und stärkere Regulierungsversuche andererseits. So beschlossen die Medienanstalten der Bundesländer etwa im März 2022 eine Netzsperre für das Portal xHamster: Dessen frei verfügbares pornografisches Angebot sei ein Verstoß gegen den Jugendschutz, weil es keine Altersüberprüfung der Nutzer gebe, befand die Kommission für Jugendmedienschutz. Kurz darauf war die Seite wieder mit geänderter Subdomain erreichbar. So wurde aus dem gesperrten de.xhamster.com einfach deu.xhamster.com.
Ein gescheiterter Versuch des Jugendschutzes, den Oeming sowieso als regressiv und Angst machend einschätzt. «Mit solchen Maßnahmen hält man an einem Gefahrendiskurs um Pornografie fest. Dabei ist die negative Wirkung auf Jugendliche empirisch nicht eindeutig belegt und die Studienlage dazu sehr viel ambivalenter als die öffentliche Debatte.»
Sinnvoller als Verbote und Sperren, die technisch fitte Jugendliche eh zu umgehen wüssten, sei die Vermittlung von Porno-Kompetenz. «Je besser junge Menschen Porno und Realität voneinander unterscheiden können und je weniger sie sich mit diesen Bildern vergleichen, desto geringer ist die Möglichkeit negativer Folgen», sagt Oeming.
«Porno-Führerschein» für Lehrerinnen und Lehrer
Weil Pornografie in der Ausbildung von Lehrkräften komplett ausgeklammert ist, hat sie an der Universität Flensburg das Projekt «Teach Love» (Lehre Liebe) mit gestartet und einen «Porno-Führerschein» für Lehrerinnen und Lehrer entwickelt. «Jugendliche kommen mit Pornos in Kontakt, gewollt und ungewollt. Deshalb müssen wir ihnen beibringen, wie sie damit umgehen können.»
Es dürfe zudem nicht sein, dass die Fantasien und Übertreibungen, die online zu finden seien, die Aufklärung übernehmen würden. «Das ist aber nicht das Problem von Pornos, sondern das des Staates, der sexuelle Bildung nicht hinbekommt», stellt Oeming klar.
Auch 2023 überwiege noch die Wahrnehmung, dass Pornos «immer etwas Schlechtes und Schädliches» seien. Fortschritte beschränken sich laut Oeming auf kleine Teile der Bevölkerung, zum Beispiel auf 25- bis 30-Jährige im urbanen Raum, für die Pornos «normalisierter» seien. Diesen Eindruck hat auch Esti Krüger von better-porn.com.
Unter Artikeln über ihre Seite hätten sich mehrfach Hasskommentare angesammelt: «An mir prallt das ab, an meiner Kollegin nicht so gut. Zwischendurch hatten wir regelrecht Angst. Wenn die AfD über dich twittert, bist du froh, wenn deine Adresse nicht im Impressum steht.»
Im Fall der Porno-Empfehlungsseite bezog sich die öffentliche Förderung allein auf die Arbeit der Gründerinnen und nicht auf Inhalte. Auch Filme selbst könnten in den Augen von Krüger und Oeming aber förderwürdig sein. Allein schon deshalb, weil das die Produzenten unabhängiger machen würde: Sie könnten vielfältige Menschen und Vorlieben zeigen und würden womöglich auf suchmaschinenoptimierte Titel mit sexistischen oder rassistischen Wörtern verzichten, wie Krüger erklärt.
«Es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein»
«Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder, wir zahlen für Pornos oder sie werden gefördert. Die Idee, dass niemand dafür zahlt und es dennoch ein ethisches, faires Produkt wird, ist absurd», sagt Oeming.
Die Wissenschaftlerin baut vor allem auf ein zunehmendes Bewusstsein in der Gesellschaft. «Grundsätzlich sind Pornos eine kulturelle Ausdrucksform. Warum bewerten wir das so viel anders als Literatur, die es ja auch in unterschiedlichen qualitativen Ausprägungen gibt? Und doch würde niemand sagen: "Ich bin Anti-Literatur", sondern: "Es gibt Sachen, die ich mag und die ich nicht mag - und Sachen, die problematisch sind".»
Es gehe um eine neutrale Bewertung von Pornografie, denn: «Wir haben schon immer Sex dargestellt und ihn uns angesehen. Es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein.»
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