Steuern, Bürokratie, Energiepreise, Infrastruktur - Vier Gründe, warum deutsche Unternehmen unser Land fluchtartig verlassen

BASF Stammwerk in Ludwigshafen<span class="copyright">SWR - Südwestrundfunk/SWR/obs</span>
BASF Stammwerk in LudwigshafenSWR - Südwestrundfunk/SWR/obs

Fast die Hälfte der deutschen Industrieunternehmen hat bereits Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland verlagert oder denkt darüber nach. Hohe Kosten und viel Bürokratie schrecken sie in Deutschland ab – doch sind das nur vorgeschobene Argumente?

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Unternehmen wandern ab: Die Ausgangslage in Deutschland

Die vergangenen Jahre sind in Deutschland von einem Trend der Deindustrialisierung geprägt. Gemeint ist damit, dass Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes – dazu zählen alle Firmen, die etwas physisch herstellen oder verarbeiten – Standorte und Arbeitsplätze nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland aufbauen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie Standorte in Deutschland im Gegenzug schließen. Prominente Beispiele sind etwa Volkswagen##chartIcon und BASF##chartIcon , die neue Werke lieber in den USA beziehungsweise China bauen als in Deutschland, Miele und Viessmann, die Produktionsstätten nach Polen verlagert haben und der Solarbauer Meyer Burger, der Module künftig nicht mehr in Deutschland produzieren will.

Das Verarbeitende Gewerbe hat in Deutschland einen Anteil von rund 20 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Damit steht es zwar deutlich im Schatten des Dienstleistungssektors, der über 60 Prozent ausmacht, ist aber für die deutsche Wirtschaft nicht unbedeutend. Im vergangenen Jahr schrumpfte das BIP des Verarbeitenden Gewerbes mit 0,4 Prozent nur geringfügig stärker als das BIP insgesamt (minus 0,3 Prozent). Auch in den Jahren zuvor folgte es tendenziell der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Ein besonderer Abschwung der Industrie lässt sich daraus bislang nicht ableiten.

Dennoch ist der Trend besorgniserregend. In verschiedenen Umfragen von Verbänden wie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) oder dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gaben im vergangenen Jahr rund die Hälfte der befragten Unternehmen an, bereits Kapazitäten ins Ausland zu verlagern oder sich dies vorstellen zu können. Zudem flossen im vergangenen Jahr mit 94 Milliarden Euro mehr Investitionen von deutschen Unternehmen ins Ausland als umgekehrt. In den vergangenen drei Jahren waren es zusammen sogar 319 Milliarden Euro. Während die Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland mit wenigen Ausnahmen traditionell höher sind als die Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland, schwächeln letztere derzeit massiv. Laut Bundesbank flossen im vergangenen Jahr nur noch 15 Milliarden Euro. Ein Jahr zuvor waren es noch 60 Milliarden Euro.

Gründe für die Entwicklung

Genau dieser Frage geht das Münchner ifo-Institut alle drei Monate bei Wirtschaftsexperten in aller Welt nach. Diese werden gebeten, die Standortfaktoren ihres eigenen Landes zu bewerten. Für Deutschland nannten mehr als 70 Prozent der Ökonomen die Bürokratie des Landes als größtes Hemmnis für in- und ausländische Investitionen. An zweiter Stelle folgt mit gut 50 Prozent die unzureichende Digitalisierung, gefolgt von den Energie- und Rohstoffpreisen sowie dem Fachkräftemangel mit jeweils rund 35 Prozent. Die Höhe der Steuern bewerten nur 25 Prozent der Experten negativ, die Infrastruktur 20 Prozent. Andere Faktoren wie Arbeitskosten, Sozialabgaben, Bildungsniveau, Kapitalverfügbarkeit, Sicherheit und politische Institutionen wie Behörden und Gerichte werden kaum als negative Faktoren genannt.

Auch wenn wir uns im Folgenden auf die negativen Faktoren konzentrieren, sollen auch die Argumente für den Standort Deutschland kurz genannt werden: Mit über 60 Prozent liegen das Bildungsniveau und die politischen Institutionen weit vorne. Mit knapp 35 Prozent werden die Kapitalverfügbarkeit und die Sicherheitslage als Pro-Faktoren genannt. Die Infrastruktur erhält mit 20 Prozent gleich viele Pro- wie Contra-Stimmen. Steuern, Energie- und Rohstoffpreise, Digitalisierung und Bürokratie wurden nie positiv genannt.

Im Folgenden wollen wir daher die negativen Punkte etwas genauer betrachten. Wie schlecht steht es wirklich um den Standort Deutschland?

1. Bürokratie

Plakative Negativbeispiele für ausufernde Bürokratie gibt es genug. 1792 Gesetze mit insgesamt 51.155 Einzelnormen regeln, wer in Deutschland was wie bauen und herstellen darf. Die Regelungsdichte nimmt von Jahr zu Jahr zu, vor zehn Jahren waren es noch rund 8000 Einzelnormen weniger. Das kostet die Unternehmen Zeit und Geld. Genehmigungsverfahren dauern Jahre, wenn sie überhaupt erfolgreich abgeschlossen werden. Selbst wenn es schneller geht, ist viel Papierkram nötig. Allein die deutschen Unternehmen kostete das im vergangenen Jahr 23,7 Milliarden Euro – so viel wie nie zuvor. Schlimmer noch: Vieles muss tatsächlich noch auf Papier erledigt werden, weil die Verwaltungsprozesse nicht digitalisiert sind.

„Für jeden Handgriff gibt es inzwischen eine Vorschrift und damit verbunden ist auch eine Verlagerung von Verantwortung“, beklagt etwa Kurt Krautscheid, Chef der Handwerkskammer Koblenz, gegenüber dem WW-Kurier . Die Regelungswut hat dabei Vor- und Nachteile. Letztere sind mit Aufwand und Kosten offensichtlich, aber: „Wir haben durch diese Regeln saubere Flüsse, wir haben eine bessere Luftqualität. Wir haben weniger Smog in den Städten und so weiter und so fort. Unser Leben ist in vielerlei Hinsicht auch besser geworden“, sagt Christoph Knill, Politik-Professor aus München gegenüber dem Bayrischen Rundfunk .

„Man muss einen Mittelweg finden“, sagt die Verwaltungswissenschaftlerin Sabine Kuhlmann im Interview mit dem Nordkurier . Das Problem dabei: In der Bundespolitik ist niemand primär für das Thema verantwortlich, denn Bürokratie-Regeln legt jedes Ministerium für sein Hoheitsgebiet fest. Entsprechend fühlt sich kein Minister speziell dafür verantwortlich, das Geflecht zu entwirren. Das wiederum führt dazu, dass das von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) angestoßene Bürokratieentlastungsgesetz schon ein Jahr überfällig ist. „Es gibt keine Institution oder Organisation, deren einzige Aufgabe es ist, sich um Reformen zu kümmern und Druck auf die Politik auszuüben“, sagt Kuhlmann.

Dass andere Länder es besser machen, zeigt die Ifo-Umfrage. Zwar steht die Bürokratie auch global als größtes Hemmnis dar, aber mit nur 40 Prozent der Nennungen deutlich weniger als in Deutschland.

2. Digitalisierung

Digitalisierung mangelt in Deutschland an zwei Enden. Das eine ist die mangelhafte Verfügbarkeit schnellen Internets, insbesondere mobilen Internets. Legendär sind etwa die Aussagen der damaligen Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), Deutschland brauche „nicht an jeder Milchkanne Internet“ und des damaligen Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU), der seinen Mitarbeitern verbot, ihm auf Zugfahrten internationale Gespräche durchzustellen, „weil es mir total peinlich ist, wenn ich dann dreimal, viermal neu anrufen muss, weil ich jedes Mal wieder rausfliege.“ Beide Geschichten sind übrigens gerade einmal sechs Jahre alt. Die Lage hat sich seitdem kaum gebessert: Beim Ausbau des aktuell besten Standards, Glasfaser, liegt Deutschland innerhalb der OECD mit einer Abdeckung von 11,19 Prozent etwa auf dem drittletzten Platz. In Südkorea und Island haben derweil fast 90 Prozent aller Breitbandanschlüsse bereits Glasfaser.

Dies ist bereits ein dicker Hemmschuh für viele Branchen, die auf das Internet angewiesen sind. Aber es sind nicht nur die Anschlüsse, die fehlen, sondern auch die Nutzungsmöglichkeiten: Nur 81 von 580 Behörden-Dienstleistungen lassen sich schon komplett online nutzen. Das betrifft zwar auch alle jenen, die nur Privatpersonen brauchen wie die Beantragung eines neuen Personalausweises, aber eben auch Unternehmen.

Allerdings ist mangelnde Digitalisierung nicht nur ein Standort-Problem, sondern auch eines der Unternehmen selbst. Gerade viele alteingesessene Firmen nutzen digitale Möglichkeiten viel zu wenig und rutschen damit im internationalen Wettbewerb ab. Im „Digital Competitiveness Index“ der IMD Business School aus der Schweiz fiel Deutschland von 2021 bis 2023 von 15. auf den 23. Platz von nur 64 untersuchten Ländern ab.

3. Energiepreise

Lange Zeit war Deutschland mit günstigem russischen Gas gut versorgt, doch mit Ausbruch des Ukraine-Krieges schossen die Energiepreise in die Höhe. Auch wenn sie mittlerweile wieder stark gesunken sind, beklagen vor allem energieintensive Industrien wie Chemie oder Stahl die dadurch entstehenden Kosten. „Energiepreise spielen eine große Rolle, wo wir aktuell in Deutschland nicht wettbewerbsfähig sind“, sagte Volkswagen-Chef Oliver Blume vergangenes Jahr im Interview mit dem ZDF .

Tatsächlich sind die Energiepreise in Deutschland für die Industrie aber gar nicht so hoch. Für Strom liegen sie nach Angaben der Analysefirma Prognos in etwa im EU-Durchschnitt, die Gaspreise sogar leicht darunter. Dass etwa VW seine energie-intensive Batteriefabrik lieber in den USA baut, liegt daran, dass der dortige Industriestrompreis stark subventioniert wird und deswegen zu den günstigsten der Welt gehört. China macht ähnliches, was etwa den Bau des BASF-Werkes dort begünstigt. Das Problem ist also weniger, dass Energie in Deutschland so teuer wäre, sondern, dass andere Länder Unternehmen mit hohen Subventionen anlocken.

Die Preise in Deutschland gehörten übrigens auch vor der Energiekrise schon zu den höheren im internationalen Vergleich. Entsprechend haben auch schon lange vorher Konzerne mit Abwanderung gedroht. Energieintensive Unternehmen bekommen deswegen auch regelmäßig Vergünstigungen von verschiedenen Bundesregierungen: Sie zahlen etwa nur eine reduzierte oder gar keine EEG-Umlage, können sich von der Stromsteuer befreien lassen, zahlen reduzierte Netzentgelte und geringere Co2-Preise.

4. Steuern

Privatpersonen zahlen in Deutschland einen der weltweit höchsten Steuer- und Abgabensätze, wenn man Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zusammenrechnet. Auch die Lohnkosten sind deswegen hoch. Bei Unternehmen sieht es nicht so schlimm aus. Der nominale Steuersatz liegt bei durchschnittlich 29,8 Prozent des Gewinns, was innerhalb der EU nur von Portugal (31,5 Prozent) und Malta (35 Prozent) übertroffen wird, global etwa von Mexiko, Australien (je 30 Prozent), Brasilien (34 Prozent) und Kolumbien (35 Prozent).

Effektiv liegt die Steuerlast aber geringer. Mit 26,6 Prozent fällt Deutschland hier etwa hinter Japan und Neuseeland zurück auf etwa dasselbe Niveau wie Südkorea. Von 82 Ländern, für die die OECD die effektiven Steuersätze für 2022 ermittelt hat, liegt der deutsche Durchschnitt nur auf dem 23. Platz. Wenn also Vereinigungen wie der BDI Deutschland als „Höchststeuerland“ für Unternehmen bezeichnen, dann ist das erstens übertrieben und liegt zweitens daran, dass auch hier wieder einige große Staaten wie China, die USA und Großbritannien ein Rennen nach unten um die niedrigsten Unternehmenssteuersätze begonnen haben – was eine Ansiedlung dort für Unternehmen attraktiver macht. Um das zu begrenzen, haben 130 Staaten im vergangenen Dezember die Einführung einer globalen Mindesteuer von 15 Prozent beschlossen.

Auch dies ist aber keine neue Entwicklung: Die Unternehmenssteuern in Deutschland sind international schon seit Jahrzehnten über dem Durchschnitt und sind in den vergangenen Jahren eher gesunken als gestiegen. Entsprechend können Unternehmen auch dies kaum als Grund für eine jetzige Abwanderung anführen.

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