Stoytelling-Profi Veit Etzold - Ein politisches Paradoxon: Wie die AfD von Dämonisierungsstories profitiert
Politische Strategien und ihre unerwarteten Folgen: Storytelling Profi Veit Etzold analysiert, wie die AfD von der aktuellen politischen Erzählweise profitiert und was das für Deutschlands Zukunft bedeutet.
Wie gut hat die Dämonisierungsstory der AfD bisher funktioniert?
Winston Churchill rauchte seine 20 Zigarren am Tag. Obwohl schon damals bekannt war, dass Rauchen schädlich ist. Was sagte der große englische Staatsmann dazu: „Wenn ich überall lese, dass ich mit dem Rauchen aufhören soll, dann höre ich auf - zu Lesen!“
Ähnlich ist es bei der AfD. Denn für sie hat die Dämonisierungsstory der etablierten Parteien hervorragend funktioniert. Die Leute hören nicht auf, die AfD zu wählen, aber sie hören auf, auf die Mahner, Warner und Appellierer wie Bundespräsident Steinmeier und neuerdings auch Supermärkte zu hören.
Die Dämonisierungsstory läuft seit mindestens 10 Jahren. 2014 kam die AfD in Thüringen auf 10,6 Prozent, 2019 waren es schon fast 23,4 Prozent und am vergangenen Sonntag waren es, wie jeder weiß, 33 Prozent.
Der Grund dafür ist denkbar einfach und sollte eigentlich nicht nur Psychologen bekannt sein: Die Natur kennt kein Vakuum und eine Story kennt keine Verneinung. Unser Gehirn kann mit Verneinungen nicht umgehen. Wenn ich dem Kind sage „Klettere nicht auf den Baum“ bleibt hängen: „Klettere auf den Baum.“
Abgesehen davon: Etwas, was so dermaßen verboten ist wie der Baum, muss ja irgendwie interessant sein. Genau so ist es mit der AfD. Wenn ein Wähler mit dem Establishment unzufrieden ist und dieses Establishment gleichzeitig immer wieder die AfD dämonisiert, dann denkt unser Gehirn nach dem Motto, das so alt ist wie der Mensch selbst: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“
Warum kommt Friedrich Merz nicht weiter?
Friedrich Merz erscheint mir im Moment als der ideale Coaching-Kandidat: Gehemmt und blockiert. Einerseits sagt er, dass seine Partei das Wort „Brandmauer“ nicht erfunden habe (was stimmt, das war ein Stock, den Grüne und SPD der CDU hingehalten haben), andererseits bezieht er sich auf Parteibeschlüsse von 2018 (!), die seiner Partei verbieten, mit Linkspartei oder AfD zu koalieren.
Konrad Adenauer sagte einmal: „Wenn sich die Umstände ändern, ändere ich meine Meinung.“ Merz ist da wieder zweigeteilt: Einerseits sieht für ihn eine wirklich „große“ Koalition mit fast 60 Prozent verlockend aus, andererseits ist er dann doch nicht Draufgänger genug, um dieses Wagnis einzugehen. Das macht dann sicherlich Söder, der sich bereits als Kanzlerkandidat warm läuft.
Welchen Story-Fehler macht die Ampel?
Auf den ersten Blick macht es die Ampel richtig: Sie gibt zu, dass sie Dinge besser erklären muss. Die Frage ist nur: Werden Dinge, die der Bürger nicht will, durch Erklärungen besser? Schlechte Fakten mit guten Storys aufzuhübschen ist Fairytelling. Wobei die Ampel nicht nur schlechte Fakten, sondern auch noch schlechte Storys hat. Nach jeder missglückten Wahl erzählt die Ampel und hier besonders die Kanzlerpartei SPD papageienhaft das gleiche: Wir müssen mehr rausgehen, mehr erklären, mehr für unsere Ziele werben. Als ob die Bürger in Sachsen und Thüringen die AfD wegen der verschleppten Rentenreform gewählt hätten.
Je uneinsichtiger die Story der Ampel wird, desto mehr fühlen sich AfD Wähler bestätigt. Und vielleicht auch die, die es noch nicht sind.
Was passiert, wenn die Dämonisierungsstory weiter erzählt wird?
In Ländern wie Italien oder der Schweiz sind Parteien in der Regierung, die der AfD nicht unähnlich sind. Deswegen geht dort nicht die Welt unter. Im Gegenteil: Eine Einbindung der AfD würde sie sogar entzaubern, weil dann Realpolitik angesagt wäre. Die etablierten Parteien, allen voran die CDU, tun der AfD allerdings den Gefallen, immer die dämonisierte Märtyrerpartei zu bleiben, die niemals beweisen muss, dass sie besser regieren kann. Somit bleibt die AfD für viele Menschen eine verlockende Illusion, deren Versprechen niemals geprüft werden müssen. Gleichzeitig geht die Dämonisierungsstory der AfD weiter, was ihr noch mehr Zustimmung bringt.
Wann wird das Ganze enden? Entweder, wenn die CDU im Sinne bester bismarkscher Realpolitik die AfD in die Wüste der Wirklichkeit und damit in die Verantwortung wirft. Oder die Dämonisierungsstory der AfD geht weiter und endet erst, wenn die AfD bei 50 oder gar 60 Prozent ist.
Heißt das, Unternehmen dürfen keine Feindbilder haben?
Ganz im Gegenteil. Unternehmen, die ihre Wettbewerber zu Feinden machen, haben oft zufriedenere Mitarbeiter und höhere Aktienkurse. Man denke an Cola und Pepsi, an Nike und Adidas, an Audi und Mercedes. Das Problem ist nur: Das Feindbild funktioniert am besten, wenn der Feind übermächtig ist. Wenn Sie ein kleines Unternehmen haben und gegen einen großen Wettbewerber kämpfen, dann greift die Underdog Story, weil alle Menschen den kleinen Rebellen mögen, den David gegen den Goliath.
Das Problem in der Politik ist nur: Die etablierte Politik sorgt dafür, dass die AfD sich als kleiner Rebell „David“ gebären darf, während sie, durch die ständige Dämonisierung, zur Größe eines Goliaths heranwächst.