Straßenschlachten und Schießereien - Der bizarre Krieg zwischen Clans und Rockern eskaliert: „Wer verkauft wo den Stoff?"

Rocker wie die Hells Angels und kriminelle arabische Clans verdienen im Rauschgift- und Rotlichtmilieu viel Geld. Manchmal machen sie bei Geschäften gemeinsame Sache, oft jedoch bekämpfen sie sich bis aufs Blut. Polizisten sehen die brutalen Fehden mit großer Sorge.

So richtig wollten die beiden Angeklagten nicht mit der Sprache heraus. Die Enddreißiger räumten im Schwurgerichtsprozess in Duisburg einzig ein, bei einer Massenschlägerei zwischen dem kurdisch-libanesischen Saado-Clan und der Rocker-Truppe Hells Angels am 4. Mai 2022 auf dem Hamborner Altmarkt gleich mehrfach auf ihre Gegner geschossen zu haben.

Zu den Hintergründen des Bandenkrieges äußerten sich die Schützen bis zum Urteil am 6. Juni nicht. Vermutlich ging es um Schutzgeld und die verlorene Ehre, weil das Duisburger Rocker-Charter ein Clan-Mitglied rausgeworfen hatte.

Wie so oft gilt auch in der Unterwelt der Ruhrmetropole das Gebot: Rede nie mit der Polizei! Zumal die Täter auf der jeweils anderen Seite standen. Oktay K. hatte laut dem Richterspruch im Namen der Höllenengel die Waffe gezogen.

Bandenkrieg zwischen Clan-Tätern und Rockern in NRW

Er kam allerdings mit einer milden Strafe von zweieinhalb Jahren wegen fahrlässiger Körperverletzung, illegalen Waffenbesitzes und Landfriedensbruchs davon. Da er bereits ein Jahr Untersuchungshaft abgesessen hatte, wurde der polizeibekannte Kuttenträger freigelassen.

Sein Kontrahent Kamil D., dessen Sippe zum Saado-Clan gehört, kassierte fünf Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung, illegalen Waffenbesitzes und Landfriedensbruchs. Die Clangröße hat wie die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil eingelegt.

Kurz nach dem Sturm der Hells Angels auf eine Döner-Bude der arabischen Großfamilie auf dem Altmarkt gerieten etwa 100 Männer aneinander. 29 Schüsse fielen, vier Personen wurden verletzt. Anhand von Videomaterial wurden 51 Schläger identifiziert, darunter auch der Duisburger Hells-Angels-Präsident. Wann weitere Anklagen gegen den Mob erfolgen, steht noch nicht fest.

„Da geht es darum, wer wo den Stoff verkauft"

Derweil befindet sich der dritte mutmaßliche Schütze, ebenfalls ein Saado-Angehöriger, weiterhin auf der Flucht. Nach FOCUS-online-Informationen hatte die Polizei Ahmet D. als einen der mutmaßlichen Schläger festgesetzt. Bald aber kam er frei und setzte sich zwei Tage nach den Straßenkämpfen nach Dubai ab. Seither wird nach ihm gefahndet.

Mit Blick auf die Geschehnisse in Duisburg geht Oliver Huth, NRW-Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), von Verteilungskämpfen zwischen der Rockergang und dem Clan aus. „Da geht es darum, wer wo den Stoff verkauft oder sein Rotlichtgeschäft oder Lokale betreibt“, so der Experte für Organisierte Kriminalität (OK) beim Landeskriminalamt NRW.

Im Duisburger Fall hätten viele Zeugen aus Angst vor Repressalien nicht ausgesagt. „Da gilt wie in Italien die Omerta, allerdings ist das generelle Schweigen dort durch Zeugen inzwischen strafbar“, erläutert der Landes-BDK-Vorsitzende, „vielleicht sollte man hierzulande über eine ähnliche gesetzliche Regelung nachdenken“.

Huth spricht von einem ambivalenten Verhältnis zwischen Rockern und Clans: „Mal verfolgt man gemeinsame Geschäftsinteressen, mal eskaliert der Streit um Einflussgebiete in den Städten in Straßenschlachten.“

"Und dann knallt’s“: Kripo-Mann Oliver Huth über Fehden

Nach seinen Angaben bestehen die kriminellen Rocker-Gruppierungen inzwischen „meist aus Leuten mit türkischen oder arabischen Wurzeln, häufig heuern auch Mitglieder kurdisch-libanesischer Großfamilien an, die halten sich aber oft nicht an den tradierten Codex, wechseln etwa von den Bandidos zu den Hells Angels und umgekehrt – und dann knallt’s.“

Ein Phänomen, das sich in der Berliner Unterwelt ähnlich widerspiegelt. Laut einer aktuellen LKA-Analyse nutzen Clan-Größen „ihre Verbindungen zu polizeilich relevanten Teilen der Rocker-, Türsteher-, Deutsch-Rap- und Kampfsportszene“. Gewerbliche Aktivitäten wie das Betreiben von Shisha-Bars, An- und Verkaufsgeschäften, Juwelierläden, Baubetrieben und Autovermietungen sind demnach ebenso szenetypisch wie „Aktivitäten im Bereich der Geldwäsche“.

Ende 2020 etwa durchsuchten OK-Ermittler an der Spree 33 Objekte der berüchtigten Abou-Chaker-Sippe und auch von Hells-Angels-Rockern. „Die Beschuldigten erzielten vor allem auf dem Gebiet des sogenannten ‚Gewaltinkassos’ sowie durch Betrugstaten und Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht unerhebliche Vermögenswerte“, hieß es in einer Mitteilung der Polizei und der Staatsanwaltschaft.

Miri-Clan zeigt Verflechtungen zwischen Motorrad-Gangs und Familien-Syndikaten

Unter anderem ging es um einen Betrug in Berlin-Friedrichshain, bei dem ein damals 80 Jahre altes Rentner-Ehepaar um ein Mehrfamilienhaus im Wert von drei Millionen Euro gebracht wurde. Zwei Abou-Chaker-Brüder sollen sich die Immobilie mit gefälschten Papieren ergaunert haben. Im November 2021 verhängte das Landgericht Berlin jeweils vier Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe. Der Bundesgerichtshof betätigte im Jahr darauf den Richterspruch.

Wie undurchsichtig das Beziehungsgeflecht zwischen kriminellen Motorrad-Gangs und arabischen Familien-Syndikaten erscheint, beweist der weitverzweigte Miri-Clan.

Der mutmaßliche Boss von Bremen zum Beispiel sorgte für Schlagzeilen, als er nach seiner Abschiebung in den Libanon 2019 trotz Einreiseverbots wieder in Bremen auftauchte. Ibrahim Miri galt längere Zeit als Präsident des inzwischen verbotenen Rockerclubs Mongol MC. Der Clan-Chef füllte etliche Strafakten, ehe er zu sechs Jahren Gefängnis wegen Drogenhandels verurteilt wurde.

Nachdem Miri die Strafe abgesessen hatte, dauerte es Jahre, bis der Staatenlose abgeschoben werden konnte. Seine illegale Rückkehr währte nicht lange. Erneut musste der Boss einen Flieger nach Beirut besteigen.

Mal vereint Seit an Seit, mal verfeindet bis aufs Blut

Die Allianzen zwischen Rockern und Clan-Größen wechseln wie das Wetter. Mal operiert man Seit an Seit, mal befehden sich beide Lager bis aufs Blut. So etwa, als 2016 ein Gangster der Miri Guerilla Nation im Konflikt mit den Hells Angels getötet wurde.

Das Miri-Netzwerk zählt zu den wichtigsten Akteuren in der hiesigen Clan-Welt. Allein in ihrem Haupteinflussbereich Bremen und Niedersachsen zählen die OK-Ermittler etwa 30 Familien mit insgesamt 2600 Angehörigen, bundesweit sollen es 8000 Mitglieder sein.

Längst haben Miri-Ableger über Bremen und Berlin hinaus ihre Aktivitäten auf Bochum, Herne, Dortmund und Essen sowie auf ostdeutsche Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen ausgeweitet.

Raubüberfälle, Einbrüche, Gewaltdelikte, Prostitution, illegaler Medikamentenhandel nebst Geldwäsche über den Ankauf von Immobilien stehen auf der Agenda der kriminellen Familienzweige – und natürlich der Rauschgifthandel. Allerdings steht nicht fest, wie viele Familienmitglieder tatsächlich illegalen Geschäften nachgehen.

Mit Baseballschlägern und Pistolen übernahmen die Miris ganze Straßenzüge

Seit 2014 mischt die Ruhr-Dependance in Bochum und vor allem in der Dortmunder Nordstadt den Drogenmarkt gegen die alteingesessenen Clan-Platzhirsche auf. Mit Baseballschlägern und Pistolen in der Hand übernahmen die Miris ganze Straßenzüge. Als Nächstes ging es gegen die mächtigen Rockerbanden.

So machten der mutmaßliche Clan-Boss, Esmat E, alias Sammy Miri, dem inzwischen verbotenen größten deutschen Bandidos-Chapter „Iron City“ das Terrain streitig. In der Folge entspann sich eine blutige Fehde. Der Konflikt schaukelte sich 2018 über Instagram hoch. Eine Schimpftirade jagte die andere – quasi ein verbales Boxen im Netz.

Als Hauptgegner trat Benjamin G. auf, offiziell arbeitete er als Friseur, tatsächlich soll der Kuttenträger zeitweilig das Dortmunder Bandidos-Chapter angeführt haben. Schließlich wurde es ernst: Am 8. September 2018 liefen Sammy Miri und andere Clanmitglieder vor dem Friseursalon des mehrfach vorbestraften Rockers auf. Man wolle ihn „zur Rede stellen“, hieß es.

Miri-Clan gegen Bandidos: Provokationen, Stiche, Schüsse

Die Situation eskalierte: Der Friseur und sein Komplize verfolgten Sammy Miri über die Straße. Bald holten sie den Flüchtigen ein, traten ihn zu Boden und stachen mit zwei Messern mehrmals auf ihr Opfer ein. Der Angriff verursachte tiefe Stiche und Schnitte an Beinen sowie Oberkörper. Die Klingen trennten ferner eine Arterie auf. Durch den starken Blutverlust habe zeitweilig Lebensgefahr bestanden, stellte die Polizei später fest. Miri überlebte schwerverletzt.

Noch in derselben Nacht beschossen Unbekannte das Bandidos-Vereinsheim. Ein Racheakt. Rocker-Friseur G. wurde zu vier Jahren Haft wegen der Messerattacke verurteilt. Da das Urteil lange Zeit nicht rechtskräftig war, befand sich der Salon-Mitarbeiter auf freiem Fuß.

Im Juli 2019 stürmte ein Mann in das Barber-Geschäft des Messerstechers und schoss ihm ins Bein. Während die Polizei nach dem Täter fahndete, postete Bandidos-Opfer Sammy Miri demonstrativ Fotos in den sozialen Netzwerken aus einem Pool auf Ibiza. So, als wollte der Can-Boss zeigen, dass er nichts mit dem Überfall auf seinen Angreifer zu tun hatte.

Im Hintergrund hingegen knüpfte der Dortmunder Miri-Clan neue Allianzen. So soll sich der Ober-Miri nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden mit dem Hauptgegner der Bandidos verbündet haben: den Hells Angels.