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"Strafe allein hilft nicht": Wie umgehen mit straffälligen Jugendlichen?

Das deutsche Jugendstrafrecht ist komplex. Und es will straffällig gewordene Jugendliche auf den richtigen Weg zurückbringen. Mit welchen Mitteln das gelingen kann, zeigte eine Doku im ZDF.

Jugendliche Straftäter sind in Deutschland keine Seltenheit: Allein im Jahr 2018 wurden etwa 29.000 von ihnen verurteilt. Doch warum werden Jugendliche überhaupt straffällig? Und welche Strafkonzepte gibt es? Die Doku "Wenn Kinder Täter werden - Was tun mit straffälligen Minderjährigen" von Liz Wieskerstrauch hat sich am Montagabend im ZDF eingehend damit beschäftigt.

Der Beitrag berichtete von Jugendlichen unterschiedlichen Alters, die aufgrund ihrer Vergehen Strafen absitzen müssen. Zunächst war da Tom, der wie alle im Beitrag gezeigten Jugendlichen in Wirklichkeit anders heißt. Die Liste seiner Delikte umfasse, nach eigener Aussage, "eigentlich einmal alles": Angefangen bei "Diebstahl mit Waffe" bis hin zur gefährlichen Körperverletzung. Am Ende wurde er zu gut zwei Jahren Jugendhaft verurteilt.

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Den Grund für seine Vergehen sehen Experten in seiner Kindheit, hieß es im Beitrag: Bereits mit neun Jahren sei er ins Heim gekommen, bis zum Alter von 15 Jahren sei er in zwölf Heimen gewesen. Immer wieder sei er herausgeworfen worden, immer wieder habe er die Schule gewechselt. In der JVA soll ihm nun Empathie vermittelt werden, das erklärte der Sozialarbeiter Steffen Bischof: "Wir hier im Gefängnis haben ganz klar die Aufgabe, diesen jungen Menschen im Jugendgefängnis wieder zurückzuhelfen in die Gesellschaft. Dazu zählt, dass wir sie damit konfrontieren, was sie draußen getan haben. Und dass sie wissen: Okay, das ist meine Verantwortung gewesen. Das wird sie für immer bleiben."

In einer besonderen Wohngruppe

Auch Daniel musste lernen, sich seine eigene Schuld einzugestehen. Bereits mit zehn Jahren habe der inzwischen 13-Jährige begonnen, kleine Mädchen zu missbrauchen. Über das Jugendamt sei er schließlich in eine Wohngruppe gekommen. Hier lebt er nun zusammen mit anderen straffälligen Jugendlichen zwischen acht und 13 Jahren. Seine Mutter darf ihn zwar regelmäßig besuchen, doch Privilegien wie Spielsachen musste er sich, nach Aussage seiner Betreuer, erst erarbeiten - durch gutes Benehmen.

"Es sah lange so aus, als ob er ein Soziopath ist", erklärte eine Betreuerin im Film. Seine Taten habe er lustig gefunden. "Wir haben wirklich lange gebraucht, um überhaupt einen Zugang zu dem Jungen zu finden. Wir waren zwischendurch auch schon in Versuchung aufzugeben und zu sagen: Das wird nichts." Inzwischen befinde er sich aber auf einem guten Weg,

Warum werden Kinder straffällig?

Die Schuldfähigkeit von Jugendlichen beginnt hierzulande mit 14 Jahren. Ab diesem Alter greift das Jugendstrafrecht. Ab Erreichen der Volljährigkeit bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres obliegt die Entscheidung, ob das Jugend- oder das Erwachsenenstrafrecht greift, den Richtern - ausgehend von der geistigen Reife des Täters.

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Doch warum werden Kinder überhaupt straffällig? Für den psychiologischen Gutachter Christoph Wewetzer war der fehlende Schulabschluss ein Grund. Hier müsste man viel früher einsteigen, meint er, doch Prävention koste natürlich viel Geld. Der Kriminologe Frieder Dünkel ging noch weiter: Er sieht Misshandlungen, aber auch die Freundeskreise als Risikofaktoren. Aber auch früher übermäßiger Alkoholkonsum wurde als Ursache genannt.

Falsche Freunde hatte auch Mario, der ebenfalls häufig straffällig wurde. Inzwischen lebt er im Seehaus e.V.. Dies ist ein Jugendgefängnis ohne Gitter. Aufgeteilt auf zwei Wohngemeinschaften leben und arbeiten hier mehrere straffällige Jugendliche, betreut jeweils von einer Hauselternfamilie. Sie erlernen eine Beruf und bekommen eine Chance, neu anzufangen. Werden sie straffällig, müssen sie zurück ins richtige Gefängnis.

Jugendkriminalität geht zurück

Eine Gefängnisstrafe ist bei jugendlichen Straftätern nicht oft das erste Mittel: Laut aktuellen Studien verhängten Richter viel häufiger sogenannte "Zuchtmittel", wie Verwarnungen oder mehrwöchige Arreste, oder aber Erziehungsmaßregeln. Dabei müssten die Täter eine Ausbildung ergreifen oder Sozialarbeit ableisten.

Damit es gar nicht erst so weit kommt, hat die Polizei Hamburg eine Abteilung zur Prävention eingerichtet: Jens Mollenhauer und Helge Westphal setzen hier zunächst auf den Dialog mit den Jugendlichen und ihren Eltern. Erst, wenn dieser nicht greift, kommt es zu Sanktionen wie Betretungsverboten von bestimmten Plätzen. Im Vergleich zu einer Haftstrafe sei diese Maßnahme aber immer noch deutlich niedrigschwelliger.

Und wie sieht es mit der Jugendkriminalität im Allgemeinen aus? Laut Dünkel habe sich Jugendstrafvolzug in den letzten Jahren gut entwickelt. Insgesamt würden immer weniger Jugendliche überhaupt straffällig. Deshalb gebe es auch weniger Gefangene als noch vor zehn Jahren. Für Dünkel ist das ein Erfolg.

Ein Grund zur Hoffnung?

Auch die im Film porträtierten Jugendlichen scheinen sich gut entwickelt zu haben: Gerade Mario habe in der Wohngruppe vieles von dem, was er zu Hause verpasst hat, nachholen können. Vor allem der Kontakt zu den leiblichen Kindern seiner Hauseltern täte ihm gut: "Wir empfinden das als sehr positiv, was wir mit den Kindern hier erleben, weil sie es immer wieder schaffen, den Jungs Seiten zu entlocken, die kein Sozialarbeiter, kein Erwachsener den jungen Männern entlocken kann", erklärte Franz Steinert, der Hausvater. Bald werde Mario entlassen und beginne eine Ausbildung zum Tischler, hieß es weiter.

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"Nach schweren Straftaten von Kindern oder Heranwachsenden wird immer die Debatte geführt, ob man das Jugendstrafrecht herabsetzen oder erweitern sollte", erklärte der Film am Ende. Vom Herabsetzen auf unter 14 Jahre hielten viele Experten nichts. Dass bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren jedoch vorwiegend das Jugendstrafrecht angewendet wird, sah Christoph Wewetzer kritisch: Seiner Meinung nach sollten Richter viel eher den einzelnen Täter genauer in Augenschein nehmen und herausfinden, an welchem Punkt in der Entwicklung er stehe.

Der Kriminologe Dünkel wiederum sah es anders: Er plädierte für eine Verlängerung des Jugendstrafrechts bis 25 Jahre. Weltweite Studien hätten ergeben, dass das Gehirn davor noch nicht ausgereift sei. Viele andere Experten sehen das anders. Bei einer Frage herrschte dennoch Einigkeit: "Wenn Kinder auffällig werden, müssen bei allen die Alarmglocken schrillen. Je früher ihnen geholfen wird, desto besser ist es." Dafür müssten jedoch alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

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