Strafprozess gegen AfD-Politiker - Gericht stoppt im letzten Moment linken Höcke-Kritiker, dann crashen Anwälte Prozess
Heute sollte im „Alles für Deutschland“-Prozess das Urteil gegen Björn Höcke fallen. Doch dessen Anwälte überziehen das Gericht mit einer Antragsflut, das Verfahren geht also weiter. Ein „politisch gefärbter“ Zeuge wird in letzter Minute ausgeladen – ein Eklat so vermieden.
Der Prozess startet mit einer Hammer-Nachricht: Dr. Yves Müller, der als sachverständiger Zeuge auftreten sollte, wurde kurzfristig „ausgeladen“, teilt Richter Jan Stengel mit. Eigentlich wollte der Experte über die nationalsozialistische „Sturmabteilung“ (SA) referieren, sein berufliches Steckenpferd.
Doch die Staatsanwaltschaft fand heraus, was jedermann bereits bei einer groben Recherche im Internet feststellen kann: Der am Institut für Landesgeschichte Sachsen-Anhalt wirkende Müller ist kein objektiver Zeuge – sondern offenbar ein strammer Linker, die sich in der Öffentlichkeit mehrmals negativ zur AfD und zu Höcke geäußert hat.
Der 41-jährige Historiker verfasste Beiträge unter anderem für die hochumstrittene Amadeu Antonio Stiftung, das Antifaschistische Infoblatt, das Neue Deutschland, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Antirassistische Zeitschrift ZAG.
„Linker“ Zeuge geladen - Richter: „Das geht einfach nicht“
Damit ist zumindest für das Gericht eine klare „politische Färbung“ des Zeugen erkennbar. Unvoreingenommenheit? Schwer vorstellbar.
„Wir haben Abstand genommen, ihn zu hören“, verkündet Stengel mürrisch und schiebt nach: „Das geht einfach nicht.“ Damit kommt der Vorsitzende Richter einem Antrag der Höcke-Verteidiger zuvor, die sich natürlich ebenfalls die Vita von Müller angeschaut haben und entsprechend interveniert hätten.
Aber die beiden Rechtsanwälte haben, wie zu erwarten, noch genug Pfeile im Köcher.
Gleich ein halbes Dutzend Beweisanträge stellt etwa Florian Gempe. So fordert er ein „historisches Sachverständigengutachten“. Es soll beweisen, dass „Alles für Deutschland“ bei der SA „keine Rolle“ gespielt habe und allenfalls „vereinzelt“ verwendet wurde.
Gempe will darauf hinaus, dass die Höcke vorgeworfene Parole gar „kein verbotenes Kennzeichen darstellt“ – und damit der Anklage den Boden entziehen. Ein durchaus kühnes Unterfangen.
Höcke-Verteidiger mit einer Flut an Beweisanträgen
Der Erfurter Anwalt wünscht des Weiteren, dass die Teilnehmer der AfD-Veranstaltung in Gera ausfindig gemacht werden, die im Dezember 2023 das Wort „Deutschland“ brüllten, nachdem der auf der Bühne stehende Höcke „Alles für…“ ins Mikrofon gerufen hatte. Diese Leute seien „als Zeugen zu laden“ und könnten sicherlich Höckes Unschuld bestätigen.
Schließlich beantragt der Anwalt, der beim Vorlesen der eigenen Schriftsitze nicht immer sattelfest wirkt, das „Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen“. Grund ist die seiner Meinung nach unzulässige Strafverfolgung von Höcke als Landtagsabgeordneter. Demnach sei er bei der Geraer Rede geschützt gewesen.
Auch Höcke-Beistand Ralf Hornemann wartet mit mehreren Anträgen auf. So begehrt er, dass im Gericht ein Artikel aus der Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ verlesen und eine Szene aus der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ gezeigt wird.
In diesen Medien hätten sich ein namhafter Staatsrechtler (Rupert Scholz) sowie ein bekannter Strafrechtsprofessor (Kai Ambos) zum Vorgehen der Justiz gegen Höcke geäußert. Scholz habe die Vorwürfe als „lächerlich“ bezeichnet, Ambos sei sicher, dass „99 Prozent der Bundesbürger“ den SA-Bezug des Slogans „Alles für Deutschland“ nicht kannten.
„Nicht das Schlechteste“: Kühler Saal, draußen Hitze
Richter Jan Stengel, der in seiner Karriere schon einiges hat erleben dürfen, scheint nicht sonderlich überrascht von der Antragsflut.
Er blickt kurz aus dem Panoramafenster in den sonnendurchfluteten Innenhof des Justizgebäudes. „Bei dem Wetter hier drinzusitzen, ist nicht das Schlechteste“, scherzt er. Draußen brütende Hitze, der Saal angenehm runtergekühlt – es könnte ein langer Verhandlungstag werden. Mehr als zwei Stunden Pause ordnet Stengel an, zur Prüfung der Anträge.
Kurz nach 12 geht es weiter. Staatsanwältin Viola Knatz findet klare Worte für die insgesamt acht Anträge der Verteidigung. In jedem einzelnen Fall befindet sie mit forensischer Kühle: „ist zurückzuweisen“, „ist abzulehnen“, „mehr als lebensfern“ oder Ähnliches.
Noch ahnt sie nicht, dass Höcke-Vertreter Hornemann sogleich einen weiteren Wunsch äußern wird. Er will, dass im Gericht der NS-Propagandafilm „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl abgespielt wird. Dauer: knapp zwei Stunden.
Dann stellt Anklagevertreter Benedikt Bernzen seinerseits fünf neue Beweisanträge, wobei Höcke, der im schwarzen BMW zum Prozess chauffiert wurde, wahlweise den Kopf schüttelt oder die Ausführungen seines Kontrahenten mit geschlossenen Augen über sich ergehen lässt.
Bernzen jedenfalls stellt fest, dass Höckes Demokratieverständnis „nicht mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist“. Einer der Gründe: Der Thüringer AfD-Chef hatte das Verfahren gegen ihn als „politischen Schauprozess“ bezeichnet.
Plötzlich wird es giftig: „Infam“ und „Schweinerei“
Angesichts der vielen Anträge sieht Richter Stengel den Zeitplan akut gefährdet und bittet die Verfahrensbeteiligten vorsorglich um die Freihaltung von weiteren Terminen. Ob das für heute geplante Urteil gesprochen werden kann – zu diesem Zeitpunkt mehr als fraglich.
Es folgt ein verbaler Schlagabtausch zwischen Verteidigung und Anklage. Höcke nennt die Ausführungen von Staatsanwalt Bernzen „infam“, sein Anwalt Hornemann spricht gar von einer „Schweinerei“. Streitpunkt ist die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften in Deutschland – und die von Höcke behauptete „Einflussnahme“ der Politik.
Höcke giftet gegen Bernzen: „Ich weiß nicht, wie viele Anrufe Sie vom Justizminister bekommen haben.“ Der Staatsanwalt lässt ihn auflaufen. „Ich trete mit Ihnen nicht in einen Dialog.“
Schließlich hat Richter Stengel das letzte Wort. Er lehnt einen Antrag der Staatsanwaltschaft ab, einen weiteren winkt er durch. Sich heute zu all den anderen Anträgen insbesondere der Höcke-Seite zu äußern, „würde den Rahmen sprengen“. Deshalb müsse der Prozess fortgesetzt werden.
Richter tröstet angespannten Höcke: „Das Leben ist so“
Nach längerer Diskussion – mal weilt Höcke im Auslandsurlaub und kann nicht nach Halle kommen, dann wieder ist einer seiner Anwälte unpässlich – einigt man sich auf den 1. Juli sowie den 15. Juli.
Dass Höcke am Wochenende vor dem ersten Termin auf dem AfD-Bundesparteitag in Essen voll im Einsatz ist und im Anschluss sofort nach Sachsen-Anhalt fahren muss, stört Richter Stengel nicht. „Das Leben ist so.“