„Strategie der Intransparenz“ - Schauen Sie mal, mit welchen Ausreden die Ampel bei kritischen Fragen mauert

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinen Ministerinnen und Ministern im Bundestag<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinen Ministerinnen und Ministern im BundestagKay Nietfeld/dpa

Die Bundestagspräsidentin ermahnt die Ampel, weil Anfragen der Opposition oft ohne substanzielle Antwort bleiben. Vier Beispiele zeigen, wie die Regierung kritische Nachfragen abblockt. Abgeordnete beklagen eine „Strategie der Intransparenz“.

Im Mai wurde es Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu bunt. Die SPD-Politikerin schickte einen Brandbrief an Wolfgang Schmidt, ihren Parteifreund und Chef des Bundeskanzleramts. In dem Schreiben prangert Bas eine „nicht akzeptable“ Entwicklung an: Die Bundesregierung mauere bei Anfragen der Opposition, diese würden „nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht fristgemäß beantwortet“.

Auch wenn Bas damit die von ihrer Partei geführte Regierung kritisiert, muss sie als Bundestagspräsidentin die Rechte der Abgeordneten verteidigen. Zu diesen gehört es unter anderem, sogenannte Kleine Anfragen einreichen zu können und diese innerhalb von zwei Wochen beantwortet zu bekommen. Wie wenig sich die Ampel darum kümmert, zeigt eine Reihe von Fällen, die FOCUS online zusammengetragen hat.

1. PCK-Raffinerie Schwedt: Geheimnisse, die nicht geheim sind

Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke berichtet von einigen Kleinen Anfragen, die nicht ausreichend beantwortet wurden, weil die Antworten geheim bleiben sollten. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Gruppe im Bundestag hatte sich zum Beispiel im Juli nach der Auslastung der PCK-Raffinerie Schwedt erkundigt. Die Bundesregierung hatte nämlich wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine entschieden, kein Öl aus Russland mehr zu importieren.

Zunächst ließ das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) die Frist zur Beantwortung verstreichen. Als die Antwort kam, waren dort keine konkreten Informationen zur Auslastung der Raffinerie zu finden. Stattdessen heißt es darin: „Daten zur Auslastung der Raffinerie sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen.“ Görke war irritiert – hatte doch Michael Kellner, Staatssekretär unter Habeck, in der Vergangenheit schon mehrfach öffentlich über genau solche Zahlen gesprochen.

Der Linken-Politiker schickte deshalb eine offizielle Beschwerde ans Wirtschaftsministerium. Görke klagte darin eine „massive Missachtung des parlamentarischen Fragerechts“ an. Zwar ließ das Ministerium erneut die Antwortfrist verstreichen – offenbarte dann aber die angeblich so geheimen Zahlen.

„Das Antwortverhalten der Bundesregierung ist unterirdisch“, sagt Görke im Gespräch mit FOCUS online. „Die Antworten kommen unpünktlich wie die Deutsche Bahn, man trickst mit Allgemeinplätzen oder versteckt sich hinter angeblichen Geheimschutzgründen. Man muss es so deutlich sagen: Das im Grundgesetz verankerte Fragerecht wird von der Ampel mit Füßen getreten.“ Ohne Beschwerden und Beharren auf Antworten würden viele Sachverhalte nicht ans Licht kommen.

2. EM-Tickets für Ministerien: Mit ungefragten Informationen vom Kern ablenken

Nach der Europameisterschaft machte Ende Juli die Nachricht Schlagzeilen, welcher Minister wie viele Freikarten für die Fußballspiele erhalten hatte. Die Informationen gingen zurück auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Jan Korte. Ohne sein Beharren wären die Zahlen nicht ans Licht gekommen.

Mit einer Kleinen Anfrage wollte er die Gesamtzahl der Freikarten und ihre Verteilung in Erfahrung bringen. Statt genau diese Zahlen zu liefern, erklärte das Innenministerium von Nancy Faeser (SPD), wie viele Karten pro EM-Spielrunde zur Verfügung standen. Die Antwort samt dieser Tabelle erweckte so den Anschein, sehr detailliert zu sein – verschleierte aber, dass die ursprüngliche Frage nicht beantwortet wurde.

Korte beschwerte sich daraufhin im Ministerium. 16 Tage später erhielt er dann die korrekte Tabelle mit der Aufteilung der Freikarten. Und siehe da: Die meisten Tickets gingen ausgerechnet an das Haus von Innen- und Sportministerin Faeser.

3. Heizungsgesetz: Abgeordnete mit verkürzten Verfahren überrumpeln

Die Bundestagspräsidentin ist nicht die einzige Instanz, die die Regierung schon für ihren Umgang mit der Opposition abgekanzelt hat. Im vergangenen Jahr hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, weil die Ampel das Heizungsgesetz nach langem Streit schnell durch den Bundestag peitschen wollte.

Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe stoppten dann tatsächlich das verkürzte Verfahren. Dem Bundestag wurde untersagt, das Gesetz abschließend zu beraten und darüber abzustimmen, wenn der Entwurf den Abgeordneten nicht mindestens 14 Tage vorher schriftlich vorliegt.

Das Interesse an der Vermeidung einer irreversiblen Verletzung der Beteiligungsrechte der Abgeordneten wiege schwerer als der Eingriff in die Verfahrensautonomie des Bundestages, erklärte das Gericht damals. Konkret heißt das: Die Politiker, insbesondere aus der Opposition, müssen genug Zeit haben, um Gesetzte vor der Abstimmung zu prüfen. Sie dürfen nicht mit kurzen Fristen überrumpelt werden – vor allem nicht, wenn die Regierung selbst regelmäßig Fristen reißt.

4. Visa-Affäre: Mauertaktik bei Skandalen

Das Außenministerium von Annalena Baerbock (Grüne) sieht sich schon länger Vorwürfen ausgesetzt, trotzt gefälschter Pässe Visa erteilt zu haben. Immer wieder versuchen Abgeordnete von Union und AfD in der schwelenden Affäre für Aufklärung zu sorgen. Mit ihren Fragen und Kleinen Anfragen an die Bundesregierung kommen sie aber nicht weit, denn das Auswärtige Amt mauert konsequent.

Die Methoden dabei sind vielfältig. So ließ das Ministerium zum Beispiel ganze acht Fragen der AfD unbeantwortet, in dem das Baerbock-Haus darauf verwies, man führe keine entsprechenden Statistiken. Oft fällt seitens des Ministeriums auch der Hinweis, die erfragten Informationen seien als vertraulich eingestuft.

Die Union wollte dieses Argument nicht auf sich beruhen lassen und hakte mit einer weiteren Kleinen Anfrage nach, warum in diesem Fall Vertraulichkeit gelte. Die Antwort des Auswärtigen Amts: „Das parlamentarische Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten und die Antwortpflicht der Bundesregierung unterliegen Grenzen.“ Das Bundesverfassungsgericht habe schutzwürdige Interessen der Regierung definiert, die dem Informationsanspruch entgegenstehen würden. Das sei etwa der Fall, wenn das Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden könne.

Ende Juli stellte die Unionsfraktion erneut eine Anfrage zur Visa-Affäre. Eine fristgerechte Antwort hätte in der laufenden Woche erfolgen müssen. Die Abgeordneten müssen sich allerdings länger gedulden: Die Bundesregierung hat um Fristverlängerung bis zum 23. August gebeten.

„Mauer-Regierung“ fährt „Strategie der Intransparenz“

Die Geduld von Thorsten Frei, dem Parlamentarische Geschäftsführer der Union, ist allerdings am Ende. FOCUS online sagte er: „Es ist schon geradezu frech, mit welcher Kaltschnäuzigkeit parlamentarische Anfragen nicht ordnungsgemäß oder nicht fristgemäß beantwortet werden.“ Er droht: „Dieses unwürdige Versteckspiel wird der Bundesregierung jedoch nicht weiterhelfen.“

Andere Abgeordnete in der Fraktion beklagen, dass auch ein anderer Weg der Informationsbeschaffung deutlich erschwert sei. Es werde immer schwieriger, informelle Kontakte in die Ministerien zu bekommen. Dort hätten die Ampelminister Mitarbeiter mit Nähe zu CDU oder CSU durch ihre Vertrauten ersetzt. Es würde genau beobachtet, wo und von wem Informationen an die Opposition gelangen würden. Die Rede ist von einer „Mauer-Regierung“, die eine „Strategie der Intransparenz“ fahre.