Streit, Gewalt, Trennung - Gefährdete Kinder: Anwältin sagt, wann Sie das Jugendamt einschalten sollten
In einer Gesellschaft, die den Schutz der Schwächsten großschreiben sollte, gibt Anwältin Sandra Günther wertvolle Einblicke, wie man bei einer vermuteten Kindeswohlgefährdung vorgehen sollte.
Was sind die ersten Schritte, die man unternehmen sollte, wenn man eine Kindeswohlgefährdung vermutet?
Der Weg zum Jugendamt ist eine Alternative, um einer möglichen Kindeswohlgefährdung entgegenzuwirken. Eine Kindeswohlgefährdung bedeutet übrigens nicht zwingend, dass bei dem Kind sichtbare Verletzungen vorhanden sind. Nein. Kindeswohlgefährdung kann auch still geschehen, nämlich durch psychische Gewalt, wie Verwahrlosung oder Missachtung der Bedürfnisse des Kindes.
Wenn in einer Familie ständig geschrien wird, wenn die Kinder wenig zu Essen bekommen, wenn die Eltern nach einer Trennung das Kind mit in die Streitigkeiten einbeziehen, kann dies Alles eine Kindeswohlgefährdung sein. Heutzutage schauen immer noch viele Menschen weg, da sie ihrem Gegenüber nicht zu nahetreten möchten. Wegschauen kann aber massive Folgen für das betroffene Kind haben.
Es gibt auch Ehen, in denen sich auf einmal herausstellt, dass der Kindesvater eine Tendenz zur Kinderpornographie hat. In solchen Fällen hat die Kindesmutter die Pflicht, dafür zu sorgen, das Kind nicht mit dem Kindesvater allein zu lassen.
Das Jugendamt stellt hierzu extra Schutzpläne auf, in denen klar definiert wird, wie sich die Kindesmutter zu verhalten hat, um das Kind zu schützen. Dies kann im Ernstfall auch bedeutet, dass die Kindesmutter sich von dem Kindesvater zu trennen hat.
Sollte sich herausstellen, dass die Kindesmutter dem Schutzplan des Jugendamtes nicht folgt, kann am Ende auch eine Inobhutnahme stehen. Dies habe ich in meiner beruflichen Praxis leider schon oft erlebt. Der Grund ist meist, dass die Kindesmutter sich von dem Partner nicht abgrenzen kann. Dies geht dann zu Lasten des Kindes.
Wie kann man als Elternteil das Wohl des Kindes während und nach einer Trennung oder Scheidung sicherstellen?
Eine Trennung ist für alle Beteiligten eine schwierige und besondere Situation. Eine Familie bricht auseinander. Aber seien wir ehrlich: Eine Familie, die funktioniert hat, würde nicht auseinanderbrechen, oder? Eine Trennung ist somit meist die Lösung für ein suboptimales Zusammenleben.
Während dies dem einen oder anderen Erwachsenen klar ist, sieht dies für betroffene Kinder anders aus. Kinder lieben beide Elternteile. Nun birgt eine Trennung immer die Gefahr, dass Kinder ein Elternteil weniger sehen können. Es sei denn, es wird das Wechselmodel gelebt. Dies kann dann schon der Beginn eines Traumas sein, wenn die Eltern dem Kind nicht richtig vermitteln können, dass das Kind beide Elternteile lieben und weiterhin regelmäßig sehen darf.
Wenn nun ein Elternteil mit der Trennung nicht zurechtkommt oder die Beziehung insgesamt toxisch war, kann sich dies negativ auf das Kind auswirken. Da werden Kinder mit in die Auseinandersetzungen einbezogen, nach einem Umgangskontakt von dem anderen Elternteil verhört oder ähnliches.
Auch ständiges Weinen vor einem Kind trägt nicht dazu bei, das Kindeswohl sicherzustellen. Betroffene sollten daher zumindest versuchen, Kinder aus den Streitigkeiten herauszuhalten. Dies ist nicht immer einfach, aber es schützt das Kindeswohl. Hier kommen drei Tipps für Eltern, die in Trennung leben:
Dem Kind sollte immer vermittelt werden, dass es in Ordnung ist, beide Elternteil zu lieben.
Das Kind sollte zu jeder Zeit den getrenntlebenden Elternteil sehen oder anrufen dürfen.
Streitigkeiten oder sonstige emotionale Dramen sollten unbedingt von dem Kind ferngehalten werden.
Zugegeben ist es schwierig, immer die Fassung zu bewahren, aber der Weg ist das Ziel. Wenn dies gar nicht klappt, dann gibt es sogenannte Elternberatungsstellen, die dabei helfen können, die Kommunikation zwischen den Eltern wieder zu verbessern.
Ein Versuch ist es immer wert. Gerade während einer Trennung oder auch nach einer Scheidung ist es wichtig, sensibel für das Kind zu sein, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben und dieses emotionale aufzufangen, wenn es einmal traurig oder wütend über die Trennungssituation ist.
Wie wirkt sich häufiges Streiten der Eltern auf das Wohlbefinden und die Entwicklung des Kindes aus?
Für Kinder sind Streitigkeiten zwischen den Erwachsenen oft eine emotionale Überforderung. Kinder sind noch nicht so weit entwickelt, dass die Fähigkeit haben, mit derartigen Situationen gut umzugehen. Nicht einmal wir Erwachsenen sind durchweg dazu in der Lage, einen schlimmen Streit emotional zu verkraften und zu verarbeiten.
Streitigkeiten zwischen Eltern können daher für Kinder massive Auswirkungen bei ihrer psycho-emotionalen Entwicklung haben. Bindungsstörungen, Depressionen und andere Verhaltensstörungen können die Folge sein. Nicht jedes Kind ist diesbezüglich resilient genug.
In den meisten Ehen und Partnerschaften wird hin und wieder gestritten. Frust über mangelnde Aufmerksamkeit und Wertschätzung, wenig Geld, unterschiedliche Erziehungsstile und vieles mehr können der Auslöser sein. Es gibt jedoch Paare, die streiten, indem sie etwas ausdiskutieren, und dann gibt es die Paare, wo es regelmäßig eskaliert. Da wird sich beleidigt, bedroht oder sogar körperlich angegangen. Die Kinder stehen dazwischen und schließen sich dann aber meist demjenigen an, der vermeintlich das „Opfer“ ist.
Dies ist der normale Überlebenstrieb eines Kindes. Es schließt sich meist demjenigen an, der vermeintlich schwächer ist und der sich überwiegend um das Kind kümmert. Dadurch gelangt ein Kind in den sogenannten Loyalitätskonflikt. Der sich so auswirken kann, dass das Kind sich irgendwann nicht mehr traut, mit dem anderen Elternteil Nähe auszutauschen oder Spaß mit ihm zu haben. Das Kind traut sich einfach nicht.
Es ist verunsichert und meint fälschlicherweise, es müsse sich dem vermeintlich schwächeren Elternteil gegenüber loyal verhalten. Dies kann auf lange Strecke verheerende psychische Auswirkungen für das Kind haben.
Wann nimmt das Jugendamt ein Kind in Obhut?
Das Jugendamt ist immer dann involviert, wenn ersichtlich ist, dass Kinder in Familien nicht kindeswohlgerecht aufwachsen oder aufwachsen können oder sich eine Kindeswohlgefährdung zumindest anbahnt. Das Jugendamt ist dann dazu da, mit den Eltern Lösungen zu erarbeiten, um das Miteinander besser zu gestalten.
Ein Beispiel: Ein Kind ist verhaltensauffällig, die Schule meldet dies den Eltern und bittet darum, das Kind einmal therapeutisch anzubinden, um die Ursache herauszufinden. Die Eltern des Kindes sehen dies nicht ein. Sie meinen, ihr Kind sei völlig normal und eine Therapie sei überflüssig.
Das Kind wirkt in der Schule abwesend, es lernt nicht und es ist auch gegenüber den anderen Kindern aggressiv. Die Schule kann ihre Beobachtungen dann dem Jugendamt mitteilen, wenn es der Auffassung ist, dass das Kindeswohl in diesem Fall gefährdet sein kann. Das Jugendamt macht einen Hausbesuch. Es erlebt die Eltern uneinsichtig, kognitiv nicht in der Lage, die Situation zu verstehen, die Wohnung wirkt chaotisch und ein Kinderzimmer ist nicht vorhanden. Ist, aus Sicht des Jugendamtes, eine dringende Gefahr für das Kindeswohl gegeben, kann das Jugendamt oder Polizei das Kind aus der Familie nehmen.
Das Jugendamt kann die Inobhutnahme sofort vollziehen oder einen Gefährdungsantrag beim Familiengericht stellen. Es folgt dann eine familienrechtliche Verhandlung, in welchem die Eltern möglicherweise die Chance bekommen, ihr Verhalten zu verbessern und daran mitzuwirken, dass es ihrem Kind besser geht. Bei einem solchen Verfahren ist dann meist auch der Verfahrensbeistand, der Anwalt des Kindes, zugegen.
Sollte das Familiengericht der Auffassung sein, dass den Eltern eine Chance zur Bewährung zu geben ist, wird die protokolliert. Zum Beispiel mit der Auflage, dass das Kind einem Therapeuten vorgestellt wird und ein Zimmer für das Kind zur Verfügung gestellt wird. Meist wird auch eine Familienhilfe installiert, die die Aufgabe hat, die Familie wöchentlich zu begleiten und zu helfen.
Wenn dies dann Alles nicht funktioniert, die Eltern sich nicht um einen Therapieplatz kümmern und das Kind weiterhin verwahrlosen lassen, wird das Kind aller Voraussicht nach in Obhut genommen. Eine dramatische Situation für ein Kind, welches naturgemäß die Eltern liebt.
Was tun bei Gewalt in der Ehe?
Sollte in einer Ehe regelmäßig Gewalt ein Thema sein, dann sind auch hier die Kinder zu schützen. Viele Menschen verstehen nicht, dass es auch die gemeinsamen Kinder betrifft, wenn sie von ihrem Partner geschlagen werden. Wenn Kinder häufig erleben, wie ihre eigene Mutter von dem Vater geschlagen, gewürgt oder getreten wird, dann macht dies etwas mit Kindern. Sie leben in der ständigen Angst, ihrer Mutter könnte etwas Schlimmes passieren. Sie sind somit in psycho-emotionaler Hinsicht immer auf „ Alarmbereitschaft“ gestellt.
Dies beinhaltet, das Kinder innerliche nicht zur Ruhe kommen können. Die Folge können Konzentrationsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten wie Einnässen, oder aggressives Verhalten sein. Bei Gewalt in der Partnerschaft ist es angezeigt, sich von dem gewalttätigen Partner zu trennen. Wenn nicht für die Betroffene selbst, dann aber definitiv für das Kind. Erfolgt eine Trennung von dem gewalttätigen Partner nicht und das Jugendamt ist bereits involviert, kann auch hier eine Inobhutnahme die Folge sein.
Man geht dann davon aus, dass die Kindesmutter nicht in der Lage ist, sich von dem Partner abzugrenzen und damit auch nicht in der Lage ist, an die Belange und Bedürfnisse des Kindes zu denken. Vielen Frauen, die geschlagen werden, gelingt es trotzdem nicht, sich von dem Partner zu trennen. Es ist eine emotionale Abhängigkeit.
Diese Frauen sind es gewohnt, sich schlecht behandeln zu lassen und sind meist auch nicht in der Lage, an das Kindeswohl zu denken. Sie brauchen oft selbst eine Therapie und viel Zeit, um das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. In derartigen Fällen ist es für das Kind besser, aus der Familie genommen zu werden, um selbst zur Ruhe zu kommen.
Schön ist dies für sämtliche Beteiligte natürlich nicht. Aber wenn die Erwachsenen nicht in der Lage sind, ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen und sich und das Kind zu schützen, dann müssen eben andere Menschen dafür sorgen, dass das Kind den Schutz erfährt, welches ihm zusteht.