Streitbare Vorschläge - Zurück zum Atom, langsamer raus aus Kohle: Das steckt im CDU-Energiepapier
Zwei CDU-Abgeordnete haben in der vergangenen Woche ein Diskussionspapier zur Energiepolitik vorgelegt. Vordergründig soll damit zwar Klimaschutz gefördert werden, praktisch würde er aber ausgebremst. Das müssen Sie zur CDU-Position wissen.
Die beiden CDU-Abgeordneten und stellvertretenden Parteivorsitzenden Andreas Jung und Jens Spahn haben in der vergangenen Woche im Namen der gesamten CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein Diskussionspapier vorgelegt. Darin geht es um die künftige Energiepolitik in Deutschland aus Sicht der beiden konservativen Parteien. Revolutionär neues steht nicht auf den 12 Seiten des Papieres, es ist mehr eine Zusammenfassung der bekannten Positionen der CDU/CSU. Es lohnt sich aber trotzdem, deren Vorschläge und die Auswirkungen derselbigen noch einmal unter die Lupe zu nehmen.
Der Grundsatz: Klimaschutz, aber wirtschaftlich
Der größte Vorwurf, den die beiden Oppositionsparteien der Klimapolitik der Ampel machen, ist, dass diese zu radikal daherkommt und Privatmenschen wie Unternehmen überfordert. Sie machen das daran fest, dass zu viel im Detail vorgegeben wird, sei es etwa der Ausbau von Wind- und Solarenergie, aber auch etwa die Vorgaben des Gebäudeenergiegesetzes. Sie kritisieren, dass dadurch etwa die Strompreise stark steigen würden und sich Unternehmen dadurch zum Beispiel Investitionen in klimafreundliche Anlagen gar nicht mehr leisten könnten. Mit der Energiepolitik der CDU/CSU solle sich das ändern, weil diese Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit zusammen denke. Stichwort dabei soll auch die oft gepriesene Technologieoffenheit sein, die bei der Politik der Ampel fehle.
Schon dieser Grundsatz ist zumindest diskutabel. Das fängt damit an, dass die Unionsparteien 16 Jahre Gelegenheit gehabt hätten, eine Klimapolitik in dieser Art durchzusetzen. Stattdessen musste erst das Bundesverfassungsgericht sie mit einem Urteil dazu zwingen, die Klimaneutralität bis 2045 tatsächlich umzusetzen. Allerdings kann natürlich jede Partei aus ihren Fehlern lernen und entsprechend neue Konzepte präsentieren.
Die Kritik an der Ampelpolitik hat zumindest teilweise eine Berechtigung. Das Gebäudeenergiegesetz musste etwa lange Anlauf und viele Diskussionen nehmen, bis es schließlich mit vielen Änderungen beschlossen wurde. Die von der Union beschworene Technologieoffenheit findet sich dort aber, so wird schließlich jede Heizung darin akzeptiert und sogar gefördert, die mit 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben wird.
Dass die Strom- und Energiepreise in Deutschland nicht nur für Verbraucher, sondern gerade für die Industrie spätestens seit der Energiekrise 2022 sehr hoch sind, ist ebenfalls richtig. Zwar hat die Ampel die Krise selbst gut gemeistert und die Preise sind seitdem auch wieder stark gesunken. Doch Erdgas und auch Strom sind heute noch deutlich teurer als vor wenigen Jahren. Gas kostet derzeit an der Börse zwei bis dreimal so viel wie vor 5 Jahren, der Strompreis liegt laut dem Vergleichsportal Verivox mit durchschnittlich 37 Cent pro Kilowattstunde für Haushalte rund 25 Prozent höher als 2019. Zwar ist der Anstieg nicht zwingend der Ampel zuzuschreiben, allerdings hat diese bisher auch keine Konzepte vorgelegt, um die Preise kurzfristig wieder zu senken.
Vorschlag 1: Langsamere Abschaltung von Kohlekraftwerken
Der Kohleausstieg wurde noch 2021 unter der Großen Koalition beschlossen. Er sieht eine schrittweise Abschaltung aller noch bestehenden Braun- und Steinkohlekraftwerke bis zum Jahr 2038 vor. 16 der 38 größten Braunkohlekraftwerke wurden seitdem bereits abgeschaltet, 13 der 39 größten Steinkohlekraftwerke ebenfalls. Jedes Jahr sollen mehr Kraftwerke vom Netz genommen oder in die Reserve verschoben werden.
Den Kohleausstieg will die Union grundsätzlich nicht in Frage stellen, sie hat ihn schließlich selbst beschlossen. Allerdings soll die s gestoppt werden. Stattdessen soll ein Kohlekraftwerk nur noch vom Netz gehen, wenn dafür ein neues Gaskraftwerk in Betrieb genommen wird.
Der Vorschlag der Union zielt auf das Thema Versorgungssicherheit ab. Es besteht die Sorge, dass Deutschland ohne genügend fossile Kraftwerke, die unabhängig vom Wetter betrieben werden können, in schlechten Zeiten, etwa der berüchtigten Dunkelflaute, nicht genug Strom selbst produzieren kann. Die Bundesregierung hat dafür im Frühjahr eine Kraftwerksstrategie beschlossen. Sie sieht den Neubau von Gaskraftwerken in mehreren Schüben bis 2030 vor, die später auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden können. Energiekonzerne wie Uniper begrüßten das, allerdings ist die Finanzierung der neuen Kraftwerke noch nicht beschlossen.
Geplant ist, dass die ersten Kraftwerksbauten dieses Jahr ausgeschrieben werden und ab 2028 ans Netz gehen. Der CDU-Plan würde bis dahin also den Betrieb von drei großen und einem mittelgroßen Kohlekraftwerk verlängern, mehr Abschaltungen sind bis 2028 sowieso nicht geplant. Hinzu kommen weitere Kraftwerke, deren Abschaltung jetzt schon an der Inbetriebnahme eines neuen Gaskraftwerkes in Heilbronn hängt.
Vorschlag 2: Wiedereinstieg in Kernkraft
Wie den Kohleausstieg hatte die CDU/CSU auch den Atomausstieg selbst beschlossen. Dass die Ampel den wie geplant 2023 durchführte, sehen die Unionsparteien heute aber als „ideologisch motivierte Fehlentscheidung“, auch wenn es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, dass die Abschaltung Deutschland in irgendeiner Weise geschadet hat. Trotzdem will die Union prüfen lassen, ob sich Kernkraftwerke in Deutschland wieder in Betrieb nehmen lassen. Das wird dadurch erschwert, dass sich die meisten bereits im Rückbau befinden, der je nach Stadium nicht mehr ökonomisch sinnvoll gestoppt und umgekehrt werden kann. Wenn möglich, soll Kernenergie Teil des deutschen Strommixes bleiben.
Die Unionsforderung hat zwei Dimensionen. Rein technisch wäre es wohl möglich, fünf Meiler in Deutschland binnen zwei Jahren wieder ans Netz zu bringen. Hier ist der Rückbau noch nicht sehr weit fortgeschritten war und die wichtigsten Komponenten existieren noch, sagte der Physiker Ulrich Waas dem ZDF im September. Er war früher Mitglied der Reaktorsicherheitskommission. Fraglich ist aber, ob sich das wirtschaftlich lohnt. Zum einen hat der Rückbau bis jetzt schon viel Geld gekostet, welches verloren wäre, zum anderen müsste noch mehr investiert werden, um Rückbauten rückgängig zu machen. Dann müsste neues Personal gefunden und eingestellt und neue Brennstäbe aus dem Ausland gekauft werden. Schließlich wäre auch ungeachtet dieser Extrakosten Strom aus Kernkraftwerken der teuerste Strom im deutschen Strommix – Umweltkosten mit eingerechnet.
Daneben will die Union auch die Entwicklung neuer Reaktortechnologien und die ewige Suche nach einem Endlager für Atomabfälle in Deutschland fördern.
Vorschlag 3: Stromautobahnen über Land bauen
Unbestritten ist, dass Deutschland für den Strommarkt der Zukunft neue Hochspannungsleitungen, trivial Stromautobahnen genannt, braucht. Sie müssen den hauptsächlich im Norden produzierten Windstrom in den Süden transportieren, wo eine Mehrheit der Industriebetriebe ihn verbrauchen würde. Geplant sind diese HGÜ-Leitungen schon lange, der Bau hapert aber. Das Problem ist, dass zwar jeder die Leitungen will, aber nicht in seinem Ort, Region oder Bundesland. Besonders in Niedersachsen, Thüringen und Bayern gab es zahlreiche Protestbewegungen gegen den Bau der oberirdischen Trassen. Dem schlossen sich auch die Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD, Niedersachsen), Bodo Ramelow (Linke, Thüringen) und Markus Söder (CSU, Bayern) an. Söder änderte seine Meinung – wie so oft – erst in diesem Jahr, nachdem die Planungen von Freileitungen auf unterirdische Kabel umgestellt wurden.
Aus rein wirtschaftlicher Sicht ergibt die Unionsforderung nach Freileitungen Sinn. Sie sind wesentlich günstiger und schneller im Bau. Wie die Parteien die Akzeptanz dafür bei den jeweiligen Anwohnern aber herstellen wollen, verrät das Papier nicht. Schließlich sahen die ursprünglichen Planungen eben sowieso Freileitungen vor.
Daneben fordert die Union weitere Maßnahmen, um die Energiewende kosteneffektiver zu gestalten, bleibt dabei aber meist vage. Die Rede ist von einer realistischen Energiebedarfsanalyse, ohne zu erklären, warum die aktuellen Analysen unrealistisch sind, einer Energiehandelsstrategie ohne Details und einer besseren Planung von Offshore-Wind.
Vorschlag 4: Mehr Technologieoffenheit
Die Union findet, dass sich die Ampelpolitik bisher zu stark auf Wind- und Solarenergie fokussiert und andere erneuerbare Energien außer Acht lässt. So sollen etwa Wasserkraft, Geothermie und Bioenergie – letzteres meint hauptsächlich das Verbrennen von Holz – stärker gefördert werden. Auch sollen neben grünem auch blauer und türkiser Wasserstoff eine Rolle spielen. Dafür soll das Wasserstoffnetz stärker ausgebaut werden als bisher geplant. Zur Technologieoffenheit gehört für die CDU/CSU auch, das Verbrennerverbot zurückzunehmen, das Gebäudeenergiegesetz soll zumindest teilweise zurückgenommen werden – welcher Teil gemeint ist, verrät das Papier nicht. Die Steuerung der Technologien soll stattdessen über die CO2-Bepreisung erfolgen, so dass sich die klimaneutralsten Technologien automatisch durchsetzen.
Dieser Vorschlag ist der problematischste im gesamten Papier, denn die Union führt hier gleich mehrfach in die Irre. Die eine falsche Unterstellung ist, dass die Ampel keine Technologieoffenheit fördert. Im Gebäudeenergiegesetz wird etwa keine Technologie vorgeschrieben, stattdessen ist jede erlaubt und gefördert, die die Klimaziele erfüllt – egal, ob Wärmepumpe, Brennstoffzelle, Biomasse oder eine andere Technologie. Eine Änderung des Gesetzes sieht auch die Industrie kritisch: „Die Rücknahme des Heizungsgesetzes wäre katastrophal und ein Genickbruch für die erneuerbare Heizungsindustrie in Deutschland“, sagt etwa Bastian Gierull, CEO des Anbieters Octopus Energy.
Auch das Verbrennerverbot ab 2035 verhindert keine klimaneutralen Technologien. Im Gegenteil, im Gesetz der EU ist explizit geregelt, dass Neuwagen mit emissionsfreien Verbrennungsmotoren weiterhin verkauft werden dürfen.
Die zweite falsche Unterstellung ist, dass Technologien wie Biomasse, blauer und türkiser Wasserstoff emissionsfrei seien. Zwar stimmt es, dass beim Verbrennen von Biomasse wie Holz nur das CO2 freigesetzt wird, dass die Biomasse zuvor aus der Atmosphäre abgezogen hat, aber geschieht die Freisetzung eben viel schneller als der Abzug. Mit dem gleichen Argument könnte man Öl verbrennen, denn das darin gespeicherte CO2 war zuvor ebenfalls irgendwann Teil der Atmosphäre. Somit ist Biomasse nicht klimaneutral. Gleiches gilt für die andersfarblichen Wasserstoffe. Während grüner Wasserstoff aus Wasser und erneuerbaren Energien gewonnen wird und damit tatsächlich emissionsfrei ist, entsteht blauer Wasserstoff aus Erdgas, bei dem CO2 als Abfallprodukt anfällt. Das wird zwar bei der Herstellung aufgefangen, wo es gelagert werden soll, ist aber noch unklar. Außerdem werden zumindest kleine Mengen an CO2 und Methan in die Atmosphäre abgegeben. Türkiser Wasserstoff wird aus dem in Erdgas befindlichen Methan mit erneuerbaren Energien produziert. Dabei entsteht fester Kohlenstoff als Abfallprodukt, was tatsächlich klimaneutral ist, wenn dieser nicht wieder verbrannt wird. Allerdings entstehen bei der Erdgasförderung viel mehr Abgase als bei der Nutzung von Wasser als Ausgangsstoff. Somit ist auch türkiser Wasserstoff nicht klimaneutral.
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Vorschlag 5: Ausbau der CO2-Bepreisung
Da der CO2-Preis das wesentliche Mittel der Steuerung der Energiewende werden soll, will die Union den Mechanismus möglichst schnell auf alle Sektoren der Wirtschaft und auch auf Länder außerhalb der EU ausweiten. Die Idee ist gut und würde sicher auch von den Ampelparteien mitgetragen, allerdings bleiben die Unionsparteien auch hier Details schuldig, welche weiteren Länder wie davon überzeugt werden sollen, am EU-Emissionshandel teilzunehmen. Ebenso fraglich ist, wie die Union den Widerstand anderer EU-Länder gegen eine Ausweitung des Preises überwinden möchte.