Jubel und blankes Entsetzen: Supreme Court hebt Recht auf Abtreibung auf

Die Entscheidung kommt einem politischen Erdbeben gleich: Der Oberste US-Gerichtshof hat den verfassungsrechtlichen Schutz der Abtreibung, der fast 50 Jahre lang galt, beendet.

Die mehrheitlich konservativen Richter hoben das Grundsatzurteil "Roe v. Wade" von 1973 auf und ebneten damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze. Es wird erwartet, dass das Ergebnis vom Freitag zu einem Abtreibungsverbot in etwa der Hälfte der Bundesstaaten führen wird.

Biden nennt Abtreibungsurteil "tragischen Fehler"

Unmittelbar nach der Verkündung kam versammelten sich Abtreibungsbefürworter und -gegner vor dem Supreme Court in Washington. Die einen jubelten, die anderen versprachen entsetzt, mit allen Mitteln gegen das Urteil zu kämpfen.

US-Präsident Joe Biden sprach von einem tragischen Fehler. Die Richter hätten dem amerikanischen Volk ein bereits anerkanntes verfassungsmäßiges Recht entzogen. Sie hätten es nicht eingeschränkt, sondern einfach weggenommen. So etwas sei noch nie geschehen mit einem Recht, das für so viele Amerikaner so wichtig sei. Es sei trauriger Tag für den Gerichtshof und das Land.

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sprach von einem Schlag ins Gesicht. Der "radikale Oberste Gerichtshof" beschneide die Rechte der Amerikaner und gefährde ihre Gesundheit und Sicherheit. Der Kongress werde weiter handeln, um diesen Extremismus zu überwinden und das amerikanische Volk zu schützen.

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama schrieb auf Twitter, der Oberste Gerichtshof habe nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, sondern die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen. Der Richterspruch müsse ein Weckruf vor allem für junge Menschen sein.

**Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Dies stellte bisher ein Urteil des Obersten US-Gerichts von 1973 sicher, das als Roe v. Wade bekannt ist. Ein weiteres Urteil von 1992, Planned Parenthood v. Casey, bestärkte die Rechtsprechung und passte sie etwas an. Der Supreme Court hat diese Entscheidungen nun gekippt.
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Roe v. Wade "auf dem Aschehaufen der Geschichte"

Mike Pence hingegen, der ehemalige Vize von Ex-Präsident Trump, unter dessen Amtszeit drei konservative Richter an den Supreme Court berufen worden, begrüßte die Entscheidung.

Nun, da Roe v. Wade zum Aschehaufen der Geschichte gehöre, obliege es allen, die Heiligkeit des Lebens hochzuhalten und das ungeborene Leben zu verteidigen.

Die Entscheidung, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre, ist der Höhepunkt jahrzehntelanger Bemühungen von Abtreibungsgegnern.

"Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung"

Die Verfassung gewährt kein "Recht auf Abtreibung", heißt es in der Urteilsbegründung.  "Roe war vom Tag seiner Entscheidung an ungeheuer falsch und auf Kollisionskurs mit der Verfassung. Casey hat seine Fehler fortgesetzt, heißt es in der Begründung.

Die "Befugnis zur Regelung" des Abtreibungsrecht werden nun an das Volk und seine gewählten Vertreter zurückgegeben.

Das Urteil erging mehr als einen Monat nach dem überraschenden Bekanntwerden des Entwurfs eines Gutachtens von Richter Samuel Alito, aus dem hervorging, dass das Gericht bereit war, diesen folgenschweren Schritt zu tun.

Mit dem neuen Urteil liegt die Entscheidung über ein Abtreibungsrecht nun bei den einzelnen Bundesstaaten. In 13 konservativ geführten Staaten gibt es schon jetzt Gesetze, die Schwangerschaftsabbrüche stark einschränken.

In Texas gilt die "Herzschlagregel". In Oklahoma ist der Abbruch sogar "ab dem Moment der Empfängnis" verboten. Es wird erwartet, dass 13 weitere Staaten nachziehen.

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REAKTIONEN

Die Gouverneure von Kalifornien, Oregon und Washington, alle drei Demokraten, haben ein gemeinsames Video herausgegeben. Sie wollen demnach das Recht auf Abtreibung hochhalten. Sie hätten sich dazu verpflichtet, "den Zugang zu reproduktiver Gesundheitsversorgung, einschließlich Abtreibung und Verhütungsmitteln, zu verteidigen". Und wollen auch "Patienten und Ärzte vor den Bemühungen anderer Bundesstaaten schützen, ihre Abtreibungsverbote in unsere Staaten zu exportieren".

JUSTIN TRUDEAU

Die internationalen Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Der kanadische Premierminister meinte, dass keine Regierung, kein Politiker oder Mann einer Frau sagen sollte, was sie mit ihrem Körper machen kann oder nicht.

BORIS JOHNSON

Ähnlich äußerte sich der britische Premierminister Boris Johnson:

„Ich meine, das ist ein großer Rückschritt. Ich habe immer daran geglaubt, dass Frauen die Wahl haben sollten und ich bleibe bei dieser Ansicht."

DONALD TRUMP

Für den früheren Präsidenten Donald Trump, der drei konservative Richter des Obersten Gerichtshofs ernannt hatte, ist der Gerichtsbeschluss „eine Entscheidung Gottes“.