Türkischer Geheimdienst spioniert Bundestagsabgeordnete aus

Die Spionage-Affäre weitet sich aus: Der türkische Geheimdienst MIT spioniert offenbar auch deutsche Politiker aus. Unter diesen soll die SPD-Bundestagsabgeordnete Müntefering sein. Ihr Fraktionschef Oppermann schlägt Alarm.

Der türkische Auslandsgeheimdienst MIT hat auch deutsche Parlamentarier im Visier - darunter offenbar die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering. Auf der Namensliste, die der MIT dem Bundesnachrichtendienst (BND) übergeben habe, stehe „der Name eines Mitglieds dieses Hauses“, sagte Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU) am Mittwoch im Bundestag. Nach Informationen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ handelt es sich um Müntefering. Auch eine CDU-Frau aus der Berliner Landespolitik stehe auf der Liste.

„Dieses Vorgehen der türkischen Regierung zeigt einmal mehr den Versuch, kritische Positionen zu unterdrücken“, erklärte Müntefering, die Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe ist. Sie sagte: „Als Vorsitzende der Parlamentariergruppe stehe ich für Dialog und klare Worte, mit den unterschiedlichsten und schwierigsten Gesprächspartnern im In- und Ausland. Hier allerdings wird mit einem solchen Vorgehen erneut und deutlich eine Grenze überschritten.“

Müntefering und die noch unbekannte CDU-Politikerin werden vom MIT den Angaben zufolge in der Rubrik „Machtzentren und Nichtregierungsorganisationen“ geführt, mit denen die Gülen-Bewegung angeblich „gute Beziehungen“ aufgebaut habe.

Türkische Agenten stehen im Verdacht, dass sie möglicherweise in großem Umfang angebliche Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen in Deutschland ausspioniert haben. Ankara macht Gülen für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich. Offenbar in der Hoffnung auf Unterstützung der deutschen Seite hatte der MIT dem BND-Präsidenten Bruno Kahl eine Liste mit 358 Namen überreicht. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben aber nicht kooperiert und stattdessen Betroffene gewarnt.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verurteilte die mutmaßliche Ausspähung Münteferings. Er verlange eine harte Ansage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Ich erwarte, dass die Bundeskanzlerin klare Worte findet“, sagte er. Es sei „absolut unerträglich“ und mache ihn fassungslos, mit welcher Radikalität die türkische Regierung daran arbeite, das Verhältnis zu Deutschland zu verschlechtern.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Donnerstag): „Die große Koalition hat zu lange mit Erdogan gekuschelt, statt klare und entschiedene Maßnahmen gegen das Spitzelnetzwerk des türkischen Staates zu finden.“

Die Bundesregierung müsse die sicherheitspolitische Partnerschaft mit Erdogan sofort kündigen, sagte Sevim Dagdelen (Linke). „Es ist grob fahrlässig, dass die Bundesregierung zudem nicht einmal dafür gesorgt hat, dass all die Personen auf der Liste des türkischen Geheimdienstes informiert wurden, obwohl diese massiv gefährdet sind“, kritisierte Dagdelen.

Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl hat vor dem Hintergrund der türkischen Spionage in Deutschland schwere Vorwürfe gegen den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) erhoben. Er nahm dabei Bezug auf eine Pressekonferenz, bei der Pistorius detailliert über die Liste des türkischen Geheimdienstes MIT mit ausgespähten Verdächtigen berichtet hatte. Der MIT hatte die Namen dem Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, übergeben – offenbar in Erwartung von Amtshilfe.

Uhl sagte dazu dem Handelsblatt: „Dass Herr Pistorius die Informationen zur Liste des türkischen Geheimdienstes per Pressekonferenz öffentlich gemacht hat, halte ich für einen schweren nachrichtendienstlichen Fehler.“ Denn der BND-Chef müsse auch in Zukunft mit dem türkischen Geheimdienstchef „vertraulich“ über mögliche Gefahren durch islamistische Terroristen sprechen können. „Vertrauliches muss vertraulich bleiben und darf nicht auf den Marktplätzen in die Öffentlichkeit getragen werden“, betonte der CSU-Politiker. „Mit seinem Verhalten hat Pistorius dem Geheimdienst-Austausch mit der Türkei einen Bärendienst erwiesen.“

Uhl äußerte zugleich scharfe Kritik daran, dass auch deutsche Politiker ins Visier des türkischen Auslandsgeheimdienstes geraten sind. Der CSU-Politiker sprach von einem „rechtswidrigen“ Vorgehen. Der Umstand, dass die SPD-Abgeordnete Michelle Müntefering als Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe eine türkeizugewandte Position innehabe, erkläre das Interesse Ankaras an ihr. Aber, so Uhl: „Zu glauben, dass die deutschen Dienste dem türkischen Dienst hierbei Amtshilfe leisten, zeigt die Borniertheit der türkischen Regierung.“

Unter Recep Tayyip Erdoğan entferne sich die Türkei „in Sieben-Meilen-Stiefeln“ von rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien. „Das Verfassungsreferendum ist nichts anderes als ein Ermächtigungsgesetz. Die Ähnlichkeiten zum Führerprinzip Adolf Hitlers sind beängstigend“, sagte Uhl.

„Ich kann mir vorstellen, dass hier auch Leute bespitzelt werden, die nicht zur Gülen-Bewegung gehören“, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu. Auch unabhängig von der MIT-Liste hätten viele Menschen türkischer Herkunft im Moment Angst, in die Türkei zu reisen, „weil sie vielleicht etwas Kritisches auf Facebook gepostet haben oder Broschüren verteilt haben“. Er persönlich kenne auch „einige Leute, die Reisen in die Türkei abgesagt haben, aus Angst und wegen des Ausnahmezustandes, der es leicht macht, jemand festzunehmen“. Derartige Sorgen sollte man ernst nehmen, sagte die CDU-Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf.

KONTEXT

Inhalte der geplanten Verfassungsreform in der Türkei

Regieren per Dekret

Der Präsident hat das Recht, per Dekret zu regieren.

Ausnahmezustand

Der Präsident kann den Ausnahmezustand mit der damit verbundenen Einschränkung der Bürgerrechte beschließen.

Neuwahlen

Der Präsident kann das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen.

Veto

Der Präsident kann gegen Gesetzesvorhaben sein Veto einlegen.

Minister

Der Präsident ernennt Minister und kann sie entlassen.

Stellvertreter des Präsidenten

Der Präsident ernennt seine zwei Stellvertreter und kann sie entlassen.

Regierungsmitarbeiter

Der Präsident ernennt hochrangige Regierungsmitarbeiter und kann sie entlassen.

Haushalt

Der Präsident bestimmt den Staatshaushalt.

Verfassungsrichter

Der Präsident hat ein erhebliches Mitspracherecht bei der Wahl der Verfassungsrichter.

Amtszeit des Präsidenten

Die Amtszeit des Präsidenten ist auf zwei Legislaturperioden von je fünf Jahren begrenzt. Im Fall von vorgezogenen Neuwahlen ist eine Legislaturperiode von fünf Jahren vorgesehen - auch wenn der Präsident zuvor die maximale Amtszeit von zehn Jahren fast ausgeschöpft hat.

Amtsenthebungsverfahren

Ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten ist nur mit den Stimmen von mindestens 400 der 600 Abgeordneten möglich.

Armee

Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Parteivorsitzender

Der Präsident kann im Gegensatz zur derzeitigen Verfassung auch Vorsitzender einer Partei sein.

Parlament

Das Parlament kann weder Minister entlassen noch eine Vertrauensfrage stellen. Anfragen zur Regierungsarbeit sind an den Präsidenten zu stellen.

KONTEXT

Inhalte der geplanten Verfassungsreform in der Türkei

Regieren per Dekret

Der Präsident hat das Recht, per Dekret zu regieren.

Ausnahmezustand

Der Präsident kann den Ausnahmezustand mit der damit verbundenen Einschränkung der Bürgerrechte beschließen.

Neuwahlen

Der Präsident kann das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen.

Veto

Der Präsident kann gegen Gesetzesvorhaben sein Veto einlegen.

Minister

Der Präsident ernennt Minister und kann sie entlassen.

Stellvertreter des Präsidenten

Der Präsident ernennt seine zwei Stellvertreter und kann sie entlassen.

Regierungsmitarbeiter

Der Präsident ernennt hochrangige Regierungsmitarbeiter und kann sie entlassen.

Haushalt

Der Präsident bestimmt den Staatshaushalt.

Verfassungsrichter

Der Präsident hat ein erhebliches Mitspracherecht bei der Wahl der Verfassungsrichter.

Amtszeit des Präsidenten

Die Amtszeit des Präsidenten ist auf zwei Legislaturperioden von je fünf Jahren begrenzt. Im Fall von vorgezogenen Neuwahlen ist eine Legislaturperiode von fünf Jahren vorgesehen - auch wenn der Präsident zuvor die maximale Amtszeit von zehn Jahren fast ausgeschöpft hat.

Amtsenthebungsverfahren

Ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten ist nur mit den Stimmen von mindestens 400 der 600 Abgeordneten möglich.

Armee

Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Parteivorsitzender

Der Präsident kann im Gegensatz zur derzeitigen Verfassung auch Vorsitzender einer Partei sein.

Parlament

Das Parlament kann weder Minister entlassen noch eine Vertrauensfrage stellen. Anfragen zur Regierungsarbeit sind an den Präsidenten zu stellen.