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Seehofer verschärft Konfrontation mit Merkel

Im Asylstreit der Union hat Bundesinnenminister Seehofer die europäischen Verhandlungsergebnisse von Kanzlerin Merkel sehr kritisch bewertet. Foto: Peter Kneffel
Im Asylstreit der Union hat Bundesinnenminister Seehofer die europäischen Verhandlungsergebnisse von Kanzlerin Merkel sehr kritisch bewertet. Foto: Peter Kneffel

Seit Wochen lodert der gnadenlose Asylstreit von CDU und CSU. Gelingt noch eine Klärung, auch für den Fortbestand der Koalition? Aus München kommen andere Signale.

Berlin/München (dpa) - Erneute Eskalation im Asylstreit der Union: CSU-Chef Horst Seehofer hat die Konfrontation mit der CDU nochmals verschärft und EU-Verhandlungsergebnisse von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sehr kritisch bewertet.

Sie seien nicht wirkungsgleich mit den von der CSU verlangten Kontrollen und Zurückweisungen an der Grenze, sagte der Bundesinnenminister am Sonntag in einer CSU-Vorstandssitzung in München, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Die Kanzlerin hatte kurz zuvor für ihre Pläne geworben. Sie ließ offen, ob am Sonntag eine Lösung in dem Streit erreichbar wäre, der den Bestand der Koalition akut bedroht.

Seehofer nannte die EU-Beschlüsse kein «wirkungsgleiches Surrogat» (keinen gleichwertigen Ersatz). Er widersprach damit direkt Merkel. Die Kanzlerin hatte bei der Aufzeichnung eines Sommerinterviews der ZDF-Sendung «Berlin direkt» zur Frage, ob die Forderungen der CSU erfüllt seien, gesagt: «In der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich. Das ist meine persönliche Auffassung. Die CSU muss das natürlich für sich entscheiden.»

Beim Gipfel in Brüssel hatte sich die EU auf weitere Verschärfungen der Migrationspolitik verständigt. So sollen Bootsflüchtlinge in zentralen Sammellagern in der EU untergebracht werden. Merkel erhielt nach eigenen Angaben zudem Zusagen mehrerer Länder, über schnellere Rückführungen von Migranten zu verhandeln. Außerdem wurden am Samstag überraschend weitgehende zusätzliche Asyl-Vorschläge Merkels bekannt.

Einen davon lehnte Seehofer nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Teilnehmer in der CSU-Sitzung ebenfalls ab. Merkel hatte angeregt, anderswo in der EU registrierte Flüchtlinge in den geplanten «Ankerzentren» in Deutschland unterzubringen. Sie sollen dort ein beschleunigtes Verfahren durchlaufen und sich nicht entfernen. Die Abkürzung steht für: Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung (AnKER).

Kern des Unions-Streits sind Pläne Seehofers, in anderen EU-Ländern registrierte Asylbewerber notfalls im Alleingang an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Merkel lehnt einseitige Aktionen ab und pocht auf ein europäisch abgestimmtes Vorgehen. Für Seehofer sind die beim EU-Gipfel erzielten Einigungen eine unzureichende Alternative, wie er im Vorstand nach Teilnehmerangaben erklärte. Deutschland würde sich nur zusätzliche Probleme einhandeln. Es sei noch zu früh, von einem Erfolg zu sprechen. «Es ist noch viel zu tun», betonte Seehofer. Er hatte noch am Samstagabend mit Merkel unter vier Augen gesprochen.

Bei der CDU sollten vom späten Nachmittag an Präsidium und Vorstand in Berlin zusammenkommen. Die Kanzlerin sagte zuvor im ZDF, sie werde alles daran setzen, dass es sowohl bei CDU als auch CSU Ergebnisse gebe, «bei denen wir Verantwortung für unser Land wahrnehmen können». Für die Union seien es wichtige Beratungen, es stehe viel im Raum. «Dass es ernst ist, weiß jeder.»

Merkel betonte, sie wolle, dass CDU und CSU gemeinsam weiter arbeiten können. Für sie gelte aber nach wie vor: nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zu Lasten Dritter. Sie verstehe das Anliegen, mehr Ordnung in Weiterreisen registrierter Asylbewerber zu bringen. Dem sei sie mit Vereinbarungen auf EU-Ebene entgegengekommen. Die CSU habe sie dabei «sicher auch ein Stück» angespornt. Merkel ging nicht auf die Frage ein, ob sie Seehofer notfalls als Minister entlassen würde - dies würde das Ende der Koalition bedeuten. Sie ließ auch offen, ob sie eine Vertrauensfrage im Bundestag stellen würde.

Die CDU-Spitze hatte sich demonstrativ hinter Merkel gestellt. Der Bundesvize und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sagte der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», der EU-Gipfel habe ein «besseres Ergebnis erzielt, als wir noch vor ein paar Tagen erwarten durften». Und: «Die CSU hat viel erreicht. Ich hoffe, dass nationale Alleingänge jetzt vom Tisch sind.» EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) mahnte, das Gipfel-Ergebnis sei nur möglich gewesen, weil Merkel in ganz Europa Autorität und Ansehen genieße. «Das ist sehr wertvoll für Deutschland, niemand sollte es zerstören.»

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte Äußerungen aus einigen EU-Ländern aufgegriffen. So hatte etwa Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis Angaben aus Berlin widersprochen, dass mit seinem Land über schnellere Rückführungen von Flüchtlingen verhandelt worden sei. Dobrindt sagte der «Bild am Sonntag», angesichts solch divergierender Wortmeldungen «kann man Zweifel haben, ob die Ratsbeschlüsse alle Realität werden». Merkel betonte im ZDF, sie habe politische Zusagen gehabt. «Wenn es jetzt zu Missverständnissen gekommen ist, bedauere ich das. Wir werden weiter im Gespräch bleiben.» Es sei über solche Abkommen gesprochen worden, abgeschlossen habe man sie nicht.

Die SPD als dritter Koalitionspartner hatte die CSU am Wochenende zu einem Ende der Eskalation aufgefordert, die den Bestand der Regierung gefährden könnte. In einem eigenen Papier positioniert sich die SPD für eine europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik. Demnach steht sie für eine «gesamteuropäische Lösung», für ein «europäisches Asylsystem und solidarisch geteilte Verantwortung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen». In dem Papier, das an diesem Montag vom Vorstand beschlossen werden soll, lehnt die SPD nationale Alleingänge bei Zurückweisungen an der Grenze ebenfalls ab.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte: «Die Vorschläge, die derzeit im Mittelpunkt des unsäglichen Streites der Unionsparteien stehen, sind ein Manifest der Abschottung und Ignoranz.» Es helfe aber nichts, die Augen vor den Ursachen von Flucht und Vertreibung einfach zu verschließen. Merkel verteidigte die erneute Verschärfung der EU-Asylpolitik. «Wir ziehen nicht die Brücken hoch, sondern wir fragen uns, was können wir tun, um illegalen Schleppern und Schleusern das Handwerk zu legen», sagte sie im ZDF. Die gingen hartherzig mit dem Leben der Flüchtlinge um und bereicherten sich an ihnen. Dem könne Europa nicht zusehen.