„Tag der Entscheidung“ - Vorbereitungen laufen! Hinweise mehren sich, dass die Ampel noch heute Abend platzt
In Berlin macht mehr denn je die Angst vor dem Koalitionsbruch die Runde. Für das Finale der Koalition ist nach FOCUS-online-Informationen alles vorbereitet. Die FDP beharrt auf Maximalforderungen, die SPD zieht rote Linien.
SPD-Chef Lars Klingbeil hat keine Zweifel gelassen: Der Mittwoch sei der „Tag der Entscheidung“. Gemeint hat er nicht die US-Wahl, sondern den Fortbestand der Ampel-Koalition. In Referentenkreisen ist man nach Informationen von FOCUS online wenig erfreut, sich nun die zweite Nacht um die Ohren schlagen zu müssen: zunächst wegen der Trump-Wahl, dann wegen eines Bruchs zwischen SPD, Grünen und FDP, mit dem viele derzeit rechnen.
Für den möglichen Schlusspunkt der Ampel ist offenbar schon alles bereitet: Räumlichkeiten für eine Pressekonferenz nach dem Koalitionsausschuss am Abend sind gebucht, die Ampel-Spitzen werden also voraussichtlich etwas zu verkünden haben. Dass es eine Einigung ist, wird von Stunde zu Stunde unwahrscheinlicher.
FDP geht nicht auf Kompromissangebote der Grünen ein
Das liegt vor allem daran, dass die FDP und ihr Parteichef Christian Lindner wohl auf Maximalforderungen beharren werden. Ein Entgegenkommen von Wirtschaftsminister Robert Habeck, die nicht verwendeten Intel-Milliarden zum Schließen der Haushaltslücke zu verwenden, weisen die Liberalen brüsk zurück.
„Robert Habecks sogenanntes Angebot ist eine Mogelpackung, denn die Intel-Milliarden hat er nicht und kann sie deshalb auch nicht verdealen“, argumentierte der FDP-Haushaltsexperte Christoph Meyer am Dienstag. Übersetzt heißt das: Es braucht auf jeden Fall noch an anderen Stellen ein Entgegenkommen von SPD und Grünen, um die Liberalen in der Koalition zu halten.
SPD sieht rote Linien überschritten
Doch Lindners Wirtschaftswende-Papier widerspricht einigen unverhandelbaren Grundsätzen der Koalitionspartner. Deutlich gemacht hat das unter anderem die AG Wirtschaft der SPD. In einem Dokument, das FOCUS online vorliegt, heißt es, es gäbe „Forderungen, die für SPD (und Grüne) rote Linien sind“. Lindners Papier biete keine Vision für die Zukunft, sondern sei lediglich ein „Forderungskatalog für die aktuellen Haushaltsverhandlungen“.
Konkret geht es um Änderungen beim Bürgergeld, der Rente und staatlichen Förderungen aus dem Klimafonds. „Mehrarbeit sowie Kürzungen im Bereich der sozialen Sicherheit sollten für SPD rote Linie sein“, heißt es. Das Fazit: „Das Papier widerspricht der langjährigen SPD-Position eines Wirtschaftswachstums nicht um des Wachstums willens, sondern als Grundlage für sozialen Fortschritt.“
Wenn selbst der Wirtschaftsflügel der SPD kaum Verhandlungsspielraum sieht, werden Parteilinke erst recht nicht auf den Kurs der Liberalen einschwenken wollen. Die Parteichefs der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil und Saskia Esken, haben in den vergangenen Tagen mehrfach klar betont, dass kein einziger Punkt aus dem Lindner-Konzept tragbar sei.
Lindner hat keine Angst vor dem Ampel-Bruch
Möglich ist auch, dass jegliches Kompromissangebot ohnehin an dem FDP-Chef abprallen würde – weil Lindner nicht mehr daran interessiert ist, das Maximale herausholen will, sondern auf jeden Fall den Bruch vollziehen. Wurde lange gemutmaßt, er könne vor diesem Schritt zurückschrecken, weil die FDP dann bei vorgezogenen Neuwahlen aus dem Bundestag fliegen könnte, betont Lindner nun auffällig direkt, keine Angst zu haben, vor dem was kommen könnte.
Was kommen könnte, lotet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit CDU-Chef Friedrich Merz am Mittwoch aus. Der Termin ist schon länger geplant, gewinnt aber wegen der Ampel-Krise an Brisanz. Steinmeier könnte zum Beispiel versuchen, Merz zur Unterstützung einer rot-grünen Minderheitsregierung zu bewegen. Der Kanzlerkandidat der Union dürfte aber herzlich wenig Interesse daran haben, Scholz im Amt zu halten.
Abgeordnete werden ausgebremst
Während die Spitzen der Ampel noch von einer Krisensitzung zur nächsten eilen, fühlen sich die Abgeordneten im Bundestag in ihrer Arbeit von dem Chaos in der Koalition ausgebremst. Denn ohne eine Grundsatzeinigung, wie der Bundeshaushalt aussehen soll – und ob man überhaupt noch weiter zusammenarbeiten will – können die finalen Beratungen im Parlament nicht starten.
Die Ampel-Chefhaushälter Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP) haben am Mittwoch mitgeteilt, die Beratungen über den Nachtragshaushalt für 2024 zu verschieben. Den hatte die Koalition im Juli angekündigt, um unter anderem auf geringere Steuereinnahmen und höhere Ausgaben beim Bürgergeld zu reagieren.
Ampel-Haushälter spielen mit Trick auf Zeit
Das Problem: Die nachträgliche Anpassung für 2024 und der geplante Haushalt für 2025 stehen „in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang“, wie die Chefhaushälter mitteilen. Ohne die Grundsatzeinigung zum Haushalt für das kommende Jahr ist also auch eine Verabschiedung des Nachtragshaushaltes nicht gewollt.
Um die Abstimmung verschieben zu können, muss die Ampel einen Trick anwenden: Denn nach der Geschäftsordnung des Bundestages ist die Befassung eines Nachtragshaushalts in der Sitzungswoche nach Eingang der Stellungnahme des Bundesrates vorgesehen – also in der aktuell laufenden.
Die Ampel-Politiker im Haushaltsausschuss werden das Thema also anberaten, aber nicht zur Verabschiedung bringen. Durch die Regeln der Geschäftsordnung hat das eine Verzögerung von einer Woche zur Folge. Für den Chefhaushälter der Unionsfraktion, Christian Haase, wird dadurch die Zerstrittenheit und Handlungsunfähigkeit der Ampel deutlich. „Weil man weiter uneinig ist über den richtigen Weg in der Haushalts- und Wirtschaftspolitik, muss man auf Zeit spielen. Damit gehen die Chaostage in der Haushaltspolitik weiter“, sagte er FOCUS online.
Unions-Chefhaushälter: „Für mich ist das Maß an Toleranz und Verständnis überschritten“
Die Chefhaushälter der Ampel versuchen ihren Trick nun der Opposition schmackhaft zu machen: Das beschlossene Verfahren stelle sicher, dass die „Wechselwirkungen zwischen beiden Haushalten“ auch für die Opposition transparent nachvollziehbar würden. Für Haase ist das nicht glaubhaft: „Für mich ist das Maß an Toleranz und Verständnis überschritten. Transparent wäre es, wenn wir noch heute die vollständigen Beratungsunterlagen für den Nachtragshaushalt 2024 bekämen.“
Die Sorge bei Haushältern der Opposition ist, dass sie erst kurz vor knapp in der kommenden Woche die Änderungsanträge präsentiert bekommt – und dann keine Zeit bleibt, sich einen Überblick zu verschaffen. „So sorgt der Ampelstreit nur für Einschränkung von Parlamentsrechten“, beklagt Haase. Personen, die schon lange mit Haushaltsfragen vertraut sind, verweisen darauf, dass das aktuelle Haushaltschaos in den vergangenen Jahrzehnten beispiellos sei.
FDP weist Habecks Entgegenkommen brüsk zurück
„Bei dieser Art von beispiellos schlechter Politik stellt sich immer mehr die Frage, ob es nicht besser wäre für Bürger und Unternehmen, wenn diese Regierung keinen Haushalt mehr verabschiedet.“ Die Chancen, dass es tatsächlich so weit kommt, sind so hoch wie noch nie.