Was ist ein „Talahon“? - „Rückständig, arm und bildungsfern“ - neuer TikTok-Trend wertet junge Muslime ab
Kriminell und trotzdem „süß wie Baklava“: Ein neuer KI-Song beschreibt den sogenannten „Talahon“ als stereotypen jungen Migranten mit Gucci-Cap und Messer in der Tasche. Während auf TikTok darüber gelacht wird, nutzen rechte Gruppen den Begriff für die eigenen Zwecke.
„Ich glaub, ich bin verknallt in einen Talahon. Mit Louis-Gürtel, Gucci-Cap und Air-Max-Schuh'n“. So klingt der erste KI-generierte Song des Produzenten-Duos „Butterbro“, der es in diesen Sommer sogar in die deutschen Charts geschafft hat.
„Verliebt in einen Talahon“ kommt mit seinem 50er-Jahre-Schlagersound als vermeintliches Liebeslied daher, ist aber vor allem Ausdruck eines Jugend-Phänomens, das gerade auf TikTok viral geht – und viele rechte Gruppen auf den Plan ruft.
Neuer TikTok Trend: stereotype Darstellung von migrantisch wahrgenommenen jungen Männern
Was aber ist ein „Talahon“ überhaupt? Mit dem Begriff wird auf TikTok eine Gruppe von Jugendlichen beschrieben, die mit bestimmten klischeehaften Merkmalen in Verbindung gebracht wird.
Typischerweise sollen „Talahons“ mit einer Gucci-Cap im Tigermuster, Bauchtasche, Armani-Pullover, Skinny-Jeans und auffallend süßem Parfüm unterwegs sein. Ihr Markenzeichen: eine gegelte Mittelscheitelfrisur mit „Seiten auf null“, wie es im KI-Song heißt.
Auf Meme-Accounts werden „Talahons“ häufig dargestellt, wie sie präzise auf den Boden spucken, aggressiv in die Luft boxen und fragwürdige Meinungen äußern.
Das Ganze wirkt wie eine ziemlich stereotype Darstellung von migrantisch wahrgenommenen jungen Männern in deutschen Großstädten. Die Wortneuschöpfung leitet sich vom Arabischen „taeal huna“ ab, was so viel wie „Komm her!“ bedeutet.
Interessant ist aber: Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund identifizieren sich mit dem Begriff und nennen sich stolz selbst „Talahon“, wie unter anderem die „Welt“ berichtet. Das könnte auch daran liegen, dass die Bezeichnung erstmals in dem Song „Ta3al Lahon“ des deutschen Rappers Hassan aufkam.
Der Track stammt bereits aus dem Jahr 2022. In dem Song geht es um das harte Leben auf der Straße, Gewalt und Kriminalität.
„Ich zieh nur Fake-Sachen an, weil das Jobcenter gönnt nicht mehr“
Gerade zeichnet sich aber eine Entwicklung in die andere Richtung ab. Inzwischen verbreiten sich auf TikTok immer mehr Videos, in denen sich über die sogenannten „Talahons“ lustig gemacht wird:
„Ich zieh nur Fake-Sachen an, weil das Jobcenter gönnt nicht mehr“, lacht zum Beispiel ein TikToker in einem Video, in dem er scherzhaft erklärt, wie man sich als echter „Talahon“ kleidet.
Das geht vielen zu weit. Der TikToker Anwar lud vor kurzem ein Video hoch, in dem er Bezug auf den „Talahon“-Trend nahm: „Menschen so extrem dafür zu kritisieren und sich darüber lustig zu machen, dass sie einen bestimmten Style bevorzugen, finde ich verwerflich", so der TikToker.
„Denkt mal über soziale Fragen nach: Warum sehen 'Talahons' so aus, wie sie aussehen, oder kleiden sich so, wie sie sich kleiden?“ Nicht jeder sei privilegiert aufgewachsen und nicht jeder Junge mit Migrationshintergrund kriminell.
Trotzdem sei vor allem Zugehörigkeit für Jugendliche wichtig. „Und in irgendeiner Gruppe bekommst du mit diesem Style wahrscheinlich Zugehörigkeit, wo du dich dann wohlfühlst“.
Expertin: Begriff wertet Muslime als rückständig, arm und bildungsfern ab
Auch Seyran Bostancı vom deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung findet die aktuelle Entwicklung des Trends problematisch: „Momentan erleben wir, wie der Begriff vor allem junge muslimische Menschen als rückständig, arm und bildungsfern abwertet“, so Bostancı im Gespräch mit FOCUS online.
„Wir beobachten, dass ‚Talahon‘ auf Social-Media auch mit einer Form des ‚Asozial-Seins‘ in Verbindung gebracht wird.“ Zwar habe die Bezeichnung auch das Potenzial, von den Jugendlichen als empowernd und selbst ermächtigend wahrgenommen zu werden, „in dieser Phase befinden wir uns aber gerade nicht“, erklärt Bostancı.
Ganz im Gegenteil: „Gerade sehen wir, wie vor allem rechte Content-Creator den Begriff strategisch für ihre Zwecke nutzen.“
So könnte das Phänomen auch Parteien am rechten Rand - wie etwa der AfD - zugutekommen: „Diese rechten Strömungen instrumentalisieren Begriffe wie 'Talahon', um bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu marginalisieren und damit auch die eigene politische Agenda zu verbreiten. Sie stellen den 'Talahon' als gewaltbereiten und frauenfeindlichen Migranten dar, dessen Verhalten nicht mit den westlichen Werten vereinbar ist.“
Auf die Gewaltbereitschaft des „Talahons“ spielt auch der erfolgreiche KI-Song von Butterbro an. Im Songtext heißt es beispielsweise: „Er macht Schattenboxen und ist der Coolste von seinen Bros. Und das Messer in der Tasche ist bestimmt nicht nur fürs Butterbrot.“
Song Producer: „Ich stelle gar keinen Bezug zur Herkunft her“
Produzent Josua Waghubinger reagierte kürzlich so auf die Vorwürfe zu seinem Song: „Ich möchte mich da klar distanzieren von dieser Kritik“, sagte er. „Die Absicht hinter dem Song ist, dass sich ‚Talahon‘ auf bestimmte Verhaltensweisen bezieht, die selbst gewählt sind.“
Gucci-Tasche, Schattenboxen, Autoscooter, sagt Waghubinger, seien Eigenschaften, die sich jeder Mensch selbst aneignen könne. „Ich stelle gar keinen Bezug zur Herkunft her, das war auch gar nicht meine Absicht“, erklärt der Produzent.
Wenn selbsternannte Talahons Videos von sich machten, in denen sie gewaltbereit auftreten und frauenverachtend oder sexistisch äußerten, seien das Aspekte, die kritisiert werden müssten.
Wer sich das Cover des Songs allerdings genauer anschaut, sieht eine weiße blonde Frau, um die sich mehrere junge Männer mit durchweg dunklerer Haut und schwarzen Haaren gruppieren.
„Besser auf Lösung struktureller Probleme konzentrieren“
Das erste Date mit dem „Talahon“ habe man laut Song außerdem in einer „Shisha-Bar“ und wenn er wütend werde, sei er „süß wie Baklava“. Gar kein Bezug zu einer bestimmten Kultur oder Herkunft sieht anders aus.
„Auch wenn der Produzent des Songs vielleicht andere Intentionen hatte und zum Beispiel frauenverachtendes Verhalten kritisieren wollte, ist es immer problematisch, gesamtgesellschaftliche Probleme einer bestimmten sozialen Gruppe zuzuschieben“, sagt Expertin Bostancı dazu.
„Diese jungen Menschen werden von einem Teil der Gesellschaft durch ihre kulturelle und soziale Herkunft benachteiligt, wodurch sie gesellschaftlich kaum Macht haben. Man sollte sich lieber auf die Lösungen von strukturellen Problemen konzentrieren, als Jugendliche mit Migrationshintergrund durch rassistisch gemeinte Formulierungen zu diffamieren.“