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Talk bei Anne Will: „Es muss Sinn machen, arbeiten zu gehen“

Jens Spahn und Michael Bohmeyer – der eine ist für Sanktionen bei Hartz IV, der andere will es komplett abschaffen und ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Foto: Screenshot / ARD
Jens Spahn und Michael Bohmeyer – der eine ist für Sanktionen bei Hartz IV, der andere will es komplett abschaffen und ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Foto: Screenshot / ARD

Nach Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz darf sich in der dritten Folgewoche nun Jens Spahn bei Anne Will präsentieren. Der letzte Kandidat um den CDU-Vorsitz bekommt dafür folgendes Thema vorgesetzt: Arbeitswelt im Wandel – wie muss der Sozialstaat reformiert werden?

Es gebe kein Recht auf Faulheit, sagte Gerhard Schröder einst, als seine Partei mit Hartz IV um die Ecke kam. Bis heute hat die Reform vieles erreicht, darunter: Die Arbeitslosenquote sank von 9.4 Prozent auf 4,2 – nicht mehr fern der Vollbeschäftigung. Und doch sagt heute nur jeder zehnte in einer Umfrage, dass an Hartz IV nichts geändert werden müsse. Andrea Nahles forderte vor kurzem, dass man „eine Reform aus der Perspektive derer machen müsste, die den Sozialstaat brauchen, nicht aus der Perspektive derer, die ihn missbrauchen“. Gefordert sind also neue Ideen, legen Sie los, meine Damen und Herren:

Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, macht den Anfang: „Wir wollen das Prinzip ‚fördern und fordern‘ beibehalten. Wir verlangen von Menschen etwas, die staatliche Leistungen bekommen. Gleichzeitig können sie sich auf die staatlichen Leistungen verlassen. Durch künstliche Intelligenz, die technologische Entwicklung insgesamt, fallen bald viele ganze Branchen weg, wie Dolmetscher oder Übersetzer. Denen muss der Staat die Garantie geben, dass er sich kümmert.“

Dazu Jens Spahn, der Bundesgesundheitsminister: „Es muss Sinn machen, arbeiten zu gehen. Es muss daher denen gegenüber Druck geben, also Sanktionen, die nicht arbeiten wollen. Das Grundprinzip von Hartz IV muss bleiben, aus Fairness gegenüber den Menschen, die es finanzieren. Wer arbeiten kann, sollte sich im Rahmen dessen, was er leisten kann, auch einbringen. Finde ich. Wer nicht will, muss Kürzungen in Kauf nehmen.“

Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken, hat zu dem Thema einiges mitgebracht. Die Sendung geht zwar erst wenige Minuten, aber es folgt ein langer Monolog: „Die SPD wollte Hartz IV schonmal ändern, hat mit den Plänen auch Wahlkampf gemacht, es dann aber nicht in die Koalitionsgespräche eingebracht. Ich verstehe, dass die SPD jetzt, bei dem Druck der Umfragewerte, manches in Frage stellt. Die Konsequenz sehe ich aber bisher nicht. Und zu Herrn Spahn: Ich finde es unerträglich, wenn Arbeitslose unter einen Generalverdacht gestellt werden, es seien potenzielle Faulpelze. Über 30 Prozent der Alleinerzieher sind Hartz IV-Empfänger. Finden Sie die besonders faul? Da versäumt doch der Staat seine Aufgaben, also dass es zu wenig Kitaplätze und zu wenig Ganztagsbetreuung an den Schulen gibt.“ Weiter macht Wagenknecht mit der Definition von zumutbarer Arbeit: „Natürlich sollte man zumutbarer Arbeit zustimmen. Nur ist verändert worden, was das genau bedeutet. Früher waren Einkommen und Qualifikation in einer zumutbaren Arbeit dem ähnlich, was man im vorherigen Job hatte. Heute kann man im Grunde zu jeder Arbeit gezwungen werden. Ob das Leiharbeit oder untertarifliche Arbeit ist, damit macht sich der Staat der Beihilfe zur Tarifflucht und auch der Ersetzung regulärer Arbeit schuldig. Das Hartz IV-System hat einen riesigen Niedriglohnsektor etabliert. Dadurch können viele Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben, deswegen muss Hartz IV weg.“

Die Regierungsparteien hacken ausnahmsweise nicht aufeinander herum

Klingbeil: „Wir gehen in der Regierung gegen den Niedriglohnsektor vor. Der Mindestlohn wurde gerade erhöht. Herr Spahn führt mit Hubertus Heil den ‚Tarifvertrag Soziales‘ ein, damit im Pflegebereich der Lohnwettbewerb nicht mehr auf dem Rücken der Arbeitenden ausgetragen wird. Wir haben die Arbeitslosigkeit abgebaut, die Erwerbstätigkeit gesteigert, es gibt mehr gute Jobs.“ Wow, ein schönes Beispiel, dass sich die Regierungsparteien wohl tatsächlich auf einen neuen Kurs geeinigt haben. Da scheint ein Wille zu sein, positive, und vor allem gemeinsame, Regierungsarbeit auch mal hervorzuheben und sich nicht bei jeder Möglichkeit gegenseitig in die politische Parade zu fahren. Immerhin ein Anfang, die Herren, nach Monaten des Hickhacks.

Auftritt Michael Bohmeyer, der mit seinem Verein bedingungsloses Grundeinkommen verschenkt, 1.000 Euro monatlich, ein Jahr lang. Das Grundeinkommen ist spendenbasiert, immer wenn 12.000 Euro zusammenkommen, folgt eine Verlosung, an der jeder teilnehmen kann: „Alles ist superduper, wenn ich so hier zuhöre. Aber das Symbol Hartz IV führt zu Existenzängsten, nicht nur bei den direkten Betroffenen. Jeder dritte Deutsche ist Burnout-gefährdet, Herr Gesundheitsminister. Das kommt von der Angst, absteigen zu können. Und es hat ein Klima in der Gesellschaft etabliert, auf den Schwächeren zu zeigen. Ein Grundeinkommen wäre eine Investition in alle Menschen. Wir haben in unserem Experiment bislang 200 Menschen das Grundeinkommen ausgezahlt und erleben, dass die Menschen durch den Vertrauensvorschuss besser lernen und es in Investitionen umsetzen.“

Spahn wirft an diesem Abend immer wieder die eine Frage auf: „Das muss ja erwirtschaftet werden. Wieso soll jemand in das System einzahlen und damit andere finanzieren, die nicht arbeiten? Das entspricht nicht meiner Lebenswirklichkeit.“

Bohmeyer: „Sie haben das Grundeinkommen nicht richtig verstanden, weil Sie das Bild aufmachen: ‚Wer arbeitet, ist der Dumme.‘ Das ist nicht der Fall. Wir müssen aus der Hartz IV-Logik raus, Grundeinkommen bekommen alle. Es gibt keinen Widerspruch zwischen Arbeit und Grundeinkommen. Es ist eine Vereinbarung in der Gesellschaft, dass niemand darunter rutschen darf. Es geht nicht so sehr ums Geld, sondern es entsteht ein Wohlgefühl, dass allen bedingungslos was zugetraut wird. Die Menschen schlafen besser, sie werden gesünder. Sie hören nicht auf, zu arbeiten. Etwa zehn Prozent kündigen, bilden sich aber weiter, gründen und arbeiten in Jobs, die besser zu ihnen passen. Dafür beteiligen sich alle an der Finanzierung. Über die Konsumsteuer, Einkommenssteuer, Ökosteuer oder Finanztransaktionssteuer – unterschiedliche Menschen werden in unterschiedlichem Maße beisteuern. Da gibt es 20 Vorschläge.“

Spahn: „Ich bin ein langweiliger Typ, aber ich frage mich die ganze Zeit, wer zahlt das? Wo ist der Anreiz, für die Menschen, die um die 1.000 Euro verdienen? Was passiert, wenn für die sich die Arbeit nicht mehr lohnt?”

Welche Arbeit ist zumutbar?

Wagenknecht: „Es ist richtig, Menschen die Existenzängste zu nehmen. Aber das ist Aufgabe des Sozialstaates. 1.000 Euro für alle, das sind knapp eine Billion. Das kann man finanzieren, wenn man sämtliche Sozialleistungen streicht, wir sind heute schon bei etwa 900 Millionen. Das ist dann aber eher ein Sozialabbau, weil es keine Leistungen mehr gibt. Es ist so dann eher eine Mogelpackung.“

Simone Menne, Unternehmensberaterin und Ex-Finanzchefin der Lufthansa AG, findet den Vorschlag des Grundeinkommens nicht schlecht. Weil er radikal ist: „Die ganze Umwelt hat sich geändert. Wir brauchen im Sozialsystem radikale Änderungen. Von Unternehmen wird verlangt, disruptiv zu denken, also ganze Geschäftsmodelle zu ersetzen. Wie einst Großrechner oder bald Printmedien. Genauso muss sich die Gesellschaft radikal wandeln. Wir haben die nächste industrielle Revolution bevorstehen. Wir brauchen den Mut, grundsätzlich zu denken und nicht Einzelsysteme zu ändern. Meine Erfahrung aus Unternehmen, die aufgrund veralteter Prozesse immer wieder einsparen müssen, ist, dass Sanktionen lähmen und Innovationen hemmen. Damit sind wir in Deutschland auf dem falschen Weg.“

Klingbeil versucht nochmal, den Karren aus dem Dreck zu ziehen: „Nur drei Prozent von Hartz IV-Empfängern sind von Sanktionen betroffen. Die meisten kooperieren. Wenn ich vom Staat eine Leistung bekomme, kann der Staat erwarten, dass man sich kooperativ verhält, dass man Termine und Arbeit annimmt.“ Auch Spahn packt nochmal mit an: „Jeder bekommt voraussetzungsfrei Unterstützung. Die Erwartung ist aber, dass jeder sich einbringt, wie er kann. Das ist fair.“ Die Diskussion dreht sich merklich im Kreis, da präsentiert Anne Will der Runde noch einen Gast: Einen Berliner Bäckermeister, der keine Mitarbeiter findet und deswegen montags seinen Laden nicht mehr öffnen kann. Zwölf bis 13 Euro zahlt er pro Stunde, nur erscheint vom Arbeitsamt niemand zu seinen Terminen („Hab ich vergessen“ sei da die häufigste Ausrede, berichtet der Bäcker). Was ist also nun mit fördern und fordern?

Wagenknecht: „Wir haben zu viele Jobs, die zu schlecht bezahlt sind. In der Finanzbranche werden gigantische Löhne bezahlt. Harte Arbeit muss besser bezahlt werden. Wir haben in Deutschland ein relativ schlechtes Bildungssystem, wir geben 20 Prozent weniger aus als der Durchschnitt der OECD-Länder, da sind viel ärmere Länder dabei als Deutschland. Wir haben ein Schulsystem, in dem chronisch Lehrer fehlen.“

Das ist Spahn zu viel laviert, also nagelt er die Linken-Politikerin fest: „Für wen ist es nicht zumutbar, in der Bäckerei zu arbeiten?“

Wagenknecht: „Für Menschen, die qualifiziert sind, ist es zumutbar.“

Spahn: „Nur weil jemand einen akademischen Abschluss hat, ist es dann nicht mehr zumutbar, in einer Bäckerei zu arbeiten?“

Die Digitalisierung kommt – sind wir bereit?

Wagenknecht: „Sie können nicht von Fachkräftemangel reden und dann Menschen mit Bildung deklassieren. Das waren früher mal Zumutbarkeitsregeln. Arbeit, die die eigene Qualifikation berücksichtig. Sonst wird das Lohnniveau weiter gedrückt, wenn Menschen in schlechter bezahlte Jobs gezwungen werden. Die Bäckerei ist da nicht so repräsentativ, ich kenne viele, die werden gezwungen, Leiharbeitsjobs anzunehmen und da nur die Hälfte zum Job davor verdienen.“ Stellt sich hier nur die Frage, wieso die privaten Beispiele von Wagenknecht an dieser Stelle repräsentativer sein sollen, als der Berliner Bäcker?

Zum Ende der Debatte dreht sich die Runde noch um die Zukunft des Arbeitsmarktes in der Digitalisierung. Ja, es fallen Jobs weg, aber laut des Institutes für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit entstehen auch gleich viele. Nur entstehen andere Berufe, die eine höhere Bildung benötigen.

Dazu sagt Menne: „Es fallen Berufe weg, die automatisierbar sind. Es entstehen andere Jobs. Deswegen müssen wir jetzt schon planen, welche wegfallen werden und wie die digitale Bildung vorangebracht werden kann. Ich sehe, dass zu wenig getan wird. Es werden zu wenig Menschen richtig ausgebildet.“

Klingbeil: „Wir investieren jetzt 5 Milliarden in die Schulen in den Digitalpakt. Das ist ein erster Schritt. Es muss ein Recht geben auf Weiterbildung, in ernsthafte und nachhaltige Weiterbildung.“