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Talk bei Anne Will über Schwangerschaftsabbrüche: Selbstbestimmung der Frau? Nicht mit dieser Regierung

Teresa Bücker zeigt auf ihre Gebärmutter: Ist diese nur “ein Gefäß”, über das sie nicht selbst bestimmen darf? (Bild: Screenshot / ARD)
Teresa Bücker zeigt auf ihre Gebärmutter: Ist diese nur “ein Gefäß”, über das sie nicht selbst bestimmen darf? (Bild: Screenshot / ARD)

Seit Monaten diskutiert die Große Koalition über das umstrittene sogenannte „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche, den Paragrafen 219a. Jetzt hat die Regierung einen Reformentwurf vorgestellt. Doch der geht nicht im Ansatz weit genug.

Die Diskutanten

Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Philipp Amthor (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages

Kristina Hänel, die Fachärztin für Allgemeinmedizin wurde im November 2017 vom Landgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Internetseite Schwangerschaftsabbrüche als Leistung angegeben hatte

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), frühere Bundesjustizministerin

Teresa Bücker, Chefredakteurin des Magazins „Edition F“

Die Regierung kommt zu einem Kompromiss

Um was es geht: Die Paragrafen 218 und 219 im Strafgesetzbuch. Darunter steht das Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs und die zugehörigen Ausnahmen. Zudem das Verbot für Ärzte, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren – das sogenannte „Werbeverbot“ (Paragraf 219a), ein Gesetz aus dem Jahr 1933. Wozu dies führt: Ist eine Frau schwanger, dann wird sie derzeit auf dem Online-Auftritt ihrer Frauenärztin wahrscheinlich keine Information finden zum Thema Abbruch. Das Thema sorgte in den letzten Monaten für heftige Diskussionen. Die Debatte führte beinahe zur Koalitionssprengung, denn die SPD wollte das Werbeverbot ganz abschaffen, die CDU nicht mal daran rütteln.

Paragraf 219a: Nach Kompromiss weiter Streit um Infos zu Abtreibungen

Am Mittwoch nun will die Bundesregierung das Werbeverbot zumindest in Teilen ändern, es aber nicht abschaffen. Ärzte dürfen in Zukunft Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und auch mitteilen, dass sie diese Leistung anbieten, nicht aber weitergehend darüber informieren. Kritiker sagen, dadurch würden Ärzte weiterhin kriminalisiert. Zur Information zählt auch, welche Gefahren oder Komplikationen mit einem Schwangerschaftsabbruch einhergehen können, welche Methoden überhaupt möglich sind und welche Kosten entstehen.

Das Hilfstelefon, das rund um die Uhr informiert

Den Anfang macht die Familienministerin, sie erklärt den Kompromiss der Regierung: „Die Bundesärztekammer und 1.600 Beratungsstellen der Landesbehörden dürfen künftig über Schwangerschaftsabbrüche informieren, Ärztinnen und Ärzte dürfen darauf einen Link setzen. Wir sind in einer Koalition, es gibt kein Thema, wo die Meinungen so auseinander gehen. Ein Kompromiss hat die Eigenschaft, beide Seiten nicht ganz zufriedenzustellen. Jetzt gibt es ein Informationsrecht für Frauen und Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte.“ Sie wirbt dann noch für ein Hilfstelefon: Unter 0800 40 40 020 („Schwanger und viele Fragen“) finden Schwangere in Not jederzeit Beratung. Dasselbe auf Familienplanung.de.

Ärztin Hänel, die verurteilt worden ist, weil auf ihrer Webseite stand, dass sie Abbrüche durchführt, sagt dazu: „Rechtssicherheit für mich ist, dass ich weiter verurteilt bleibe und der Weg für mich zum Bundesverfassungsgericht frei bleibt. Denn der Paragraf 219a ist verfassungswidrig, er verstößt gegen die Grundrechte, das sehen ich und viele Juristen so. Ich möchte Frauen informieren, damit sie mündige Patienten sind.“ Sie erzählt dann noch von einer Online-Seite von Abtreibungsgegnern, die hingegen schreiben dürften, welche Ärzte Abbrüche anböten und über die Methoden Halbwahrheiten verbreiteten. Ein ziemliches Ungleichgewicht in der Rechtsprechung.

Amthor, der sich für den Verbleib des Paragrafen einsetzt, spricht über den Schutz des ungeborenen Lebens: „Das ist die Schutzpflicht des Staates. Wir in der CDU treten ein für Lebensschutz. Für den Kompromiss, den wir haben. Der Abtreibungen zulässt, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.“

Es gibt zwei grundlegende Vertrauensprobleme

Leutheusser-Schnarrenberger sieht den Paragrafen als überflüssig an, aus einem guten Grund: „Wir brauchen kein Strafgesetzbuch im Bereich von Informationen, kein Arzt darf in anstößiger Weise seine Leistung anbieten. Das sieht schon die Berufsordnung vor. Deswegen braucht man auch 219a schlicht nicht.“

Wird die Suche nach Infos über Abtreibung jetzt einfacher?

Bücker geht einen Schritt zurück und sieht zwei grundlegende Vertrauensprobleme durch die bestehende Rechtsprechung: „Es wurde in der politischen Diskussion ein Bild gemalt von Ärztinnen und Ärzten, die mit Plakaten Werbung machen würden. Das ist nicht das Bild, das wir in Deutschland von Ärztinnen und Ärzten haben sollten. Das ist eine Unterstellung, die ist unter der Gürtellinie. Zudem behandeln wir Frauen wie unmündige Bürger, die diese Entscheidung nicht allein treffen können. Es gibt in Deutschland eine Zwangsberatung und eine Bedenkzeit zwischen Beratung und Abbruch. Abtreibung ist kriminalisiert, es ist nicht legal.“ Dann erklärt sie, dass deshalb auch Krankenkassen nicht die Kosten für Abtreibungen übernehmen könnten. „Solange Abtreibungen nicht legal sind, tragen Frauen die Kosten, wir haben keine solidarische Umlegung über das Gesundheitssystem. Dabei wäre das fair zwischen den Geschlechtern.“

Trauriges Frage-Antwort-Spiel zwischen Bücker und Amthor

Dann gibt es ein kleines Frage-Antwort-Spielchen zwischen ihr und Amthor, das vor allem zeigt, welches Frauenbild in der CDU herrscht – eins, das weit entfernt ist von Selbstbestimmung. Er fängt an: „Die Frage, die wir uns in der CDU stellen ist eine grundsätzliche: Sollten Abtreibungen, wie etwa in den USA in New York, erlaubt sein bis kurz vor der Geburt?“

Bücker: „Sie machen das Bild auf, dass Schwangere bis kurz vor der Geburt abbrechen würden. Das ist nicht so. Kanada hat Abtreibungen freigegeben. 90 Prozent finden vor der zwölften Woche statt und Spätabtreibungen meist aus medizinischer Indikation. Ihr Bild ist ein problematisches Frauenbild, weil sie unterstellen, dass Frauen zu jedem Schwangerschaftszeitpunkt abbrechen würden.“

Amthor: „Wir diskutieren über die Frage: Wann beginnt menschliches Leben? Wir wollen nicht Frauen diskriminieren.“

„Das ist eine religiöse Frage, keine Frage eines unabhängigen Staates.“

„Niemand, auch nicht in der CDU, glaubt, dass sich eine Frau leichtfertig entscheidet. Wenn es aber legal wird, gibt es 100.000 Abtreibungen, da spielt es eine Rolle.“

„Die Zahl der Abbrüche ist irrelevant. Frauen bekommen Kinder immer noch freiwillig. Es gibt keine Gebärpflicht.“

Stigmatisierung von Frauen und Ärzten in der Öffentlichkeit

Ein zentrales Thema ist auch die Stigmatisierung der Frauen und Ärzte, wenn vor den Praxen Schwangerschaftsgegner warten und demonstrieren. Dazu Hänel: „Seitdem ich in die Öffentlichkeit gegangen bin, habe ich viele Angriffe bekommen. Mir wurde mit dem Tod gedroht, Menschen sagten, es sei schade, dass es die Inquisition nicht mehr gebe, es wird sehr klar gesagt, wie man mich umbringen möchte, da ist viel Hass dahinter.“ Sie erklärt weiter, dass durch diese gesellschaftliche Stigmatisierung zwei voneinander abhängige Probleme entstünden: Versorgungslücken und Qualifizierung. Denn viele Ärzte, die noch Abbrüche vornehmen, gehen bald in Rente. Nachwuchsärzte lernen Abbrüche aber nicht mehr in der Ausbildung, in Niederbayern gibt es aus diesem Grund nur noch einen einzigen Arzt, das Klinikum in Passau greift zudem nur ein, wenn die Schwangerschaft das Leben der Frau bedroht.

Leutheusser-Schnarrenberger: „Es fehlt das Klima, dass Ärzte das als verantwortliche Aufgabe der eigenen Tätigkeit sehen, einen Abbruch vorzunehmen. Wenn da eine Stimmung herrscht, die ablehnend ist, wenn man angefeindet wird, vor Praxen Demonstrationen stattfinden und Frauen eingeschüchtert werden, dann ist das eine Situation, in der der Staat seine Schutzpflicht verletzt und dadurch Versorgungslücken im ärztlichen Angebot entstehen.“

Gesundheitsminister Spahn gibt fragwürdige Studie in Auftrag

Zwar hat sich Gesundheitsminister Spahn verpflichtet, bis zum Ende des Jahres ein „Konzept zur Fortentwicklung der Qualifizierung der Ärzte“ vorzustellen, gleichzeitig gibt er aber eine Studie in Auftrag, die psychische Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs untersuchen soll. Während also die Runde bei Anne Will versucht, gegen Stigmatisierung der Frauen vorzugehen, stigmatisiert Jens Spahn Frauen. Dazu sagt Giffey: „Über die Studie sind wir geteilter Meinung. Der Gesundheitsminister will sie in seiner Ressortzuständigkeit machen. Ich halte fachpolitisch nichts davon. Wir haben viele Studien, die zeigen, dass es keinen Kausalzusammenhang gibt. Wenn Frauen psychische Probleme haben, liegt es an der Stigmatisierung, weil sie die Entscheidung zum Abbruch getroffen haben oder weil sie vor dem Abbruch schon in einer schwierigen seelischen Verfassung waren.“

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