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Talk bei Maischberger über Raser: „Es ist ein Gefühl der Macht und Überlegenheit“

Die Gäste bei Maischberger bringen viel Licht ins dunkle Thema, können aber keine Lösungen für das Problem präsentieren. Foto: Screenshot / ARD
Die Gäste bei Maischberger bringen viel Licht ins dunkle Thema, können aber keine Lösungen für das Problem präsentieren. Foto: Screenshot / ARD

Am Montag wurde der spektakuläre Berliner Raser-Prozess wieder aufgenommen. Bei einem nächtlichen Rennen zweier Männer auf dem Kurfürstendamm wurde 2016 ein unbeteiligter Autofahrer getötet. Das Berliner Landgericht urteilte: Mord. Der Bundesgerichtshof hielt das Urteil in seiner Begründung aber für unzureichend. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt. Grund genug für Sandra Maischberger darüber zu diskutieren, wie gefährlich deutsche Straßen sind. Raser, Rüpel, Drängler: Werden Autofahrer immer aggressiver?

Zu Beginn der Sendung erhält Maximilian Warshitsky das Wort. Sein Vater wurde von den Berliner Rasern getötet. Die sind damals mit bis zu 170 Stundenkilometer über dutzende rote Ampeln gefahren, bis sie einen Jeep frontal erfasst und ihn 72 Meter durch die Luft geschleudert haben. Der Insasse war sofort tot. Deshalb ist es für Warshitsky auch keine Frage: „Persönlich denke ich, es ist Mord. Die Fahrer haben bewusst in Kauf genommen, dass etwas passieren kann. Wie sie gefahren sind, ist unverhältnismäßig, abnormal. Rote Ampeln sind nicht dazu da, um die Straßen zu beleuchten, sondern um das Risiko zu minimieren.“

Und weiter wirft er ein trauriges Licht auf die beiden Angeklagten: „Die Männer sind gleichgültig und ignorant. Einer hat bei der Urteilsverkündung geweint, es ging ihm aber nur um sich selbst. Nie um Mitgefühl. Nicht die Täter, niemand aus dem Verwandtenkreis, hat je versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Es gibt bis heute keine Entschuldigung. Die beiden waren nur auf ihren Kick aus.“

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Die Raserszene weiß, dass sie nicht verfolgt wird – es gibt zu wenig Polizisten

Der Bundesgerichtshof hat das Mord-Urteil kassiert. Was das bedeutet, dafür ist Gigi Deppe eingeladen. Die ARD-Rechtsexpertin begleitet den Fall von Beginn an: „Im Urteil und der Strafe ist es ein gravierender Unterschied. Fahrlässige Tötung gibt maximal fünf Jahre. Mord lebenslang. Die Frage ist hier, gibt es einen Vorsatz? Also haben die Angeklagten ‚billigend in Kauf genommen‘, dass ein Mensch zu Schaden kommt? Das wäre die schwächste Form des Vorsatzes und damit käme Mord in Blick. Oder ist es eine grobe Fahrlässigkeit? Zudem stellt sich die Frage, ob die Autos als ‚gemeingefährliche Mittel‘ zählen. Der BGH hat das Urteil nicht richtig kommentiert, nur, dass es logische Brüche gibt und zum Landgericht Berlin zurückgeschickt. Es kann dort also wieder zu einem Mord-Urteil kommen, nur anders begründet.“

Die Verkehrspsychologin Ute Hammer wirft einen Blick in die Köpfe aller Raser: „Geschwindigkeit ist reizvoll. Jede Kirmes lebt davon, mit dem Auto rasen ist eine hohe Potenz davon. Es ist ungehemmt, ein Gefühl der Überlegenheit, der Macht, die man sonst nicht erfährt. Dazu kommt der Adrenalinkick, der sich wie eine Sucht anfühlen kann, die ganz oft belohnt wird, da man ja sehr selten gefasst wird. Zudem muss das Rennen illegal sein, die Situation, die Gefahr, die Konkurrenz macht es erst aus.“

Stefan Pfeiffer ist Autobahnpolizist und seit elf Jahren für 400 Autobahnkilometer verantwortlich. In der Zeit hat er rund 110 Fälle mit Todesfolge erlebt: „Wenn etwas positiv an der Geschichte ist, dann dass wir durch eine Gesetzesänderung Raser mittlerweile bis zu fünf Jahren ins Gefängnis bringen können, wenn etwas passiert, bis zu zehn Jahre.“ Aber er muss die Praxis einschränken, in herrlichem Beamtendeutsch: „Die Fälle sind allerdings schwer zu ermitteln, es reicht nicht der Personenbeweis (also Aussage). Sondern es braucht den Sachbeweis (mitfilmen mit einer Kamera). Die Raserszene weiß zudem, dass der Verfolgungsdruck niedrig ist, weil wir zu wenig Polizisten haben.“

Nico Klaasen ist selbst illegale Rennen gefahren und hat dabei seinen Freund verloren, der ist vor seinen Augen gestorben. Heute organisiert Klaasen legale Rennen: „Wenn man fährt, kommt man in einen Rauschzustand. Alles andere blendet man aus. Fährt der Gegner über Rot, mache ich das auch, weil ich gewinnen will. Man sitzt im Auto, sieht den Gegner, immer zu zweit, meist eine Viertelmeile.“ Weiter sagt er, dass sich in der Szene weder durch die Gesetzesänderung, noch durch Urteile etwas ändert: „Es gibt keinen Abschreckungseffekt durch das Urteil wegen Mord. Da ist nichts in angekommen. Manchmal wird die Raserei aus der Stadt verlegt, aber sie ist immer noch da.“

Nicht die Aggressivität hat zugenommen, sondern die Rücksichtslosigkeit

Verkehrspolizist Pfeiffer sagt, wie sein Alltag aussieht – da wundert es nicht, dass die Raser nicht eingeschüchtert sind: „Wir haben über eine Million Verkehrsverstöße, die keine negativen Folgen haben. Geschwindigkeitsverstöße werden eingestellt werden, weil wir die Fahrer nicht finden. Wir haben dazu keine Möglichkeit, Sanktionen auszusprechen.“

Ein kurzer Einspieler wechselt das Thema auf das Fahren im Alltag, denn auch das wird auch immer gefährlicher, weil wir immer gefährlicher fahren. Einer sagt: „Die Feinde sind die, die 60 fahren, wenn da 60 ist.“ Jemand anders: „Im Auto wird aufgefahren, gedrängelt, gehupt.“ Dazu die Zahlen: 39 Prozent der Frauen und 44 Prozent der Männer werden im Auto aggressiv, 47 Prozent fahren viel schneller, wenn sie sich ärgern, 29 Prozent drängeln.

Psychologin Hammer erklärt unser Verhalten mit dem erhöhten Verkehrsaufkommen: „Wir haben immer weniger Platz, es gibt mehr Fahrzeuge, mehr Menschen fahren, wie beispielsweise ältere Frauen, es gibt mehr Güterverkehr, größere Autos, mehr Busse. Die Straßen aber bleiben gleich. Wir haben dazu mehr ruhenden Verkehr, also parkende Fahrzeuge, unser stetiger Zeitdruck steigt. Wenn sich der Mensch bedrängt fühlt, will er zurückdrängen, diesen Impuls zu unterdrücken ist schwierig.“

Verkehrspolizist Pfeiffer erzählt von seinen Erfahrungen: „Die Aggressivität hat nicht so sehr zugenommen, meiner Meinung nach. Wir haben aber unheimlich sichere Autos, dazu tolle, verzeihende Straßen und viele Menschen überleben Unfälle durch bessere Technik. Die Rettungskette ist massiv verkürzt. Deshalb hat die Rücksichtslosigkeit zugenommen, weil es weniger Konsequenzen gibt, die Menschen fühlen sich auch oft im Recht und wir gehen zudem falsch um mit Verkehrssündern. Wir sind ein Billigland, was die Sanktionierung im Verkehr angeht.“ Er fordert deshalb eine Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn: „Ein Tempolimit auf bundesweiten Autobahnen würde die Differenzgeschwindigkeit reduzieren, viele Schwerverletzte und Verkehrstote reduzieren. Ich bin stark dafür.“

Deutschlands bekannteste Autohändlerin und Fernsehmoderatorin, Panagiota Petridou, versucht sich an einer Erklärung, wieso es in Deutschland so billig ist: „Weil wir ein Autoland sind. Ein starkes Auto kann man vielleicht nicht mehr so gut verkaufen, wenn man nicht schnell fahren darf. Aber ein Tempolimit will ich auch nicht.“

Nochmal Warshitsky zum Schluss: „Wieso investieren wir das Geld, das durch Raser eingenommen wird nicht in Prävention und Aufklärung?“ Wenigstens ein konstruktiver Vorschlag in einer ansonsten an Lösungsideen armen Runde.

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