Talk bei Maischberger: Verfassungsrechtlicher „Prüffall“ AfD

Kruse (Mitte) hat die AfD mit Gauland (rechts) verlassen, weil sie ihm zu extrem wurde und sich die Parteiführung nicht von Björn Höcke distanzieren wollte. Foto: Screenshot / ARD
Kruse (Mitte) hat die AfD mit Gauland (rechts) verlassen, weil sie ihm zu extrem wurde und sich die Parteiführung nicht von Björn Höcke distanzieren wollte. Foto: Screenshot / ARD

Paukenschlag im politischen Berlin: Der Verfassungsschutz nimmt die größte Oppositionspartei im Bundestag ins Visier. Die AfD wird zum sogenannten „Prüffall“ erklärt. Aber ist es richtig, die AfD unter die Lupe zu nehmen und es überhaupt offen anzukündigen? Sandra Maischberger fragt deshalb ihre Runde: „Bedroht die AfD die Demokratie?“

Die Diskutanten:

Alexander Gauland, AfD (Parteivorsitzender), der AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) besonders ins Visier genommen. Das aktuelle Gutachten bescheinigt ihm „völkisch-nationalistische Gesellschaftsbilder“ und wirft ihm vor, die parlamentarische Demokratie „bewusst zu delegitimieren“.

Katja Kipping, Die Linke (Parteivorsitzende), sagt: „Wir brauchen keinen Geheimdienst um zu wissen, dass die AfD demokratiefeindlich ist.“ Aber: „Die AfD gehört politisch bekämpft. Man begegnet den Feinden der Demokratie nicht, indem man auf fragwürdige Institutionen wie Geheimdienste setzt.“

Herbert Reul, CDU (Innenminister Nordrhein-Westfalen, Er bezeichnet die Prüfung der AfD durch den Verfassungsschutz als „Warnschuss“ an die AfD. Die Partei müsse nun Farbe bekennen, so der CDU-Politiker, „ob ihre Parteifarbe blau oder nicht schon braun ist“.

Melanie Amann („Spiegel“-Journalistin): „Der Bericht des Verfassungsschutzes dürfte nicht dazu führen, dass die AfD konsequenter gegen Radikale in der Partei vorgeht. Er dürfte die Reihen eher schließen.“

Wolfgang Herles (ehemaliger ZDF-Moderator), eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz hält der Journalist weder für sinnvoll noch für zielführend.

Jörn Kruse (ehemaliger AfD-Fraktionschef Hamburg), er übt scharfe Kritik an der Parteiführung Alexander Gaulands. Nach dem Schulterschluss von AfD-Spitzenpolitikern mit Rechtsradikalen in Chemnitz habe er eine klare Distanzierung erwartet. Stattdessen hätte „Gauland butterweich reagiert“.

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Prüffall oder Beobachtung durch den Verfassungsschutz?

Es ist eins der schwersten Geschütze, die der Rechtsstaat auffahren kann, wenn die freiheitliche Grundordnung in Gefahr ist: Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Besonders vorsichtig wird sie eingesetzt, wenn es um Parteien geht. Amann erklärt es so: „Die Behörde ist dazu da, Gefahren für die Demokratie zu erkennen. Das hat sie jetzt getan. Für die AfD als Gesamtpartei gibt es ‚Verdachtssplitter‘, dass es Bestrebungen und ein aktives Verfolgen von verfassungsfeindlichen Ideen gibt. Deswegen ‚Prüffall‘. Der ‚Verdachtsfall‘ ist einen Schritt höher, da gibt es Belege für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Untersucht wird der ‚Flügel‘ und die ‚Junge Alternative‘. Da sind bereits geheimdienstliche Maßnahmen im eingeschränkten Umfang möglich.“

Vieles dreht und wendet sich, das wird besonders während der Diskussion um Björn Höcke klar. Dem thüringischen AfD-Vorsitzenden, um den sich wohl alleine 50 Seiten im Verfassungsschutzbericht drehen. Diese Höcke-Zitate werden im Laufe der Maischberger-Sendung eingeblendet:

„Der Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie wabert durchs Land. In dieser Lage, das sage ich als staatstreuer Bürger, ist nicht Ruhe, sondern Wut und Mut und Renitenz und ziviler Ungehorsam erste Bürgerpflicht. Holen wir uns unser Land zurück.“

„Es ist nicht auszuschließen, dass in 50 Jahren fremde Völkerschaften durch unsere verlassenen Bibliotheken, Konzertsäle und Parlamentsgebäude streifen und sich fragen, wie eine so hochstehende Kultur sich einfach aus ihnen hat hinwegfegen lassen.“

„Liebe Freunde, das wollen wir nicht. Die Zeit des alten Machtkartells läuft ab. Unsere Zeit kommt.“

„In der erhofften Wendephase stünden uns harte Zeiten bevor, denn umso länger der Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsweise die erforderlichen Schnitte werden.“

„Eine neue politische Führung muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen.“

„Menschliche Härten und unschöne Szenen werden sich nicht immer vermeiden lassen.“

„Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen.“

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„Ist das verfassungswidrig?“

Oft wurde diskutiert, wieso sich niemand von Björn Höcke distanziert, deshalb hakt an dieser Stelle Reul beim Bundesvorstand der AfD nach: „Finden Sie die Sprache in Ordnung?“

Gauland: „Ist das verfassungswidrig?“

„Weichen Sie nicht aus. Finden Sie die Aussagen in Ordnung und decken Sie diese?“

„Es geht nicht um OK. Ich würde mich selbst anders ausdrücken. Aber das ist das, was Helmut Kohl die Geistig-moralische Wende nannte.“

„Herr Gauland, ich würde Sie bitten, das nicht zu wiederholen. Das ist eine Unverschämtheit.“

Gauland: „Ich kann es auch nochmal Mal wiederholen. Das muss man aushalten. Ist das verfassungs- oder gesetzeswidrig?“

Nein, ist es nicht. Aber ein tatsächlich unverschämter Zug von Gauland, weil er versucht, die Aussagen von Höcke dadurch zu legitimieren, indem er sie von der Denkweise und Gewichtigkeit mit der „Geistig-moralischen Wende“ von Helmut Kohl gleichsetzen will. Das ist Relativierung gefährlicher Sprache in Reinform. Und das bleibt auch Gaulands Ton und Streben die gesamte Sendung über.

Er geht sogar noch weiter: „Björn Höcke ist kein Nazi, sondern ein Nationalromantiker. Ich kenne ihn, er ist ein sehr kluger und gebildeter Mann mit einer übersteigerten Liebe zu diesem Land. Er ist kein Faschist, auch kein Rechtsradikaler, sondern er liebt mit leidenschaftlichem Herzen die Kultur dieses Landes.“

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Aussagen, die jede Satire vor Neid erblassen lassen

Darauf sagt Amann kopfschüttelnd: „Das ist wie Satire.“ Und weiter versucht sie nachzuvollziehen, wieso keine Abgrenzung von Höcke erfolgt: „Ich sehe Herrn Höcke als Symbolfigur. Dass er von Herr Gauland nicht angegriffen oder kritisiert wird, zeigt, welches Gewicht er hat. Er könnte in Thüringen stärkste Kraft werden bei der Landtagswahl. Es gibt eine Art Trauma in der AfD seit Bernd Lucke, als man einmal versucht hat, Grenzen zu ziehen in einer berühmten E-Mail. Darin stand in etwa: ‚Ich möchte nicht mehr, dass Quatschgedankengut verbreitet wird, wie Reichsbürgertum oder die Deutschland GmbH.‘ Seither gerät jeder unter Druck, wird nicht mehr gewählt oder isoliert, der eine rote Linie zieht. Wie Frauke Petry.“

Gauland erzählt zudem während der Sendung, dass bei Abstimmungen in der Fraktion hinter dem Höcke-Flügel mitunter 40 Prozent der Partei stünden – was nichts anderes bedeutet, als dass es auch Machtkalkül ist, Höcke reden zu lassen oder ihm gar beizuspringen. Herles sagt dazu: „Das Problem ist, dass Herr Höcke ein Goebbels-Imitator ist. Die rhetorischen Dinge, die er vermittelt, sind unterirdisch.“ Und doch scheinen sie einen großen Teil der Partei anzusprechen, was mehr als besorgniserregend ist und zudem die Prüfung durch den Verfassungsschutz rechtfertigt. Oder?

Die Runde ist gespaltener Meinung, so sagt Gauland, es sei ein „demokratietheoretisch unsäglicher“ Vorgang. Vielmehr diene es nur der „Stigmatisierung“ seiner Partei, um die „Opposition mundtot“ zu machen. Zudem sehe er es als „grundgesetzwidrig“ und einen „Eingriff in die Parteienhoheit“.

Kipping dazu: „Niemand stigmatisiert die AfD so gut, wie sie selbst. Und ja, die permanente Verharmlosung der Verbrechen der Nazizeit hat System. Aber man muss die Partei politisch stellen.“

Verständnis für die Lage der AfD zeigt Amann, weil sie im Gegensatz zur AfD den 400-seitigen Bericht des Verfassungsschutzes vorliegen hat. Sie kann nicht nachvollziehen, wieso der nicht öffentlich sei, immerhin drehe sich alles um öffentlich getätigte Aussagen von Parteimitgliedern.

Herles sagt, er sei für eine wehrhafte Demokratie, das Vorgehen des Verfassungsschutzes zeige aber keine Stärke, sondern nur demokratische Schwäche. „Es ist die bequemste Art, wenn die Arbeit jetzt nicht die anderen Parteien übernehmen, sondern der Verfassungsschutz. Der Missstand liegt nicht bei der AfD, sondern dass große politische Fragen in der Großen Koalition alternativlos durchgewunken werden.“

Ist die AfD nach rechts gerückt?

Amann hingegen zählt auf, wieso der Prüffall richtig ist: „Man merkt eine Radikalisierung, dazu kommen systematische Tabubrüche, die dazu führen, dass Minderheiten ausgegrenzt werden. Dass Muslime und Flüchtlinge pauschal verdächtigt und erniedrigt werden, was nichts mehr mit demokratischem Streit zu tun hat. Dazu wird ‚der politische Feind‘ delegitimiert, als Volksfeind bezeichnet und es wird Hass und Hetze auf ihn ausgeschüttet. Wenn das nicht verfassungsfeindlich ist, weiß ich auch nicht.“

Dazu passt die grundlegende Frage, ob die Partei überhaupt nach rechts gerückt ist. Das können alle in der Runde einstimmig beantworten – mit einer Ausnahme natürlich. Kruse sagt dazu: „Die Partei hat sich stark nach rechts bewegt. Aber man kann es nicht wie einen Punkt verschieben. Es gibt auch jetzt noch vernünftige Konservative, aber es gibt auch ganz rechte Leute. Braun sind sie nicht, sie sind auch nicht gefährlich für die Demokratie. Ich würde aber vieles politisch bekämpfen, was die Partei sagt, vor allem im Osten.“

Ähnlich argumentiert auch Kipping: „Das Spannende an den Aussteiger-Berichten, von Ex-AfDler, wie Ihrem ist: Alle sagen, es gibt einen starken Sog nach rechts, die Parteiführung ist getrieben. Keine rote Linie, die man gezogen hat, wird eingehalten und der Einfluss der organisierten Neonazis ist der stärkste und dominanteste.“

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Die AfD habe nur „neue Probleme“ aufgenommen

Nochmal Amann, die ein differenzierteres Bild zeichnet: „Der Rechtsruck ist klar nachzuvollziehen. Aber die Mehrheit der Mitglieder, wie ich sie kennengelernt habe, ist eher vom Typus Kruse als vom Typus Höcke oder Gauland, denn zwischen ihn und Höcke passt kein Blatt. Herr Gauland setzt den Ton und gibt die Linie vor. Die Gemäßigten aber treten aus oder schweigen.“

Gauland: „Das ist völlig falsch. Die Partei hat sich nicht nach rechts entwickelt. Sie hat neue Probleme aufgenommen.“ Leider kommt Gauland mit vielen dieser Relativierungen durch. Immerhin bekennt er zu Chemnitz und dem offenen Schulterschluss mit Nazis: „Chemnitz ist aus dem Ruder gelaufen, das bestreite ich auch nicht. Wir veranstalten seither nur noch selbst Demonstrationen und achten darauf, dass sich niemand uns anschließt.“

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