Talk bei Markus Lanz: „Wir hätten auch 40 Minuten über die Zukunft Deutschlands diskutieren können.“

Markus Lanz und seine Gäste sprechen erst über die Wahl zum CDU-Vorsitz. Dann dreht sich die Runde um das Dilemma der Politik-Berichterstattung. Foto: Screenshot / ZDF
Markus Lanz und seine Gäste sprechen erst über die Wahl zum CDU-Vorsitz. Dann dreht sich die Runde um das Dilemma der Politik-Berichterstattung. Foto: Screenshot / ZDF

Eine starke Ausgabe der Talkshow, die oft Gefahr läuft, nur im seichten Wasser zu dümpeln: Das liegt nicht nur an den Gästen, die thematisch viel beizutragen haben, sondern auch am Moderator selbst, der sich überraschend streitbar zeigt. Wer den roten Faden der Sendung sucht, er könnte wohl so lauten: Überforderung.

Die Diskutanten:

Jens Spahn, Politiker, er wollte Bundesvorsitzender der CDU werden

Michael Spreng, Journalist, führte lange Zeit die Bild am Sonntag

Juli Zeh, erfolgreiche Schriftstellerin, wurde jetzt zur Verfassungsrichterin ernannt

Olli Dittrich, Schauspieler, seine liebste und bekannteste Rolle ist “Dittsche”

Eine schöne Runde! Willkommen.

Mit diesen Worten läutet Markus Lanz seine Sendung ein, die sich bei den Gästen (mal wieder) um die CDU drehen könnte, aber auch ganz fragmentarisch um die Einzelpersonen. Und tatsächlich, beides scheint richtig, weil der Moderator in einer längeren Episode zunächst versucht, Jens Spahn explosive Interna der Wahl zum CDU-Vorsitz zu entlocken oder – weil er gnadenlos scheitert – zumindest ein Sensatiönchen oder Skandälchen. Aber auch das gelingt nicht. Das klingt dann ungefähr so:

Lanz: „Wie waren die Regionalkonferenzen, haben Sie schon Entzugserscheinungen nach Ihren Mitbewerbern um den CDU-Vorsitz?“

Spahn: „Ja, irgendwie schon. Wir sind wie eine Rockband durch Deutschland getourt. Acht Abende, je drei Stunden Auftritt, das waren intensive Wochen. Mit tausenden Mitgliedern. Da lernt man sich besser kennen. Persönlich war das echt harmonisch. Klar, wir waren auch im Wettbewerb.“

Lanz: „Nach der Niederlage, wie geht es mit Friedrich Merz weiter?“

Spahn: „Ich würde mich freuen, wenn er weiter beratend tätig ist. Er hat nach der Niederlage gesagt, er bleibt an Bord.“

„Wollen Sie ihn am Kabinettstisch?“

„Das entscheiden nicht Sie und nicht ich.“

„Sie verstehen, wieso ich das frage?“

„Nein.“

Lanz mutmaßt sich investigativ ins Inhalts-Nirvana

„Merz hat Sie damals mit seiner Kandidatur enorm unter Druck gesetzt.“

„Ich wusste nicht davon. Aber es war ok, das hat dem Wettbewerb gutgetan.“

„Haben Sie von der Autobahntankstelle Paul Ziemiak angerufen und gefragt, ob es wahr ist, dass er Generalsekretär wird und nicht mehr Sie unterstützt?“

„Nein, das Telefonat hat es so nicht gegeben.“

„Wen haben Sie im zweiten Wahlgang eigentlich gewählt, in der Stichwahl zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz?“

„Verrate ich nicht.“

„Eine Frau oder einen Mann?“

„Oh, jetzt hintenrum.“

„Ich denke, Frau Kramp-Karrenbauer. Die hat von Ihnen in den höchsten Tönen geschwärmt, dass Sie alles werden können.“

Juli Zeh erklärt, wie Politikverdrossenheit entsteht

Juli Zeh macht dem ganzen ein Ende, mit einer bemerkenswerten Rede über die Konzentration auf Köpfe in der Politik, über die Zuspitzung in den Medien und den Hang zur Dramatisierung: „Sie tun mir irgendwie Leid, Herr Spahn, weil Sie sich gegen Herrn Lanz verteidigen müssen, der wohl an einen Punkt kommen will, an dem alle furchtbar zerstritten sind. Dann aber beschwert sich wieder die Presse, die Parteien würden nicht genug streiten, es gebe keine Konflikte, wenn dem nicht so ist. Ich sehe ganz klar, welch paradoxale Anforderung an Politik das eigentlich ist. Einerseits sagen die Medien, die Partei ist gespaltet, die GroKo bekommt nichts auf die Kette, alle sind zerstritten, sodass Sie dann hier sitzen müssen und alle zu Freunden erklären, damit ja nicht dieser Eindruck entsteht. Nur damit zehn Minuten später geschrieben wird, Politiker sind langweilig, haben keinen Unterhaltungswert, sind nicht unterscheidbar. Aus dieser Kluft, die politisches Sprechen verunmöglicht, entsteht Politikverdrossenheit. Wir hätten jetzt auch 40 Minuten über die Zukunft Deutschlands diskutieren können. Ich glaube, man verliert dadurch die Wähler.“

Dieses Diskussionsangebot nimmt Lanz gern an, denn obwohl er mit seinen vielen Nachfragen manchmal ein schlechtes Timing hat und damit interessante Antworten im Keim erstickt, ist er durchaus streitbar: „Da möchte ich mich wehren und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Hier sitzen Menschen und vertreten mit Verve eine politische Position, wieso zum Beispiel Marokko kein sicheres Herkunftsland sein kann und sagen dann hinter den Kulissen das glatte Gegenteil. Oder Menschen, die das Multikulturelle herausstellen und dann die Kinder auf Privatschulen ohne Ausländer schicken. Ich könnte ein Buch schreiben über diese Widersprüchlichkeit. Das ist scheinheilig und verlogen. Unser Job ist es, Menschen aus dem Tritt zu bringen und zu erkunden, worum es geht. Wenn mir ein Politiker erklärt, es geht nur um die Harmonie und nie um ihn, um Macht, die Position, dann nehme ich ihm das nicht ab. Macht ist eine Droge und Politik ein großes Schauspiel.“

Eine Diskussion, an der jeder teilnehmen möchte

Und tatsächlich gibt Spahn das auch direkt zu, wobei es wenig überraschend ist: „Ich wollte bewegen in der Politik. Ich wollte entscheiden. Jetzt bin ich Gesundheitsminister und weiß, dass Millionen Pflegekräfte darauf schauen, was ich mache. Ich habe die Chance, einen Unterschied zu machen, dafür brauche ich aber dieses Amt und die Wahl dazu.“

Nun schaltet sich auch Olli Dietrich ein, es passiert genau das, was nicht selbstverständlich ist. Die Diskussion ist mitreißend, dass auch unbeteiligte Gäste daran teilhaben: „Alles geht schnell, jeder ist mit seinem Smartphone in wenigen Senkungen um die Welt. Ich glaube, die Konzentration auf Köpfe ist nicht so leicht zurückzunehmen, so werden Menschen wie Trump Präsident. Weil sich Wähler davon an die Hand genommen fühlen. Die krassen Aussagen stehen heraus aus der Informationsflut. Heute ist jeder in der Lage, etwas zu behaupten. Deswegen hat man in der Gesellschaft einen Verdruss, weil man nicht mehr weiß, wofür ein Politiker steht. Früher gab es eine Trennschärfe, die ist weg.“

Lanz: „Heute sind wir in der Lage eine Lüge solange weiter zu lügen, bis sie eine Wahrheit bekommt.“

Michael Spreng sagt dazu: „Die Kontrollinstanzen gehen verloren. Das waren immer die Journalisten. Die fallen im Internet weg, weil jeder behaupten kann, was er will. Wenn das genügend teilen, verfestigt es sich. Der Brexit ist mit Lügen durchgesetzt worden. Etwa die Summen fürs Gesundheitssystem von Boris Johnson.“

Empfehlung: Schauen Sie die Sendung in der Mediathek

Zeh: „Wir dürfen aber auch nicht zu apokalyptisch werden. Politik ist nie faktisch geführt worden. Wir dürfen nicht der Art, wie Wahrheit im Internet präsentiert wird, folgen und die anderen Leitmedien dafür opfern. Der Witz am demokratischen System ist die Trägheit, die immer wieder Fragen neu auslotet. Das passt eigentlich nicht die Zeit, in der alles so schnell geworden ist. Digitalität ist keine Naturgewalt, wir können entscheiden, wie schnell Politik gemacht wird.“

Und auch die restliche Sendung, über persönliche Überforderung, das neue Buch von Juli Zeh, das fehlende Über-Ich, Scheitern und Exzesse bleibt spannend. Eine Folge, die sich lohnt, nachzuschauen. Nicht nur wegen der Erkenntnis, dass es sich lohnt, auch mal den Moderator herauszufordern.