Tarifmodell der Zukunft - Dynamische Stromtarife: Die Zeiten ständiger Stromanbieterwechsel sind vorbei

EU-Parlament revolutioniert den Strommarkt, Verbraucher profitieren jetzt von dynamischen Tarifen<span class="copyright">Getty Images/iStockphoto</span>
EU-Parlament revolutioniert den Strommarkt, Verbraucher profitieren jetzt von dynamischen TarifenGetty Images/iStockphoto

Seit Mai ist das Recht auf dynamische Tarife beschlossen. Für Verbraucher bietet das Sparpotenzial, gleichzeitig wissen viele aber gar nicht, worum es dabei überhaupt geht. In seinem Beitrag erklärt Strom-Profi Matthias Martensen das Konzept und seine Vorteile.

Der Strommarkt in der EU soll “stabiler, nachhaltiger und erschwinglicher” werden. So hat es das EU Parlament Ende 2023 bekanntgegeben. In diesem Sinne wurde Ende Mai 2024 eine Reform des EU-Strommarkts beschlossen. Darin enthalten ist auch ein Recht für Verbraucher auf dynamische Stromtarife. Ein Tarifkonzept, das zwar sehr nutzerfreundlich, aber noch kaum verbreitet ist. Nur wenige wissen wirklich, was sich hinter dem Prinzip verbirgt und nehmen das Sparpotenzial wahr. Dabei verbirgt sich hinter dem etwas sperrigen Begriff das Tarifmodell der Zukunft.

Strombörse bietet Sparpotenziale

Ein gewöhnlicher Vertrag mit einem Stromanbieter sieht in der Regel noch einen monatlichen Festpreis je verbrauchter Kilowattstunde vor. Er wird einmal beim Vertragsabschluss festgelegt und anschließend ungefähr einmal im Jahr angepasst – abhängig von der Kalkulation des Stromanbieters. Er berechnet einen zu erwartenden durchschnittlichen Strompreis für das kommende Jahr, addiert seine zusätzlich zu deckenden Kosten und einen Deckungsbeitrag, also einen Gewinn.

Hinter den Kulissen erwirbt der Anbieter dann an der Strombörse zu einem für ihn günstigen Zeitpunkt die für seine Stromkunden erforderliche Strommenge. Die Börse bildet in 15-Minuten-Intervallen für den kommenden Tag (Spot Day Ahead Markt) das Angebot und die erwartete Nachfrage ab. Sie richtet sich nach der erwarteten produzierten Strommenge, des erwarteten Energiemixes und dem erwarteten Stromverbrauch zur jeweiligen Zeit. Stellt sich der Händler dabei geschickt an, kann es ihm gelingen, die erforderliche Menge Strom zu einem Zeitpunkt zu kaufen, zu dem der Preis unter dem anfangs kalkulierten Durchschnittspreis liegt – und sein Profit steigt.

Ein dynamischer Tarif hingegen gibt derartige Strombörsenbewegungen direkt an den Endverbraucher weiter. Der Anbieter des dynamischen Tarifs berechnet eine Grundgebühr, mit der er seine laufenden Kosten deckt und seinen Gewinn sicherstellt. Ein weiterer Teil der Kosten besteht aus den Entgelten an den Netzbetreiber, die aber auch im Zuge eines fixen Tarifs gezahlt werden müssen. Der letzte Teil ist variabel, hier zeigt sich der dynamische Aspekt des Tarifs. In Echtzeit wird erfasst, wie viel Kilowattstunden Strom der Haushalt verbraucht, im selben Moment mit dem Einkaufspreis des benötigten Stroms an der Strombörse verglichen und in einer Monatsabrechnung 1:1 an den Endverbraucher weitergegeben.

Nicht nur sparen, sondern verdienen?

Hier verbirgt sich enormes Sparpotenzial. Der Börsenpreis unterliegt im Laufe eines Tages großen Schwankungen. In den Morgenstunden zwischen 5.00 und 8.00 Uhr morgens, während viele Menschen aufstehen und den Tag beginnen und in den Abendstunden, zwischen 18.00 und 22.00 Uhr ist der Stromverbrauch im Durchschnitt besonders hoch – durch die gestiegene Nachfrage steigt auch der Strompreis. In diesen Stunden Strom zu verbrauchen, wäre für Kunden mit einem dynamischen Tarif ein Nachteil, schließlich wird ihnen der überdurchschnittlich hohe Preis direkt weiterberechnet.

Dank eines sogenannten Smart Meters, eines intelligenten Stromzählers, der für den dynamischen Tarif eine Voraussetzung ist, und eines begleitenden Energiemanagementsystems, sind die Verbraucher über die Strombörsendaten aber zu jeder Zeit informiert. Sie wissen, in welchen Stunden der Preis günstiger ist als in anderen. Vor allem um die Mittagszeit, gegen 13.00 und 14.00 Uhr sind oft große Einsparungen möglich. Auch die Wochenenden sind in der Regel günstiger als Wochentage – mehr als 30 Prozent Einsparung sind hier im Vergleich keine Seltenheit. Mithilfe einer App lassen sich die Smart-Meter-Daten anzeigen und daraufhin das Wäschewaschen, Kochen oder E-Auto-Laden planen.

Ein ganz besonderer Vorteil entsteht dann, wenn der Strombörsenpreis negativ ist: Verschätzen sich die Marktteilnehmer und übersteigt unerwartet das Angebot an Strom die Nachfrage, so rutscht der Börsenpreis unter Null – ab diesem Zeitpunkt werden Stromkunden mit dynamischen Tarifen dafür bezahlt, Strom zu verbrauchen, statt für ihn zu bezahlen. Eine Kuriosität, die damit zusammenhängt, dass sich Kraftwerke in manchen Fällen aus technischen oder rechtlichen Gründen nicht einfach drosseln lassen.

Dafür, dass sie den Strom einspeisen, obwohl er nicht gebraucht wird und damit Netzbetreiber zwingen, für einen Ausgleich des Netzes zu sorgen, müssen sie Gebühren zahlen. Wer den Erzeugern also in diesen Stunden damit entgegenkommt , Strom zu verbrauchen und so die Menge an überschüssigem Strom reduziert, kann daran noch verdienen. Die Anzahl der Phasen mit negativen Strompreisen steigt dabei aktuell: Allein im April 2024 war der Börsenstrompreis für 50 Stunden negativ.

Preisentwicklung zeigt: Es wird Zeit für dynamische Tarife

Betrachtet man die Strompreisentwicklung der letzten Jahre, ist es dringend Zeit, dass diese Form der Abrechnung mehr Aufmerksamkeit bekommt. Sowohl von Endverbrauchern als auch dem Gesetzgeber. Der durchschnittliche Strompreis fixer Stromtarife ist nach Angaben des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft von 28,7 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) in 2014 bis heute auf stetig auf 42,22 ct/kWh gestiegen (mit dem Ausreißer des Energiekrise-Jahres 2023: 45,73 ct/kWh). Betrachtet man im Vergleich den Börsenstrompreis, so liegt der im Jahr 2024 bisher bisweilen deutlich unter denen der Jahre 2022 und 2023 – von einem Wachstum ist hier also keine Spur. Ein Indiz dafür, dass Stromkunden klassischer Tarife noch zu oft einen zu hohen Anteil für den Gewinn der Stromanbieter zahlen.

Viele Verbraucher sind sich dieses Preisanstiegs bewusst und haben sich in der Vergangenheit damit zu helfen gewusst, regelmäßig den Stromanbieter zu wechseln, um einen für die Akquise vergünstigten Neukundenpreis zu bekommen, bevor der jährlich zu erwartende Preisanstieg sie bei ihrem vorherigen Stromanbieter betrifft.

Ein dynamischer Tarif macht diesen Prozess weitgehend überflüssig. Wer einen dynamischen Stromtarif hat, muss gegebenenfalls eine Erhöhung der Grundgebühr im Auge behalten – von den Strombörsen-Gewinn-Manövern der Stromanbieter wird er aber immer unabhängig sein. Mit einem begleitenden Energiemanagement-System haben diese Kunden die größtmögliche Kontrolle über ihre Stromkosten.