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Tarifstreit: Kompromiss nach langen Kämpfen?

Potsdam (dpa) - Nach massiven Warnstreiks und langem Ringen am Verhandlungstisch naht bei Gewerkschaften und Arbeitgebern die Stunde der Wahrheit. Dieser Mittwoch ist der letzte bisher anberaumte Verhandlungstag - im Potsdamer Verhandlungshotel könnte er mit einem Durchbruch für die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen enden.

Kehrt Ruhe nach vielen Streiktagen ein? Ein Überblick über den Stand einer aufgeheizten Tarifrunde:

Was macht den aktuellen Tarifstreit besonders?

«Da ist jetzt richtig Druck auf dem Kessel», sagte Verdi-Chef Frank Werneke schon vor Wochen. Bereits als Verdi und der Beamtenbund dbb im Oktober ihre Forderungen aufstellten, befand sich das Land mitten in der Inflations- und Energiepreiskrise.

Die Gewerkschaften reagierten mit der Forderung nach 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr. Die Kommunen rechneten umgehend vor, bei ihnen würde eine Umsetzung der Forderung 15,4 Milliarden Euro kosten. 1,4 Milliarden Euro veranschlagt dafür der Bund, plus rund 4,7 Milliarden bei einer Übertragung eines solchen Abschlusses auf die Beamtinnen und Beamten.

Auf was kommt es den Gewerkschaften besonders an?

Vielen Beschäftigten etwa von Kitas, Bädern oder Müllabfuhr reicht der Lohn derzeit nur knapp zum Leben, wie in vielen Interviews anlässlich der Streiks immer wieder zu hören war. Auch im Januar und Februar lagen die Verbraucherpreise jeweils um 8,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Nun soll der Abschluss ausreichen, um die hartnäckig hohe Inflation auszugleichen. «Und zwar nachhaltig und dauerhaft und eben nicht nur einmalig», wie dbb-Chef Ulrich Silberbach sagt.

Woran entzündete sich der größte Streit?

Als «das Wichtigste für die Beschäftigten» bezeichnete Werneke «einen sozial balancierten Tarifvertrag, eine soziale Komponente, einen Mindestbetrag». Jeden Monat 500 Euro mehr also. Von Anfang an stemmte sich die Verhandlungsführerin der Kommunen, Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge, gegen so einen Mindestbetrag.

Ihr Argument: «Wir haben schon jetzt Schwierigkeiten, Beschäftigte zu überzeugen, Führungspositionen zu übernehmen.» Das werde noch schwieriger, wenn der Abstand zwischen unteren und oberen Löhnen schrumpfe.

Womit argumentieren die Arbeitgeber noch?

Mit den immer zahlreicheren Aufgaben der Kommunen. «Wir müssen die Verkehrswende gestalten, wir müssen Klimaanpassungsmaßnahmen durchführen, wir müssen Wärmeplanung machen, wir müssen neue Mitarbeiter einstellen», sagte Welge. «Das alles zusammenzubringen, wird kein leichtes Unterfangen.» Eine komplette Durchsetzung der Gewerkschaftsforderungen würde das laut Welge alles erschweren.

Was halten die Gewerkschaften dem entgegen?

Die Kommunen geben finanziell kein einheitliches Bild ab - es gibt reiche und arme. Insgesamt hätten die Kommunen vergangenes Jahr einen Milliardenüberschuss erwirtschaftet, betonte Werneke. Ärmeren Kommunen etwa in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder im Saarland sei auch mit einem schmalen Tarifabschluss nicht geholfen - sie bräuchten eine Ablösung ihrer Altschulden.

Was liegt noch auf dem Verhandlungstisch?

Es geht auch um die Laufzeit - 12 Monate fordern die Gewerkschaften. 27 Monate Laufzeit wollten die Arbeitgeber gemäß ihres Angebots vom Februar. Umstritten ist aber vor allem auch die Frage möglicher Einmalzahlungen. Die Arbeitgeber haben im Februar einmal 1500 und dann noch einmal 1000 Euro als «Inflationsausgleichsgeld» geboten.

Werneke hingegen geißelte Einmalzahlungen bereits im Herbst als «Strohfeuer», Silberbach als «verbrannte Erde». Die lineare Erhöhung, die die Arbeitgeber im Februar anboten, beläuft sich auf 5 Prozent in zwei Stufen.

Welche Szenarien gibt es für die Tarifrunde?

Erhöhung, Einmalzahlungen, Mindestbetrag - beide Seiten könnten sich zu einem Kompromiss durchringen. Sie könnten die Verhandlungen auch noch einmal vertagen, allerdings würde es dann wohl auch nicht leichter, heißt es bei den Verhandlerinnen und Verhandlern.

Die Gewerkschaften könnten nach einem Scheitern auch eine Urabstimmung über einen regulären Arbeitskampf mit Erzwingungsstreiks anpeilen.

"Überblick Streik: Gewerkschaft, Arbeitnehmer, betroffene Sektoren" Grafik: Mühlenbruch, Redaktion: Schneider
"Überblick Streik: Gewerkschaft, Arbeitnehmer, betroffene Sektoren" Grafik: Mühlenbruch, Redaktion: Schneider

Doch es gibt auch das Instrument der Schlichtung. Eine Seite, beispielsweise die Arbeitgeber, könnten die Gespräche für gescheitert erklären, auf Hilfe von außen setzen - und die Schlichtung anrufen.

Wie würde die Schichtung ablaufen?

Nach festen Regeln und Fristen. Eine Schlichtungskommission würde einberufen, und die Friedenspflicht setzt ein - bis nach Ostern wären Warnstreiks ausgeschlossen. Die Vorsitzenden der Schlichtungskommission wären der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt von der Arbeitgeberseite und der ehemalige Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr für die Gewerkschaften.

Wie das Beispiel der bisher letzten umfassenden Streiks im öffentlichen Dienst zeigt, bringt aber auch eine Schlichtung nicht unbedingt den Durchbruch. 1992 wurde ein Schlichterspruch nicht angenommen - rund zehntägige flächendeckende Streiks folgten.

Wie ist die weitere Streikbereitschaft heute?

Ob Busfahrer, Krankenpflegerinnen, Erzieherinnen, Müll- und Klärwerker, Straßenbahnfahrer oder Angestellte an Flughäfen - Beschäftigte zeigten seit Monaten reihenweise große Streiklust. In Umfragen bekundeten weite Teile der Bevölkerung für sie Verständnis - und für das Argument, dass viele öffentlich Bedienstete eher unterbezahlt seien. Verdi sieht sich durch die massiven Warnstreiks der vergangenen Wochen gestärkt - und verzeichnete über 70.000 Eintritte in den vergangenen drei Monaten.

Wenn Verdi-Chef Werneke im September beim Bundeskongress seiner Gewerkschaft zur Wiederwahl ansteht, zählen auch gute Tarifabschlüsse und erfolgreiche Mobilisierung. Und auf den Vorwurf, dass Verdi schon früh in dem Tarifkonflikt das große Besteck herausgeholt habe, sagte Werneke in einem Interview: «Ich würde sagen, wir haben gerade mal Messer und Gabel herausgeholt.» Verdi zeigt sich also bereit zur Eskalation.