Tatort aus Kiel: Das Spiel mit der Todsünde

Borowski und Peggy unterhalten sich, nachdem sie ihr Wohnzimmer mit einem Rasenmäher zerlegt hat. (Foto: NDR / Christina Schroeder)
Borowski und Peggy unterhalten sich, nachdem sie ihr Wohnzimmer mit einem Rasenmäher zerlegt hat. (Foto: NDR / Christina Schroeder)

Borowoski und Sahin ermitteln in einem Mord, der für sie unlogisch und wirr erscheint. Der Zuschauer kennt hingegen Täter und Hergang von Anfang an, dennoch ist der Kieler Tatort überraschend und unterhaltsam: “Borowski und das Glück der Anderen”.

Vogelperspektive auf einen schmucken Vorort, Typ Eigenheim-Idylle, die Kamera-Drohne sinkt langsam herab, nimmt eine Villa in den Fokus, dreht dann aber plötzlich ab, in Richtung Nachbarhaus, das weniger groß und weniger schön ist. Ohne Schnitt geht es durch das Fenster, mitten ins Wohnzimmer, wo Peggy Stresemann (Katrin Wichmann) den Rasenmäher anwirft und die Zerstörung in einer wunderschönen Slow-Motion-Sequenz ihren Lauf nimmt: Die Klingen des Rasenmähers fressen erst den Plastikteppich auf, zerreißen dann ein Kissen, dass die Federn nur so durch die Luft sausen, saugen einen Vorhang ein, zerlegen den Glastisch und zerstören den Fernseher.

Hintergrund: “Tatort: Borowski und das Glück der Anderen”: Das sagt Axel Milberg

Wenige Tage zuvor: Das Gras auf der anderen Seite des Zauns ist immer grüner – so blickt Peggy auf die Welt. Das Gras ist in dem Fall das Leben der hübschen, erfolgreichen und neuerdings wohl auch stinkreichen Nachbarn Victoria (Sarah Hostettler) und Thomas Dell (Volkram Zschiesche). Denn Peggy beobachtet, wie sich die beiden – während im Hintergrund die Ziehung der Lottozahlen läuft – vor Freude in den Armen liegen. 14,2 Millionen Euro in der Nordlotterie: “Alles was glücklich macht, macht uns auch reicher”, dudelt es noch aus dem Fernseher.

Noch mehr Glück wäre unanständig

Als an diesem Abend ihr Mann Micha (Aljoscha Stadelmann) nach Hause kommt, fragt ihn Peggy:

“Würdest du was ändern? Wir sind glücklich, oder? Wir haben alles, was wir brauchen?”

Und er antwortet: “Mehr wäre unanständig.”

“Unsere Nachbarn haben den Jackpot abgeräumt, sie haben die Lotterie geschaut und sind ausgerastet. Die sind jetzt schweinescheißreich. Die machen Ferien für immer.”

“Für immer wäre mir zu lang.”

“Wieso haben wir nicht mal Glück?”

“Haben wir doch. Dauernd.”

“Das hier nennst du Glück?”

Und so schreitet die Geschichte gemächlich voran, während in Peggy, die von ihrem Küchenfenster aus das viel lebenswertere Leben im Nachbarhaus beobachtet, der Neid wuchert. Bis im Radio die Meldung kommt, dass der Lotterieschein noch nicht eingelöst wurde und Peggy einen Plan zu schmieden beginnt.

Champagner-Laune und Blutspritzer

Der Kieler Tatort ist ein sehr ruhiger Tatort, der vor allem mit seinen Dialogen besticht. Sie sind manchmal scharf und immer pointiert. Etwa wenn plötzlich die Nachbarin vor Peggy, sie ist Kassiererin im Supermarkt, an der Kasse steht und Pralinen und Champagner kauft.

“Sammeln Sie Treuepunkte?”

“Nein.”

“Brauchen Sie wohl nicht mehr.”

Der Tatort zeigt, wie Neid, wenn er sich unkontrolliert von innen nach außen frisst, nicht nur das eigene Leben zerstört, sondern noch zahlreiche weitere Opfer fordern kann. Der Zuschauer beobachtet dabei hauptsächlich die Protagonistin Peggy bei ihrer Entwicklung, von einer Frau, die unzufrieden ist mit ihrem Leben, zu einer kaltblütigen Mörderin, die sich tatsächlich so lange eingeredet hat, ein besseres Leben zu verdienen, dass sie zu keiner Zeit Schuld verspürt.

Peggy hat Blut im Gesicht, ihr Gesicht reagiert später darauf mit einem Ausschlag. Foto: NDR / Christina Schroeder
Peggy hat Blut im Gesicht, ihr Gesicht reagiert später darauf mit einem Ausschlag. Foto: NDR / Christina Schroeder

Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) tappen deswegen lange Zeit im Dunkeln. “Dann bleibt uns nur noch der Zufallsmörder”, sagt an einer Stelle Sahin, die während der ganzen Folge ein blaues Auge trägt. Auf die Frage, woher das stamme, antwortet sie: “Von privat.”

Doch während zu Beginn des Films Borowski und Sahin noch etwas verstockt miteinander umgehen, kommen sie sich während der Spielzeit tatsächlich näher. Borowski springt sogar als Sahins Partner und werdender Vater von Zwillingen ein. Gut für eine dringend notwendige Vertiefung der Beziehung zwischen den beiden Kommissaren.

Fazit: Sehenswert

Der Tatort aus Kiel ist kein Wiesbadener Meisterstück, aber ein kluger und erzählerisch gewitzter Tatort, der viele unterhaltsame und doppeldeutige Momente hat. Wenn etwa Peggy fragt: “Sind Sie Junggeselle?” und Borowski antwortet: “Mir fehlt zum Glück die Frau.” – dann dreht allein die Betonung den Sinn um ins Gegenteil.

Der Kieler Tatort ist nie spannend, weil der Mord früh als Totale gezeigt wird, denn er ist ein wichtiger Teil der Erzählung, wie sich ein Mensch ins Gegenteil verkehren kann, wenn er sich niederen Gefühlen hingibt. Aber er ist stets clever und unterhaltsam und damit auch sehenswert.

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