Tatort aus München: „Nix mehr Maria und die ungehackte Empfängnis.“

Die Komissare Ivo Batic und Franz Leitmayr (beide links im Bild) entdecken auf dem Computer des vermissten Mädchens Melanie eine künstliche Intelligenz von der ihre Eltern Robert und Brigitte nichts ahnen. Foto: Bavaria Fiction GmbH / BR
Die Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr (beide links im Bild) entdecken auf dem Computer des vermissten Mädchens Melanie eine künstliche Intelligenz von der ihre Eltern Robert und Brigitte nichts ahnen. Foto: Bavaria Fiction GmbH / BR

Zum wiederholten Mal beschäftigt sich der Tatort an diesem Sonntagabend mit Künstlicher Intelligenz. Während in Berlin noch kryptisch von “Tiere der Großstadt” die Rede war, ist der Titel in München so einfach wie verständlich “KI”. Die Kommissare Leitmayr und Batic wirren sich durch die Cyberwelt, ohne dabei allzu verloren zu wirken. Doch das Für und Wider von KI wird kaum besprochen, was dem Tatort die Hintergedanken nimmt.

Das sind die besten Tweets zum Tatort “KI” aus München

“Soll ich dir ein Geheimnis verraten, du darfst es aber niemandem sagen?” fragt die 14-Jährige Melanie Degner (Katharina Stark) in die integrierte Kamera ihres Laptops. Der scheint ihr zuzuhören. Melanie redet mit ihm, wie mit einer Freundin. Um 13.52 spricht Melanie das letzte Mal mit ihrem Laptop.

Als ihr Vater Robert (Dirk Borchardt) sie nur knapp eine Stunde später zum Essen abholen will, ist das Haus verwüstet und Melanie verschwunden. Er ruft seinen Polizistenkumpel Ivo Batic (Miroslav Nemec) an, der sofort mit Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und der gesamten Kavallerie anrückt. Eigentlich komisch, wurde uns doch in Hunderten Krimis erklärt: Erst nach 24 Stunden fängt die Polizei an, nach einer vermissten Person zu suchen. Und Melanie war heute Morgen noch da. Batic erklärt: “Der ist ein alter Freund von mir.” Leitmayr stänkert: “Wir kennen uns seit 25 Jahren und ich hab noch nie von dem gehört.” Sei’s drum. Die Suche wird eingeleitet.

Auch in Melanies Zimmer dürfen sich die Kommissare umsehen. Plötzlich fängt der Laptop an, mit ihnen zu reden: “Bitte positioniere dein Gesicht so, dass ich es sehen kann”, sagt er. “Ich beiße nicht.” Melanies Eltern kennen den vermeintlichen Chatbot nicht, aber der kennt sie. Als die beiden vor dem Laptop stehen, sagt er: “Du bist Robert und du bist Brigitte, ihr habt euch scheiden lassen, Robert hat jetzt eine neue Familie.” Leitmayr erwidert in Richtung Laptop: “So, dich nehmen wir mit.”

Es stellt sich heraus, dass auf Melanies Computer eine Künstliche Intelligenz installiert war. Eine, die nur besser wird, wenn man mit ihr spricht. Eine, wie sie das Leibniz Rechenzentrum in Garching gerade ertüftelt. Doch dort befindet sich die KI, genannt x-map, im geschützten Rahmen. Die Probanden kommen ins Zentrum, um mit ihr zu sprechen und sie mit Wissen zu füttern. Wie kann sie auf Melanies Computer gelandet sein? Sie wurde geleakt, heißt jetzt Maria und spricht mit fast 10.000 Menschen am Tag wie sie mit Melanie gesprochen hat. Leitmayr kommentiert das sarkastisch: “Nix mehr Maria und die ungehackte Empfängnis.“

Liefert die Künstliche Intelligenz Maria Hinweise auf Melanies Verschwinden? Foto: Bavaria Fiction GmbH / BR
Liefert die Künstliche Intelligenz Maria Hinweise auf Melanies Verschwinden? Foto: Bavaria Fiction GmbH / BR

Im Leibniz Rechenzentrum treffen die Kommissare auf Anna Velot (Janina Fautz) und Bernd Fehling (Florian Panzner), die an der KI arbeiten, wie sie im Labor steht. “X-map ist ein Ferrari und wir lassen ihn ihn einer 30er-Zone fahren”, schimpft Velot. Sie wird den ganzen Krimi lang die viel zu junge Überfliegerin geben, die schon lange zwischen zweifelhaften Emotionen für ihr x-map-Baby und kaltblütiger Ignoranz allem Menschlichen gegenüber gefangen ist. Dass x-map nun “befreit” wurde und im neuen Design als Maria ihr Unwesen treibt, scheint der jungen Technikerin eine diebische Freude zu sein.

Was kann Künstliche Intelligenz? Der Tatort “KI” im Realitätscheck

Melanie bleibt zunächst verschwunden, die Aufmerksamkeit der Kommissare gilt dem Technikpessimisten Christian Wilmots (Thorsten Merten), der im Haus gegenüber der Degners wohnt und dort allerlei gruselige Experimente durchzuführen scheint. Dass er aus x-map Maria gemacht hat ist schnell klar, doch – ganz der Verschwörungstheoretiker – ruft er den Kommissaren, die ihn stellen wollen, zu: “Wer schickt euch? NSA? BND?”. Dann stürzt er sich in die Tiefe des Leibniz Rechenzentrums und ist tot. Davor hat er sich noch den selbst implantierten Chip aus dem Unterarm geschnitten, den sich Velot nun zu Nutze macht, um die Polizei in die Irre zu führen.

Sie verschafft sich Zugang zu Marias Backend und flüstert ihr ein, dass sie einen Sexualstraftäter in Melanies Zimmer gesehen haben soll. Den zu verfolgen macht sich Melanies Vater zum Ziel, nachdem er von der Richterin freigelassen wurde, da nicht genügend Beweise gegen ihn vorlagen. Immer den Laptop mit der KI Maria darauf neben sich, auf dem Beifahrersitz aufgeklappt, beginnt er seinen Vendetta-Feldzug.

Was am Tatort München stört

Es sind die kleinen Unfeinheiten, die den Tatort München etwas eigenartig und dadurch unglaubhaft wirken lassen. Beispielsweise geben sich die Kommissare Leitmayr und Batic von Anfang an nicht ganz so technisch unbefleckt, wie man es bei zwei ergrauten Polizisten hätte befürchten können. “Ich weiß, was ein Chatbot ist”, sagt Leitmayr an einer Stelle. An anderer scheinen die Kommissare mit dem Wort “USB-Stick” dagegen etwas überfordert zu sein – diese Diskrepanz bei ihrem Wissenstand scheint eigenartig.

Auch unklar bleibt, warum Robert Degner sich mit Maria gemeinsam zum Sexualstraftäter begeben muss. Maria muss weiter eine Rolle spielen, sie wird es am Ende auch sein, die entscheidende Hinweise liefert, aber so richtig sinnig ist es nicht, mit einem Laptop, dessen KI dich per Kamera die ganze Zeit beobachtet, zu einem Mordkommando zu fahren.

Schade ist auch, dass der Versuch, eine Metaebene im Film zu kreieren, doch sehr kurz kommt. Als Leitmayr vor Maria sitzt und versucht, ihr wichtige Infos zu entlocken, will die lieber versuchen die Beweggründe für Rache zu verstehen. Sie sagt: “Ein Ausgleich für einen Mord ist ein Mord.” “Nein”, sagt Leitmayr laut. “Das ist falsch. Rache ist falsch.” Erst mit einem Zitat aus der Bibel “Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und nähme doch Schaden an seiner Seele”, kann er der KI verständlich machen, dass Rache dazu führen kann, dass man Schaden an seiner Seele nähme.

Ausgerechnet die Bibel bringt das absolut unbiblischste Wesen zum Verstehen. Ausgerechnet das Wort Seele soll Maria erklären, was ein Mensch empfindet. All das scheint doch sehr unglaubwürdig und zu simpel. Es schwächt den Tatort.

Ein Fazit

So richtig gelungen ist der Tatort “KI” (Buch: Stefan Holtz, Florian Iwersen, Regie: Sebastian Marka) nicht. Es scheint eher als wäre er irgendwo auf halber Strecke stecken geblieben. Oder als hätte er die Abzweigung der leichten Antworten genommen. Ein paar mehr Gespräche dürfen die ewig motzenden Tatort-Kommissare schon führen, damit der Zuschauer am Ende vielleicht sogar etwas zum Nachdenken bekommt. Oder war das gar nicht das Ziel?