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"Tatort": Wie haben Sie die RAF-Phase erlebt, Hannes Jaenicke?

Der "Tatort: Der rote Schatten" (15.10.20:15 Uhr, das Erste) rollt die Geschehnisse rund um den sogenannten Deutschen Herbst und Todesnacht von Stammheim wieder auf. Hannes Jaenicke (57, "Allein unter...") spielt im Krimi einen V-Mann für den Verfassungsschutz, der in den 1970er Jahren gegen die RAF eingesetzt war. Tatsächlich war der in Frankfurt am Main geborene Schauspieler im Herbst 1977 zarte 17 Jahre jung. Wie er die RAF-Phase erlebt und ob ihn das damals überhaupt schon interessiert hat, erzählt er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Ende der 1970er Jahre waren Sie ein Teenie. Wie haben Sie denn die RAF-Phase erlebt? Hat es Sie überhaupt schon interessiert?

Hannes Jaenicke: Ich war 17 und längst politisiert, weil ich a) auf eine erzkonservative, komplett Spaß-befreite Schule in Bayern ging und b) RAF, Alt-Nazis, Antisemitismus, Vietnamkrieg, Franz Josef Strauß etc. Dauergesprächsthemen in meiner Familie waren. Ich hatte das Glück, von Eltern großgezogen zu werden, die durch und durch anständige Sozialdemokraten und engagierte Willy-Brandt-Unterstützer waren.

Ihre Rolle, Wilhelm Jordan, kann im Grunde genommen so böse werden, wie er will, ohne zu Rechenschaft gezogen zu werden. Was halten Sie davon?

Jaenicke: Das Böse setzt sich nun mal leichter und schneller durch als das Gute. Es ist faszinierend, sich mit einem Charakter auseinanderzusetzen, der als Idealist anfing und als desillusioniertes, zynisches Wrack endet. Die Entwicklung dahin kann ich verstehen, den mangelnden Kampf dagegen nicht.

In einigen Szenen tragen Sie lange Haare und einen Schnauzer. Wie haben Sie sich damit gefallen?

Jaenicke: Dominik Graf [Regisseur, Anm. d. Red.] wollte, dass ich älter wirke als ich bin, was historisch betrachtet völlig richtig ist. Für die erste RAF-Generation wäre ich zehn Jahre zu jung gewesen. Und sich mal so richtig zu verkleiden, macht großen Spaß, es gibt viel zu wenige Rollen, wo das mal möglich ist.

Im Krimi werden zwei Theorien - Suizid oder Mord - zur "Todesnacht von Stammheim" erklärt, in der drei RAF-Anführer starben. Welche finden Sie persönlich plausibler?

Jaenicke: Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber ich hatte immer starke Zweifel am Wahrheitsgehalt dessen, was Politik und Medien uns seit 1977 über die RAF, deren Selbstmorde und Attentate kommuniziert haben.

Eine vierte Terroristin, Irmgard Möller, hat ja schwerverletzt überlebt. Wird die nicht irgendwann erzählen, wenn es keine Suizide waren?

Jaenicke: Die meisten Mitglieder der ersten RAF-Generation haben nie ausgepackt. Was für Angehörige beispielsweise der Buback-Familie unerträglich sein muss. [Generalbundesanwalt Siegfried Buback wurde von der RAF am 7. April 1977 in Karlsruhe erschossen; dieser Mord gilt als Auftakt des Terrorjahres, Anm. d. Red.]

Im Film erzählt Kommissar Lannert (Richy Müller) auch den eigentlich ja guten idealistischen Hintergrund, vor dem der Terror entstand: "Wir haben den Hunger in Afrika gesehen damals. Uns war sofort klar, so darf die Welt nicht sein. So kann sie nicht sein. Diese Ungerechtigkeit. Und dann überall diese alten Naziköpfe: Lehrer, Politiker und vor allem in der Justiz." Was halten Sie davon?

Jaenicke: Diese Sätze sprechen mir aus der Seele. Den idealistischen Hintergrund und die politischen Motive der späteren RAF-Terroristen konnte und kann ich bis heute sehr gut nachvollziehen. Nach dem Abtauchen in den Untergrund war die Wahl ihrer Waffen aber leider fatal. Es gibt bis heute keine Alternative zum gewaltfreien Widerstand, das Zerschlagen des Dritten Reiches durch die Alliierten vielleicht ausgenommen.

Im Krimi verschwindet ein wichtiges Beweismittel. Das erinnert an die verschwundenen Beweismittel vom Oktoberfest-Attentat 1980 ("Der blinde Fleck"). Mischen Staatsschutz, Verfassungsschutz, Geheimdienst etc. wirklich immer noch so viel mit?

Jaenicke: Natürlich. Der NSU-Skandal ist doch das beste Beispiel...

Foto(s): imago/APress, SWR/Sabine Hackenberg, SWR/Sabine Hackenberg, SWR/Julia von Vietinghoff