Zehntausende protestieren in Jerusalem gegen geplante Justizreform

Zehntausende Menschen haben in Jerusalem am Montag gegen die geplante Justizreform der ultrarechten Regierung demonstriert. Medienberichten zufolge zogen mehr als 40.000 Menschen in Richtung Parlament, wo in erster Lesung über zwei zentrale Punkte der umstrittenen Reform debattiert wurde. Viele trugen israelische Flaggen und skandierten "Israel ist keine Diktatur" oder "Demokratie bedeutet Dialog".

Das Reformvorhaben von Regierungschef Benjamin Netanjahus Koalition aus rechtsextremen und ultraorthodoxen Parteien soll es dem Parlament unter anderem erlauben, Entscheidungen des Obersten Gerichts mit einfacher Mehrheit zu widerrufen - und damit dessen Befugnis zur rechtlichen Überprüfung von Gesetzen fast vollständig abzuschaffen.

Zudem soll die Zusammensetzung des Komitees geändert werden, das die Richter ernennt. Mit der ersten Abstimmung wurde für den Abend oder die Nacht gerechnet. Durch die Reform soll auch der Einfluss juristischer Berater in den Ministerien verringert werden.

"Der Staat ist in Gefahr", sagte Dvir Bar, ein 45-jähriger Demonstrant aus Holon. Die Reform sei "ein Putschversuch, der darauf abzielt, Israel in eine Diktatur zu verwandeln", fügte er hinzu.

"Ich bin wirklich in Sorge", sagte die Kinderärztin Adi Aran. Mit der geplanten Justizreform könnte Israel aufhören "ein Staat zu sein, in dem meine Kinder leben können", sagte Aran. Auch im Norden von Tel Aviv demonstrierten rund 4000 Eltern, Schulkinder und Lehrer.

Die Demonstration in Jerusalem löste sich am frühen Abend auf. Die Polizei nannte keine Teilnehmerzahl, mehreren Medien zufolge gingen mehr als 40.000 Menschen auf die Straße.

Der Zugang zum Parlament wurde von der Polizei abgeriegelt. Einigen Demonstranten gelang es, in die Sperrzone vorzudringen, allerdings nicht in den Plenarsaal.

Die Sitzung in der Knesset wurde von mehreren Abgeordneten der Opposition unterbrochen, die sich israelische Flaggen über die Schulter gelegt hatten und "Schande" riefen. Sie wurden umgehend aus dem Saal geführt.

Ministerpräsident Netanjahu warf den Demonstrierenden vor, "auf der Demokratie herumzutrampeln" und das Wahlergebnis nicht zu akzeptieren. Er hat sich zu Gesprächen mit der Opposition bereit erklärt, aber zugleich betont, die Reform ohne Verzögerung vorantreiben zu wollen. "Die Volksvertreter werden ihr Recht wahrnehmen, hier im israelischen Parlament abzustimmen", sagte Netanjahu.

Israels Präsident Isaac Herzog, der eigentlich eine überwiegend zeremonielle Rolle hat, zeigte sich am Sonntag "besorgt darüber, was in der israelischen Gesellschaft passiert". Er betrachtet die aktuelle Lage als existenzielle Krise. "Wir stehen vor einem schicksalsschweren Test. Ich sehe die Gräben und Risse zwischen uns, die dieses Mal tiefer und schmerzvoller werden", sagte Herzog.

In Israel wird bereits seit mehreren Wochen gegen die Anfang Januar von der Regierung angekündigte Justizreform demonstriert. In Tel Aviv versammeln sich jeden Samstagabend zehntausende Menschen. In Jerusalem waren bereits am vergangenen Montag zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen. als der Justizausschuss mit der Prüfung des Gesetzentwurfs begann.

Die massive Mobilisierung richtet sich gegen die Justizreform, aber auch gegen die Politik der Regierung generell. Netanjahu war Ende Dezember mit Hilfe eines rechtsreligiösen Bündnisses wieder an die Macht gekommen. Es ist die bisher am weitesten rechts stehende Regierung des Landes.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) eröffnete am Montag in Tel Aviv die Rosenburg-Ausstellung, welche die NS-Vergangenheit von Juristen im Bundesjustizministerium zwischen 1949 und 1973 aufarbeitet. Buschmann betonte, daraus müssten Schlussfolgerungen für die Gegenwart gezogen werden: "Die Mehrheit dürfe niemals das letzte Wort behalten – dies könne nur eine unabhängige Justiz haben", erklärte Buschmann.

ck/dja