Technik-Experte Anders Indset - Deutschland liegt zur Halbzeit 0:5 zurück - jetzt muss es den Angriff wagen
Wo soll man nur anfangen? Deutschland hinkt technologisch hinterher, zeigt mangelndes Gespür für künftige Entwicklungen, scheut Risiken, leidet unter Bürokratie. Dieser Rückstand lässt sich noch aufholen, schreibt Experte Anders Indset. Dafür muss sich das Land aber ehrlich machen - vor allem was das Thema Technologie angeht.
Kürzlich erhielt ich erfreuliche Neuigkeiten zu Comfortcharge, dem Schnellladeprojekt der Deutschen Telekom. Auch die Tochter-Webseite erstrahlt in Magenta, und mit über 12.000 Ladekästen verspricht die Telekom, diese in Ladestationen mit 100 Prozent grünem Strom zu verwandeln. Die ersten Ladesäulen stehen bereits.
Wenn man technologisch hinterherhinkt, mangelndes Gespür für künftige Entwicklungen zeigt, Risiken scheut und unter Bürokratie leidet, bleibt eine historische Regel: in Infrastruktur investieren. Lassen wir das zumindest für jetzt zur neuen Regel für Deutschlands und Europas Wiederaufstieg als Innovationsstandort werden.
Wo könnte man anfangen? Eine naheliegende Investition wäre ein flächendeckendes Netz an Superchargern mit einfachem Design, benutzerfreundlicher App und transparenten Preisen. Der Status quo sieht anders aus: Elektroautos werden mit diversen Kabeln und Apps durch Deutschland manövriert. Die Volkswagen Group verspricht mit "We Charge" insgesamt 600.000 Ladepunkte, kommt jedoch nur schleppend beim Ausbau der Ladeinfrastruktur voran, vernachlässigt das Kundenerlebnis – und wundert sich dann über stagnierende Verkaufszahlen von Elektrofahrzeugen.
Die Rückkehr des Kunden
Dabei rückt das Kundenerlebnis wieder in den Fokus. Was früher durch datengetriebene 'Customer-Centricity' und Buzzwords geprägt war, ist heute ein klares Versprechen: Das Produkt und die Interaktion mit der Marke müssen attraktiv und einfach sein. Es geht nicht um Autos, sondern um Menschen, ihre Daten und die Beziehung zur Marke.
Für VW wäre die Empfehlung klar: Ein einfacher Einstieg über eine App – ob VW-Kunde oder nicht – ist der Schlüssel. Lade ich an einer ansprechend gestalteten VW-Ladesäule mit einem Zwei-Klick-Verfahren, beginnt die Beziehung. Ein Kabel, ein fester Preis, vielleicht sogar kostenlos – und das VW-Logo gut sichtbar. So entstehen Anreize. Wenn dann auch das Auto in Design und Leistung überzeugt, könnte Patriotismus den Binnenmarkt beleben, und VW wieder attraktiver werden. Wer den Zugang zu den Menschen und zur Infrastruktur hat, kann mitspielen.
Ein Blick auf die Taxi-Angebote in deutschen Großstädten zeigt, wohin die Reise geht. Die Preisangaben für Taxis vom Flughafen zu mir nach Hause – häufig von deutschen Automarken – wird angeboten für 43 bis 59 Euro bei einer Wartezeit von 10 Minuten. Im Vergleich dazu bietet Uber sein 'Green'-Angebot für 24,93 Euro an – 50 Prozent günstiger, mit einer Wartezeit von nur drei Minuten und mit einem fixen Preis. Abgeholt wird man von einem Elektroauto der Marke Toyota, Peugeot oder einem anderen Wettbewerber deutscher Automarken.
Wäre dieser Preisunterschied allen Kunden bewusst - was würde dann mit dem Markt passieren?
Es geht um Geschwindigkeit
Veränderungen gelingen durch Anreize und Lust auf Zukunft. Volkswagen und die Politik unterschätzen diese Dringlichkeit. Tesla hat mit seinem Supercharger-Netz den Fokus auf das Kundenerlebnis gesetzt, während VW auf komplizierte Registrierungsprozesse setzt. Nach unzähligen Fehlermeldungen und Klicks gab ich frustriert auf.
"Bei der Errichtung jeder öffentlichen Ladesäule ist die Zustimmung des regionalen Netzbetreibers notwendig", sagt Patrick Eberwein, Geschäftsführer von Comfortcharge. "Leidgeprüfte Nutzende wissen, woran man das erkennt: Stationen bleiben noch lange nach ihrem Aufbau außer Betrieb oder geben nur eine gedrosselte Ladeleistung ab.” Vor einem Jahr nahm die Telekom die ersten 200 Ladepunkte in Betrieb, jetzt sind es 250. Man bekommt nur ein wenig Lust auf Deutschland, aber es muss schneller gehen.
Die Herausforderungen sind ernst, und die Zukunft kommt – elektrisch. Norwegen hat kürzlich gemeldet, dass dort mehr Elektroautos als Benziner unterwegs sind, insgesamt über 750.000 Fahrzeuge. Bis 2025 könnten Dieselautos überholt sein.
"Sterben auf Raten" ist keine Strategie
Wasserstoff ist vielversprechend – vor allem im Schwerlastverkehr, in der Luftfahrt und als Energiespeicher für erneuerbare Energien. Doch der Massenmarkt für Nahverkehr und PKW ist längst elektrisch.
Dass die Politik großen Einfluss auf die Automobilindustrie hat, ist bekannt. Doch Politik und Wirtschaft sollten getrennt bleiben: Keine Politiker in Aufsichtsräten oder Vorständen. Die Aufgabe der Politik ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die der Wirtschaft dann Wachstum ermöglichen. Momentan scheitert es an beidem.
Vorstände bei VW und politische Entscheidungsträger müssen jetzt eine offene Kommunikation fördern. Das Aufholen wird teuer, aber Investitionen in Technologie, Infrastruktur und Entwicklung sind unvermeidbar. Noch können wir handeln – ein langsames 'Sterben auf Raten' ist keine Strategie für Deutschland.
Zum Nachdenken: Ein Verbrennungsmotor hat etwa 2000 Teile, ein Elektroauto nur 200. Wissen wir wirklich nicht, welche Technologie die Zukunft prägen wird?
Die Zukunft ist jetzt
Wie sieht die technologische Entwicklung wirklich aus? Elektroautos mögen keinen 'Wumms' haben, aber das stört wohl nur eine aussterbende Spezies von Motorenliebhabern. Denn in puncto Leistung liefern Elektroautos beeindruckende Resultate – getrieben von größeren Batteriekapazitäten.
Die Batteriekosten? Sind in den letzten zehn Jahren um 90 Prozent gesunken, und durch Automatisierung, Robotisierung und neue Batterietechnologien werden sie weiter fallen. Revolutionäre Materialien, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf den Markt kommen, treiben diese Entwicklung bereits voran.
Ein interessanter Gedanke: Wie weit wird in zehn bis zwölf Jahren die nächste Tankstelle entfernt sein, wenn sich der Markt radikal verändert hat? Wie werden sich die Preise entwickeln, wenn es weniger Tankstellen gibt?
Als krönender Abschluss der Entwicklung wäre der Einsatz von Elektro-Lkws im Gefahrguttransport zu nennen, um Benzin und Diesel noch wettbewerbsfähig zu halten. Und der zukünftige Kanzlerkandidat der Union twittert: "Wir wissen nicht, welche Technologien in Zukunft führend sein werden."
Aber was ist mit dem Strom?
Wir nähern uns einer Zeit, in der nahezu unbegrenzte Energie mit Grenzkosten nahe Null verfügbar ist. Das bedeutet, dass die Kosten für die Erzeugung des nächsten Kilowatts selbst mit der heutigen Technologie weniger als einen Cent betragen. Kernenergie und andere Technologien können diesen Prozess beschleunigen und neue Möglichkeiten eröffnen.
Solarenergie könnte Millionen Haushalte in Deutschland zu Mini-Kraftwerken machen. Hausbesitzer könnten sogar Geld verdienen, indem sie in vielen Teilen Deutschlands überschüssige Energie ins Netz einspeisen. Doch regulatorische Hindernisse und ein mangelndes Bewusstsein bei den Verbrauchern bremsen diese Entwicklung aus. Die Regierung muss Milliarden in die Modernisierung des Stromnetzes investieren, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Künstliche Intelligenz, und neue Technologien, vielleicht sogar Quantencomputer werden das Energiesystem weiter transformieren. Kernkraftwerke könnten speziell zur Energieversorgung von KI-Anwendungen dienen, während Hausbesitzer ihre Energie in Powerwalls speichern und kostenlose Lademöglichkeiten für Elektroautos Realität werden. Der Energiesektor steht vor einem tiefgreifenden Wandel, doch bürokratische und kurzfristige unternehmerische Interessen sowie mangelnde Weitsicht stellen eine Gefahr für Deutschland dar.
Neue Trends, alte Debatten
Während autonome Fahrzeuge und Induktionsstraßen weltweit Einzug halten, kämpft Deutschland noch mit Diskussionen über Verbrennerverbote und marode Infrastruktur. In allen Industrien geht es rasant voran. Spätestens sobald Autobatterien das Haus mit Energie versorgen, steht uns ein radikaler Wandel bevor. Es geht nicht darum, die Jammer-Kultur fortzusetzen - wenn du zur Halbzeit 0:5 hinten liegst, musst du in der zweiten Halbzeit den Angriff wagen, um mitzuspielen.
Am Wochenende fand ich mich in einem deutschen Parkhaus eingeschlossen. Das Unternehmen warb mit 'Innovation – freundlich – sicher'. Die 24/7-Hotline war natürlich nicht besetzt, und da die einzige Zahlungsmöglichkeit Münzen waren, war ich aufgeschmissen. Die "Innovation" bestand offenbar in der elektronischen Schranke beim Ein- und Ausfahren.
Auch hier geht es mir nicht um Jammern, sondern um den Anspruch, den wir an uns selbst stellen. Mein aktuelles Buch 'Wikinger-Kodex' handelt genau von diesem Thema: Eine Leistungskultur, die in Werten verwurzelt ist. Eine Zukunft, auf die wir Lust haben, aktiv mitzugestalten.
Wissen wir wirklich nicht, welche Technologie die Zukunft prägen wird? Noch haben wir die Chance, etwas zu tun.
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