Terror-Kinder: Angst vor jungen Dschihadisten in Deutschland

Training in Afghanistan: Ein IS-Mitglied zeigt Kindern den Umgang mit einer Pistole. Foto: Ghulamullah Habibi
Training in Afghanistan: Ein IS-Mitglied zeigt Kindern den Umgang mit einer Pistole. Foto: Ghulamullah Habibi

Nicht nur Männer töten im Namen des Terrors. Der IS trainiert auch Minderjährige als Kämpfer. Der Verfassungsschutz warnt vor einer neuen Dschihadisten-Generation und indoktrinierten Kindern deutscher Extremisten, die zurückkehren könnten. Wie groß ist die Gefahr?

Berlin/Al-Rakka (dpa) - Als der Junge auf den Abzug der Pistole drückt, verzieht er keine Miene, er will keine Angst zeigen. Die Waffe hält er mit beiden Händen, die Arme durchgestreckt. Das gefesselte Opfer, ein Gefangener der IS-Terrormilz, kippt nach vorn.

Der Junge schießt noch mal und noch mal, dann streckt er den rechten Arm mit der Pistole in der Hand nach oben und schreit «Allahu akbar».

Das Opfer verliert in diesem Moment sein Leben - und der Schütze seine Kindheit und Unschuld. Als er abdrückt, ist er vielleicht 13 Jahre alt, so jung jedenfalls, dass in seinem Gesicht noch nicht einmal ein dünner Flaum zu sehen ist. Ein Video der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat jedes Detail dieser Tat festgehalten.

Der Film ist ein Beleg dafür, wie kaltblütig die Terrormiliz Kinder für ihre Zwecke einsetzt. In IS-Propagandavideos tauchen Minderjährige auch als Kämpfer auf. Zeitweise sollen die Extremisten sogar eigene Rekrutierungsbüros eingerichtet haben, um Nachwuchs anzuwerben. Aber auch Kinder, die einer Rekrutierung entgingen, indoktrinierte der IS in Schulen mit seiner Ideologie.

Das weckt Sorgen, dass eine neue Generation von Dschihadisten entsteht, die die Miliz auch nach ihrer militärischen Niederlage in Syrien und im Irak weiterleben lässt. Und: Dass Kinder ausgereister deutscher IS-Kämpfer in die Bundesrepublik zurückkommen könnten - radikalisiert, stramm radikal-islamistisch erzogen und traumatisiert. Verfassungsschützer schätzen das als großes Sicherheitsrisiko ein.

«Wir sehen die Gefahr, dass Kinder von Dschihadisten islamistisch sozialisiert und entsprechend indoktriniert aus den Kampfgebieten nach Deutschland zurückkehren», sagt Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. «Damit könnte auch hier eine neue Dschihadisten-Generation herangezogen werden.» Dieses Risiko müsse man genau im Blick haben.

Rund 950 Islamisten aus Deutschland sind über die Jahre Richtung Syrien und Irak ausgereist, um sich dort dem IS anzuschließen. 20 Prozent davon waren Frauen, 5 Prozent minderjährig. Manche der Frauen reisten mit ihren Männern - und Kindern - aus, andere brachten erst in den Kampfgebieten Kinder auf die Welt, Kinder von IS-Kämpfern.

Der IS hat zuletzt riesige Gebiete in Syrien und im Irak verloren. Der Verfassungsschutz rechnet damit, dass aufgrund der Lage nun IS-Frauen mit ihren Kindern zurückkommen könnten.

Eine dieser Frauen soll Nadja R. sein: eine 31-Jährige, die laut Hessischem Rundfunk (HR) erst in Süddeutschland, später in Hessen lebte und 2014 nach Syrien aufbrach, dort einen deutschen IS-Kämpfer heiratete und mit ihm zwei Kinder bekam. Sie müht sich nun, nach Deutschland zurückzukommen, mit Hilfe des Außenamts. Laut HR beteuert sie, sie sei nicht gefährlich. Ist das glaubwürdig? Und was ist mit ihren Kindern?

Gerade ältere Kinder seien durch den IS schon radikalisiert und in Syrien und dem Irak alltäglichen Gewalterfahrungen ausgesetzt gewesen, warnen Verfassungsschützer. Diese Sozialisation könne durch den Einfluss salafistischer Milieus in Deutschland noch verstärkt werden. So könnten Dschihadisten der zweiten Generation heranwachsen.

Drei islamistische Terrorattacken in Deutschland im vergangenen Jahr gingen bereits auf das Konto von Minderjährigen: die Messerattacke einer 15-Jährigen auf einen Bundespolizisten am Hauptbahnhof Hannover, der Bombenanschlag von zwei Jugendlichen auf ein Gebetshaus der Sikhs in Essen und der Axt-Angriff eines 17-Jährigen in einer Regionalbahn bei Würzburg. Hinzu kam ein Anschlagsversuch auf den Ludwigshafener Weihnachtsmarkt - geplant von einem Zwölfjährigen.

Setzen die riesigen Gebietsverluste des IS in Syrien und dem Irak nun eine neue Rückreisewelle in Gang? Darüber wollen am Freitag auch die Innenminister der G7-Staaten auf Ischia reden. Der Gastgeber, Italiens Ressortchef Marco Minniti, warnt, dass entkommene IS-Kämpfer nun vermehrt auf Flüchtlingsrouten nach Europa zurückkehren könnten. Es gebe eine neue Lage.

Auch in Deutschland beobachtet der Sicherheitsapparat mit Sorge, ob nun vermehrt Rückkehrer kommen. Bislang ist das noch nicht der Fall. Aber geschätzt um die 600 Islamisten aus Deutschland sollen noch in den IS-Gebieten sein. Über die Jahre ist es allerdings schwerer geworden, dort herauszukommen.

Angesichts der Rückschläge des IS in Syrien und im Irak setzt die Miliz schon seit längerem darauf, durch Anschläge in Europa auf sich aufmerksam zu machen. Die jüngsten Gebietsverluste verschärfen dieses Risiko. Allerdings dürften die Niederlagen in den Kampfgebieten auch die Fähigkeit des IS eingeschränkt haben, komplexe Terroranschläge zu verüben.

Lange war die jetzt von einem kurdischen Bündnis eingenommene Stadt Al-Rakka in Nordsyrien die Zentrale, in der die Dschihadisten solche Attentate planten. Mittlerweile fehlen dem IS die einstigen Rückzugsräume, um geschützt Terrorpläne zu schmieden. Zudem hat der IS einen Großteil seiner Finanzressourcen verloren, seit seine Gegner etliche Ölquellen wieder eingenommen haben.

Was aber weiterlebt, ist die Ideologie der Dschihadisten. Unzählige Helfer verbreiten sie über soziale Medien ungefiltert in der ganzen Welt: ein stetiger Fluss aus Bildern und Videos, der sich kaum stoppen lässt und der ausreicht, um junge Menschen zu radikalisieren - nicht selten so stark, dass sie zu Attentätern werden. Ein Messer, ein Auto reichen ihnen als Waffen aus, um andere zu töten. Und den nötigen Nachwuchs hat sich der IS schon herangezogen.