Terroranschlag mit drei Toten - Solingen-Chaos wird immer verworrener - jetzt gerät weitere Figur in den Fokus

Josefine Paul<span class="copyright">IMAGO/penofoto</span>
Josefine PaulIMAGO/penofoto

Bei Josefine Paul läuft es derzeit unrund. Viel lieber würde sich die Grünen-Ministerin im NRW-Landeskabinett mit ihren Lieblingsthemen beschäftigen. Doch der Fokus liegt seit dem Terroranschlag von Solingen ganz klar auf anderen Punkten. Die Kritik an der Politikerin nimmt zu.

Integration von Migranten, eine gescheite Jugendpolitik oder den Antidiskriminierungsstellen gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit - für diese Themen setzt sich Paul gerne ein. Seit dem Terroranschlag in Solingen mit drei Toten und Schwerverletzten am 23. August durch den Syrer Issa al Hassan steht die Integrations- und Flüchtlingsministerin in der Kritik.

Die Vorwürfe nehmen zu. So haben die kommunalen Ausländerbehörden und das Ministerium offenbar die geplante Abschiebung des Flüchtlings im Juni 2023 nach Bulgarien verbockt. Immer mehr kristallisiert sich die Erkenntnis heraus, dass die Grünen-Politikerin vor dem Terrorakt in Solingen das Thema Abschiebung nicht zur Chefsache gemacht hat. Wie anders sind die Kommunikationspannen rund um die Ministerin kurz nach der tödlichen Attacke in Solingen zu erklären?

Grünen-Ministerin Paul besuchte Solingen erst zwei Tage nach dem Attentat

Tagelang hielt sich die Ministerin der schwarz-grünen Landesregierung mit öffentlichen Statements bedeckt. Im Gegensatz zu ihrem Kollegen aus dem Innenressort, Herbert Reul (CDU), blieb sie dem Tatort zunächst fern. So als ginge sie der Fall nichts an. Schlimmer noch: Bis heute behauptet Paul, erst am Sonntag, knapp zwei Tage nach dem Anschlag, über den Täter und den missglückten Abschiebefall informiert worden zu sein.

WERBUNG

Eine Chronologie der Informationsflüsse durch das Landeskriminalamt NRW und den Landespolizeiinspekteur, die FOCUS online vorliegt, lassen einen anderen Schluss zu. Demnach wussten Pauls Ministerialen bereits tags zuvor, wer hinter dem tödlichen Messerangriff steckte.

Brisanz der Lage wurde nicht erkannt

Die Zeitabläufe stellen sich wie folgt dar: Samstagnachmittag entdeckten die Ermittler das Portemonnaie mit Ausweispapieren des gesuchten Attentäters der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS). Um 16.45 Uhr kontaktierte eine LKA-Beamtin einen Referatsleiter im Ministerium von Josefine Paul. Der möge doch bitte die Ausländerakte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über den Tatverdächtigen al Hasan besorgen. Als der Referatsleiter sich an das Bundesamt wendete, erhielt er die Information, dass die Akte längst an das Bundeskriminalamt (BKA ) versandt worden sei. Dennoch ließ er sich die Unterlagen zu mailen. Was danach geschah bleibt unklar ?

Inzwischen hat der Referatsleiter einen renommierten Medienanwalt aus Bonn mandatiert. Offenbar fürchtet da jemand Probleme. Der Jurist teilte dem „Spiegel“ mit, dass sein Mandant umgehend seinen Vorgesetzten über den Fall al Hasan informiert habe. So hielt er den Dienstweg ein. „Es war und ist nicht vorgesehen, dass er als Referatsleiter direkt Kontakt mit der Ministerin aufnimmt“, bekundete der Anwalt. Ferner soll der Vorgesetzte umgehend die Abschiebe-Causa untersucht haben.

Es wirkt unwahrscheinlich, dass die leitenden Ministerialen nicht die Brisanz des Vorgangs erkannt hatten und ihre Chefin außen vor ließen. An jenem Wochenende weilte Ministerin Paul zu einer Gedenkveranstaltung von SS-Verbrechen in Frankreich. Sie hätte jederzeit ihren Besuch abbrechen und zurückreisen können. Die Chronologie der Ereignisse legt den Schluss nahe, dass auf Grund von Kommunikationspannen die Brisanz der Lage nicht erkannt wurde.

Ungereimtheiten bei der Aufarbeitung: Paul steht in keinem guten Licht

Auf Anfrage teilte ein Pressesprecher mit, dass man zwar die Asylakte des Issa al Hasan beim BAMF angefordert habe. „Zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen teilte das LKA dem MKJFGFI (Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration) allerdings nicht mit, dass es sich um einen Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Solingen handelte. Das Ministerium informierte die Hausspitze am Samstagabend fortlaufend zur Sachlage. Gesicherte Informationen, dass es sich um einen Tatverdächtigen im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Solingen handelte, gab es am Samstagabend allerdings nicht.“

WERBUNG

Wie passt das zusammen ? Das LKA bat dringend um eine Ausländerakte, verschwieg aber den Grund? Der Referatsleiter, der an einem Samstag angerufen wurde, fragte gar nicht nach ? Auch will sich das Ministerium nicht dazu äußern, ob der Ministeriale bereits am Samstag seine Vorgesetzten eingeschaltet hat. Vielmehr beharrt man darauf, dass ein Kollege aus dem Referat „Sicherheitskonferenz“ erst am Sonntagvormittag bei einer gemeinsamen Besprechung mit dem LKA erfahren habe, dass es sich bei Issa al Hasan um den mutmaßlichen Attentäter handelte.

Dabei hatten Medien bereits am Samstagabend von seiner Verhaftung berichtet. Aber auch dieser Umstand ließ die Ministerin offenbar nicht wach werden. Vielmehr hielt sie am Sonntag eine Rede auf der SS-Gedenkveranstaltung. Die morgendliche Bitte um ein Telefonat durch Innenminister Reul per SMS ließ sie einen Mitarbeiter beantworten. Der stellte fest, dass sich die Sache erledigt habe, weil die Informationen zum Tatverdächtigen inzwischen öffentlich geworden seien.

„Unmittelbar nach ihrer Rede bei der Gedenkveranstaltung für Opfer der SS hat Ministerin Paul ihre Reise vorzeitig abgebrochen. Auf der Rückfahrt hat sie gemeinsam mit Minister Reul die Mitglieder des Kabinetts über den Stand der Dinge im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Solingen informiert.“Zugleich betonte der Pressesprecher Pauls, dass „zu jeder Zeit der Fluss der relevanten Informationen und die entsprechende Handlungsfähigkeit innerhalb der Landesregierung gegeben“ gewesen sei.

So kann man es auch sehen. Wären da nicht die Fragen der Opposition. Für die nächste Sitzung im Integrationsausschuss im Düsseldorfer Landtag hat die SPD eine aktuelle Viertelstunde beantragt. Landtagsfraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat zweifelt die Glaubwürdigkeit der Ministerin an.

Oppositionen zweifeln an Pauls Glaubwürdigkeit

Die neuen Erkenntnisse ließen im Grunde nur zwei Schlussfolgerungen zu: „Entweder, Ministerin Paul hat Fehler in der Meldekette Ihres Ministeriums bisher verschwiegen, oder die Ministerin wusste deutlich früher nach dem Anschlag, dass ihr Verantwortungsbereich betroffen ist und hat folglich nicht reagiert.“ Die Ministerin setze auf Salamitaktik: „Nur Stück für Stück kommt die Wahrheit ans Licht.“

WERBUNG

Mit Paul und ihrem Amtskollegen für Justiz, Benjamin Limbach müssen die Grünen im NRW-Kabinett zwei angeschlagene Minister durchschleppen. Genüsslich schaut der schwarze Koalitionspartner von der Seitenlinie aus zu, wie die führenden Protagonisten sich abstrampeln. Bescherte doch das Abschiebeversagen um den Solinger Terrorverdächtigen Ministerpräsident Hendrik Wüst und seinem schwarzen Sheriff Reul ein Sicherheitspaket mit weitreichenden Maßnahmen auch für den Verfassungsschutz, den die Grünen in Hochform nie durch gewunken hätten.

Und wieder einmal bewährt sich professionelles Krisenmanagement im Politgeschäft. Innenminister Reul hat es versäumt, seine Amtskollegin bereits am Samstagnachmittag im Fall des IS-Attentäters anzufunken. Doch der CDU-Politiker räumte seinen Fehler ein und stellte klar, dass es ihm an jenem Samstag nach dem Dreifachmord einzig darum gegangen sei, „den Täter zu fassen“.