Terrorismus-Experte sagt - Solingen Attentat zeigt Überforderung in der Politik

Offenbar ist die gesetzlich geregelte Antiterrorstrategie mit den Entwicklungen nicht vereinbar. Das muss die Politik mit auf den Plan rufen.<span class="copyright">Anadolu via Getty Images</span>
Offenbar ist die gesetzlich geregelte Antiterrorstrategie mit den Entwicklungen nicht vereinbar. Das muss die Politik mit auf den Plan rufen.Anadolu via Getty Images

Terrorismus-Experte Shams Ul Haq deckt auf, wie Deutschland den Kampf gegen den IS-Terror verliert und welche Gefahren durch Radikalisierung im Internet und fehlende Abschiebungen auf uns zukommen.

Immer wieder IS-Terror. Doch die Reaktionen sind zu schwach

Harte Maßnahmen. So klingen die Forderungen führender deutscher Politiker nach dem Messerattentat von Solingen. Sogar von Messerverboten im öffentlichen Raum für die ganze Bevölkerung ist teils die Rede.

Doch jenseits der Wahlkampfreden passiert wenig. Die deutsche Politik wirkt überfordert in der Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terror. Sowohl in der Integration von Asylbewerbern, als auch bei der Abschiebung von Straftätern regieren Hilfs- oder Willenlosigkeit.

Dabei ist allein an der Blutspur der diesjährigen islamistischen Terroranschläge erkennbar, woher die künftige Gefahr droht: Im Januar führt ein Anschlag im iranischen Kerman zu über 100 Toten. Es folgte der Anschlag in einer Moskauer Konzerthalle mit 143 Toten. In Maskat, der Hauptstadt Omans, verloren im Juli neun Menschen in einer Moschee ihr Leben. Und am Freitag auf dem Stadtfest in Solingen wurde klar, der IS Terror ist auch bei uns präsent.

Die USA verkündeten 2019 den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Das betraf aber nur dessen territoriale, semi-staatliche Herrschaft über weite Teile Syriens und Iraks. Die Struktur als asymmetrisch agierende Terrororganisation wurde davon nicht berührt, denn viele Kämpfer haben sich in Afghanistan und Pakistan dem IS-Khorasan (IS-PK) angeschlossen, benannt nach der historischen Region Khorasan. Das Weiterleben der Organisation zeigte sich schon 2022, als der IS eine Reihe von Anschlägen im Irak und in Nord-Syrien für sich beanspruchte.

Lokal eingrenzbar ist der Islamische Staat keinesfalls. Seine Terrorstruktur hat sich längst nach Afrika und in weite Teile des Nahen Ostens ausgebreitet. So entfaltet sich gerade auf dem afrikanischen Kontinent ein großes Potenzial für den zukünftigen Terror. Auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel haben sich mittlerweile IS-Einheiten gebildet, ebenso entlang der Sahelzone und an der Ostküste von Somalia bis Mozambique. Im islamischen Maghreb konkurriert der IS noch mit Al-Qaida. In der Subsahara, vor allem in Nigeria, streiten der Islamic State West Africa Province (ISWAP) und die Terrororganisation Boko Haram um die Vorherrschaft.

Der IS in Europa

IS-Anhänger sind im Zuge von Flüchtlingsströmen zudem mittlerweile nach Europa eingewandert. Auch Deutschland als Unterstützer Israels ist dabei in den Fokus der Islamisten geraten. Zunehmenden Aktivitäten des IS-PK verweisen auch hierzulande auf die unmittelbare Bedrohung.

So wurden 2023 in Nordrhein-Westfalen drei Islamisten festgenommen, die in der Silvesternacht einen Anschlag auf den Kölner Dom planten. Der IS versteht sich dabei auch als ein aggressives Sprachrohr für die muslimischen Zivilisten, die in den letzten 10 Monaten bei der israelischen Operation im Gaza-Streifen zehntausendfach getötet wurden. Der Gaza-Krieg führte somit auch zur Rekrutierung neuer paramilitärischer Terror-Kämpfer.

Das hatte nun Auswirkungen in der Stadt Solingen, die glaubte, ihr „Festival der Vielfalt“ zu ihrem 650-jährigen Bestehen friedlich feiern zu können. Doch in einem Geflüchtetenheim lebte unweit des späteren Tatorts der über Bulgarien vor zwei Jahren eingereiste 26-jährige Syrer.

Sein Asylantrag war abgelehnt worden, er hätte abgeschoben werden müssen. Nachdem er sich aber der Abschiebung entzogen hatte, unternahmen die Behörden nichts, um die Abschiebung zu erzwingen. Er lebte somit in Solingen legal unter subsidiärem Schutzstatus. Er war einer von vielen potenziellen Gefährdern, deren extremistische Haltung der Polizei nicht aufgefallen ist.

Der IS in Europa setzt zunehmend auf die Ansprache von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die mit dem Einsetzen der Pubertät deutliche Schwierigkeiten mit der Integration in die deutsche Gesellschaft zeigen. Meist geraten sie anfangs durch gewaltsame Auseinandersetzungen und Kleinkriminalität in Konflikt mit der Polizei. Danach suchen sie sich falsche Vorbilder. So auch der in Solingen festgenommene 15-Jährige, der zum Mitwisser der Tat wurde. Und es ist kein Zufall, dass es auch bei der jüngsten Anschlagsplanung in Wien einen Mitwisser in diesem Alter gab.

Ähnlich dem dort vereitelten Anschlag auf das Taylor Swift-Konzert erklärte sich der IS für den Terrorakt in Solingen im Nachhinein verantwortlich. Diese Anerkennung erfolgt nachträglich oft unabhängig davon, ob sich der Terrorist auch zuvor offen zum IS bekannt hat oder nur bei der Tat. Der Terrorist wird zu einem „Franchise-Nehmer“ des Prinzips IS-Terror.

Radikalisierungen über das Internet

Radikalisierungen erfolgen, neben Predigerreden in den Moscheen, mittlerweile zumeist über das Internet, allen voran über TikTok und Telegram. Diese Wege beschrieb bereits 2016 der Journalist Shams Ul-Haq in seinem Buch „Die Brutstätten des Terrors“ und warnte damals eindringlich vor den Folgen. Über das Internet werden auch Anleitungen verbreitet, mit welcher Waffe am besten Anschläge zu verüben seien, wozu auch gefährliche Messerangriffe auf den Halsbereich der Opfer genannt werden.

Fest strukturierte und über einen längeren Zeitraum aktive Netzwerke lassen sich militärisch ausheben, so wie es die USA dies in den vergangenen zwei Jahrzehnten versucht haben. Unabhängig agierende Einzeltäter, die sich isoliert radikalisieren, werden immer mehr. Der Ruf nach einer starken Bestrafung von Tätern geht dabei faktisch ins Leere, denn es geht nicht um die einzelne Person. Jeder Anschlagsversuch wird als Erfolg wahrgenommen, der Nachahmer animiert.

Offenbar ist die gesetzlich geregelte Antiterrorstrategie mit den Entwicklungen nicht vereinbar. Das muss die Politik mit auf den Plan rufen. Man hat es nämlich nicht mit Einzeltäter zu tun, auch wenn deren isoliertes Auftreten diese Interpretation vordergründig nahelegt, sondern es sind Teile einer äußerst resilienten Terrorstruktur mit einem „Franchise-System“.

Diese Struktur wird durch fehlende Abschiebungen und eine milde Justiz mit täterfreundlichen Strafen ebenso befördert, wie durch inkonsequente und unterfinanzierte Integrationsmaßnahmen. Es ist zum Nutzen aller, vor allem auch der integrationswilligen Migranten, wenn hier deutlich mehr Druck auf Einwanderer ausgeübt wird.

Bislang bleibt es aber bei einigen markigen, floskelhaften Reden. Und das reicht aber im Kampf gegen den islamistischen Terror nicht aus, nirgendwo auf der Welt. Auch nicht in Deutschland.