Merkel: Regional differenzierte Öffnungsstrategie

Merkel, Müller und Söder nach der Bund-Länder-Konferenz am 5. Januar (Bild: Michel Kappeler/Pool via REUTERS)
Merkel, Müller und Söder nach der Bund-Länder-Konferenz am 5. Januar (Bild: Michel Kappeler/Pool via REUTERS)

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine stärker an regionalen Entwicklungen orientierte Öffnungsstrategie nach dem monatelangen Corona-Lockdown angekündigt. Die Strategie, die man für die Zukunft entwickele, setze nicht mehr nur auf bundesweite Inzidenzen oder R-Werte, sondern mache auch lokale Unterschiede, sagte Merkel am Dienstag in einer Online-Sitzung der Unionsfraktion, wie die Deutsche Presse-Agentur von Teilnehmern erfuhr. Vor den Bund-Länder-Beratungen an diesem Mittwoch sagte Merkel, auch sie selbst halte Öffnungen für notwendig. Nach dem sehr langen Lockdown würden Lockerungen "sehnlichst gewünscht", man müsse nun Schritt für Schritt vorankommen.

Die Abkehr von bundesweiten Inzidenzen - der Neuinfektionszahl pro 100.000 Einwohner und Woche - sowie von einem bundesweiten Reproduktionswert begründete Merkel demnach mit der unterschiedlichen Entwicklung der Pandemie in Deutschland. Es sei sehr schwer zu erklären, dass in den etwa 50 Landkreisen, die eine Inzidenz von unter 35 hätten, das Gleiche gelte wie in jenen mit einer über 200. Es sei auch nicht zu erklären, dass alle Bundesländer immer gleich behandelt werden. Man werde "mehr regionalisieren, um mehr Freiheit zu ermöglichen".

Die Kanzlerin fasste die Strategie nach diesen Informationen mit den Worten zusammen: "Impfen, Testen, Öffnen, vorsichtig sein und auch immer einen Notfallmechanismus haben, der dann wirkt, wenn die Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten nicht mehr möglich ist und wir wieder in ein exponentielles Wachstum kommen sollten." Mit diesem Ansatz gehe sie in die Gespräche am Mittwoch. "Im Detail wird das sicherlich noch ganz schön kompliziert", wurde Merkel zitiert

Da es in den ersten Wochen noch keine umfassende Verfügbarkeit von Tests geben werde, müsse man sehen, was erste Öffnungsschritte seien, bei denen man noch Sicherheitsmaßnahmen einsetze und bei denen man schrittweise vorgehe, sagte Merkel demnach weiter. Die Kanzlerin wurde mit den Worten zitiert: "Ich hielte nichts für schlimmer, als wenn wir sozusagen jetzt ein Testangebot machen, und die Leute stürmen die Testzentren und dann ist nicht genug Material da." Deshalb müsse man die Teststrategie "sehr sorgsam einphasen".

Man brauche sicherlich den Monat März, um eine umfassende Sicherheitsstrategie für Öffnungen aufzubauen, betonte Merkel. Priorität sollten hier Schulen und Kitas haben. Würden wieder alle Schüler in die Schule und alle Kitakinder in die Kita gehen, seien das mindestens 15 Millionen Menschen. Wenn man diese zwei Mal je Woche teste und dies zwischen 3 und 5 Euro koste, seien das Kosten von mehreren 100 Millionen Euro im Monat.

Skepsis bei Hausarzt-Impfungen - Virenmutanten bei 50 Prozent

Merkel hat Hoffnungen auf eine sehr rasche und breite Anti-Corona-Impfkampagne über die Hausärzte gedämpft. Ab dem 1. April bekomme man deutlich mehr Impfstoff, dann werde man den Umstieg auch auf Hausarztpraxen machen müssen, sagte sie. In der aktuellen Phase habe es aber noch keinen Sinn, Hausärzte generell mit einzubeziehen. Es solle allerdings Flexibilität ermöglicht werden, damit jeder Impfstoff verimpft werde. Vor allem beim Impfstoff von Astrazeneca gibt es derzeit einen Überschuss.

In Deutschland gebe es etwa 60.000 Hausarztpraxen, sagte Merkel nach diesen Informationen. Wenn man nun das Signal gebe, dass neben den Impfzentren alle Hausarztpraxen in die Impfungen einbezogen würden, bedeute das, dass ein Arzt in der Woche mindestens 100 Impfdosen bekommen müsse. "Sonst rennen ihm ja seine Patienten total die Bude ein", wurde die Kanzlerin zitiert. Derzeit bekomme man in der Woche jedoch zwischen einer Million und 1,5 Millionen Impfdosen.

Merkel sagte zudem, man sehe, dass der Anteil der Virusvarianten derzeit auf 50 Prozent zugehe. Es werde nicht lange dauern, dann sei das Ursprungsvirus verschwunden. Man müsse damit rechnen, dass der Reproduktionsfaktor noch etwas steige, prognostizierte die Kanzlerin. Als Konsequenz würden die Fallzahlen voraussichtlich leicht und sehr überschaubar steigen.

Was wir über die Schnelltest-Strategie wissen

Corona-Schnelltests sollen mehr Freiheiten ermöglichen (Symbolbild: Ute Grabowsky/Photothek via Getty Images)
Corona-Schnelltests sollen mehr Freiheiten ermöglichen (Symbolbild: Ute Grabowsky/Photothek via Getty Images)

Das Wattestäbchen könnte im Frühjahr für viele zu einem Pflichtutensil im deutschen Alltag werden. Bis Anfang April sollen alle Menschen in Deutschland regelmäßig Schnell- und Selbsttests machen können. Bund und Länder stellen die Tests nach einem am Dienstag durchgesickerten, aber noch vorläufigen Beschlussentwurf mit ins Zentrum eines Öffnungsplans. Doch große Schritte aus dem Lockdown durch die Bund-Länder-Runde an diesem Mittwoch sind auch mit Tests nicht absehbar.

Bund und Länder waren sich vor einem Monat einig: Erst bei höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen sollte es mehr Freiheiten geben. Kurz darauf begann diese Inzidenz mit dem Vormarsch der ansteckenderen britischen Virusmutation aber wieder zu steigen - auf nun 65,4.

Merkels vorsichtige Abkehr von der 35:

Am 25. Februar gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorsichtig eine neue Parole aus: "Ich bin der Meinung, dass wir jetzt schauen müssen, und es muss sehr gründlich gemacht werden, ob wir uns durch ein vermehrtes Testen, auch mit diesen Selbsttests, einen Puffer erarbeiten können, so dass wir in der Inzidenz etwas höher gehen können als 35." Das sieht nach dem Beschlussentwurf nun so aus, dass die Zügel in manchen Bereichen wohl etwas gelockert werden sollen, wenn sich die Menschen testen.

Die Öffnungsschritte:

Zunächst soll es nach dem vorläufigen Entwurf generell nur zu weiteren Öffnungen von Buch- und Blumenläden und Gartenmärkten kommen. Sowie bei körpernahen Dienstleistungen sowie "Fahr- und Flugschulen" mit Schnell- oder Selbsttest. Für den weiteren Einzelhandel, Museen und Hobbysport soll es erst ab einer stabilen Inzidenz unter 35 in einer Region oder einem Land wieder losgehen können. Bei steigenden Zahlen soll es wieder Verschärfungen geben. Dann aber, bei über zwei Wochen konstanter Inzidenz, sollen Restaurantterrassen, Theater, Konzertäuser, Kinos öffnen können. Hier sollen obligatorische Schnell- oder Selbsttests ins Spiel kommen - und zwar wenn die Inzidenz zwar konstant bleibt, aber bei einem Wert oberhalb von 35. Als "Notbremse" bezeichnet der vorläufige Entwurf eine Rückkehr zum Lockdownstand heute im Fall von wieder steigenden Werten in einer Region. Konkrete Schritte für Restaurants drinnen, Hotels und anderes nennen Bund und Länder den Überlegungen von Dienstag zufolge voraussichtlich noch nicht.

Das Prinzip der Teststrategie:

Alle Bürger sollen in Testzentren, Apotheken oder Praxen laut Konzept des Bundesgesundheitsministeriums zweimal wöchentlich kostenlos einen Antigen-Schnelltest machen lassen können. Der Beschlussentwurf für die Bund-und-Länder-Runde greift das so auch auf. Dazu kommen die Selbsttests, die man kaufen kann. Für Lehrkräfte und Schüler sind nach dem Entwurf für die Bund-Länder-Runde Schnelltests vorgesehen. Die Kultusminister der Länder übrigens wollen die Schüler noch nicht testen lassen - sondern erst "perspektivisch". Und sie wollen, dass der Bund die Tests zahlt. Unternehmen könnten nach den Bund-Länder- Ideen zu Schnelltests für Mitarbeiter in Präsenz verpflichtet werden.

Der Vorgang des Testens:

Bei Schnelltests führt geschultes Personal das Wattestäbchen tief in Rachen und Nase. Bei Selbsttest heißt es in der Anleitung eines von bisher drei zugelassenen Produkten: "Führen Sie die saugfähige Spitze des Tupfers vorsichtig in Ihr linkes Nasenloch ein. Stellen Sie sicher, dass sich die gesamte Tupferspitze in Ihrem Nasenloch befindet (2 - 4 cm tief). Führen Sie den Tupfer nicht weiter ein, wenn Sie einen Widerstand spüren. Rollen Sie den Tupfer mindestens 5 Mal gegen die Innenseiten Ihres Nasenlochs." Dauer bis zum Ergebnis: 15 Minuten.

Eigenverantwortung bei Tests:

Schon nach einigen Stunden sind Tests nicht mehr wirklich aussagekräftig. Bei frisch Infizierten schlagen sie nämlich erst mit Zeitverzug an. Und außerdem könnte man sich ja nach einem Test neu angesteckt haben. Während Getestete bei den Schnelltests das Ergebnis schriftlich bekommen, ist es bei den Selbsttests Vertrauenssache, ob man getestet ist. Denkbar ist laut Gesundheitsressort aber, dass ein Veranstalter solche Tests Besuchern unter Aufsicht abverlangt. Der Präsident des Handelsverbands HDE, Josef Sanktjohanser, sagte schon, was er von Tests im Handel hält: "Extrem schwierig" würde es, wenn die Politik sagt, man könne nur nach einem Selbsttest in einen Modeladen. Ein "absoluter Rückschritt an Freizügigkeit" wäre es für ihn, dürften Lebensmittel-, Drogerie- oder Baumärkte nur Getestete einlassen.

Impfen und digitale Kontaktnachverfolgung:

Elf Millionen Impfdosen sollen bis Ende der Woche geliefert sein. Die Astrazeneca-Dosen lagern aber zu hunderttausenden in den Kühlschränken der Impfzentren. Zunächst sollen nun also etwas verstärkt die niedergelassenen Ärzte einspringen - und ab April nach den Bund-Länder-Überlegungen generell. Sie sollen dann auch etwas weniger strikt nach Priorisierungsgruppen vorgehen müssen als dies in den Impfzentren der Fall sein soll. Wann die Zentren geschlossen werden, ist offen. Die Gesundheitsämter sollen beim Stoppen von Infektionsketten auch mehr Kontaktverfolgung in elektronischer Form machen können. Ein technisches Gateway soll erst geschaffen werden. Welches Land das betreibt, ist offen.

Gedämpfte Erwartungen:

Einen kräftigen Dämpfer könnten noch in dieser Woche erwartete neue Zahlen bringen - zur Verbreitung der ansteckenderen britischen Corona-Variante. Die Klinikärzte vom Marburger Bund warnen. Wenn die dritte Welle ungebremst auf die Millionen noch ungeimpften Jüngeren mit höherem Krankheitsrisiko trifft, würden mehr von ihnen zu Covid-19-Intensivpatienten, wie Verbandschefin Susanne Johna nun der Funke Mediengruppe sagte. Spahn mahnt: "Wir würden es uns allen nicht verzeihen, aber Sie auch Ihrer Regierung nicht, wenn wir jetzt zu schnell lockerten und auf einmal in vier oder sechs Wochen wieder vor ganz anderen Fragen stünden."

Video: Österreich verteilt bereits kostenlose Corona-Schnelltests für daheim