TikTok-Trend - Hausfrau-Dasein als Ideal: Soziologe sagt, wann „Tradwives“ gefährlichen Fehler machen

Hannah Neelmann, @ballerinafarm mit zwei von ihren acht Kindern
Hannah Neelmann, @ballerinafarm mit zwei von ihren acht Kindern

Wie problematisch ist der Tradwife-Trend, der auf TikTok kursiert? Handelt es sich beim Hausfrauen-Trend noch um Selbstbestimmung oder grenzt es schon an Antifeminismus? Der Soziologe Dr. Klaus Hurrelmann hat seine Einschätzung geteilt und von den Schattenseiten des TikTok-Trends gesprochen.

Morgens steht Hannah Neelmann schon in der Dämmerung auf, um die Kühe auf ihrer abgelegenen Farm im Norden Utahs zu melken. Nachmittags backt die US-Amerikanerin frisches Brot, abends bereitet sie das Abendessen für ihre zehnköpfige Familie zu. Immer ist eines ihrer acht Kinder auf dem Arm, stets ist sie in bescheidenen, traditionellen Outfits gekleidet, wie ihre Videos zeigen.

Früher war Neelmann Ballerina und Schönheitskönigin, heute ist sie als „ballerinafarm“ auf TikTok bekannt und eine sogenannte „Tradwife“. Mit zehn Millionen Followern auf TikTok ist sie die bekannteste unter ihnen und teilt täglich Einblicke in ihr traditionelles Leben mit ihren Followern auf Social Media.

Tradwife: Leben für Ehemann und Haushalt

Der „Tradwife“-Trend dominiert derzeit auch in Deutschland die Social-Media-Plattform TikTok. „Tradwife“, was so viel wie „traditionelle Hausfrau“ bedeutet, stellt die Rolle der Hausfrau idealisiert dar. In dieser Welt dreht sich alles darum, sich um den Ehemann zu kümmern, für ihn zu kochen und den Haushalt zu führen.

Warum taucht der „Tradwife“-Trend gerade jetzt auf, in einer Zeit, in der der Einsatz für Gleichberechtigung und die Anliegen des Feminismus so präsent ist wie nie zuvor? Oder lässt sich die bewusste Entscheidung, das Leben einer „Tradwife“ zu wählen, vielleicht sogar als eine ebenso gültige Form des Feminismus interpretieren? Der Soziologe Klaus Hurrelmann teilt seine Einschätzungen mit FOCUS Online.

Trend als Reaktion auf anspruchsvolles Frauenbild der Gesellschaft

Hurrelmann sieht in dem Trend vor allem eine mögliche Reaktion auf die hohen Ansprüche, die heutzutage an Frauen gestellt werden. „Bei Frauen, die sich am konventionellen Bild der Hausfrau orientieren, kann man vermuten, dass das auch eine Gegenreaktion ist“, erklärt er.

Junge Frauen hätten heute den Anspruch, in allen Lebensbereichen aktiv zu sein – beruflich, politisch und familiär. „Sie wollen gute Bildung, beruflichen Erfolg und sich gesellschaftlich engagieren. Gleichzeitig möchten sie eine Familie gründen und fühlen sich oft für die Erziehung der Kinder verantwortlich“, führt Hurrelmann aus.

Traditionelles Lebensmodell als willkommene Alternative

Diese vielfältigen Erwartungen der Gesellschaft an junge Frauen würden zu einem äußerst anspruchsvollen Frauenbild führen. Dies sei für viele Frauen eine enorme Belastung, die zu großem Stress führen könne, so Hurrelmann.

Manche Frauen würden daher in dem traditionellen Lebensmodell, das sie vielleicht von ihrer Großmutter oder Mutter kennen, eine willkommene Alternative sehen. „Für einige Frauen bietet das traditionelle Modell eine Möglichkeit, der anspruchsvollen Neufassung der Frauenrolle zu entkommen“, sagt Hurrelmann.

Tradwife als lukratives Geschäftsmodell nicht immer realistisch

Hannah Neelmann hat ihr traditionelles Leben in ein erfolgreiches Geschäftsmodell verwandelt, verdient viel Geld und ist finanziell unabhängig von ihrem Ehemann. Doch was passiert, wenn dieses traditionelle Lebensmodell nicht vermarktet werden kann und keine Einnahmen generiert?

Das „Handelsblatt“ berichtete bereits, dass diese Lebensweise erhebliche, vor allem finanzielle Risiken birgt. Auch Soziologe Klaus Hurrelmann bestätigt: „Langfristig muss man sich als junge Frau darüber im Klaren sein, was es bedeutet, wenn man sich entscheidet, nicht berufstätig zu sein oder aus dem Beruf auszusteigen, um Hausfrau zu werden. Klar ist, dass dies ein hohes wirtschaftliches Risiko darstellt.“

Jede dritte Ehe in Deutschland scheitert - was dann?

Die Möglichkeit einer Scheidung spielt eine große Rolle. „Meist denken junge Frauen nicht daran, dass Beziehungen auch nach zehn oder 15 Jahren enden können. Wenn sie aus der Arbeitswelt komplett aussteigen, stehen sie im Fall einer Trennung vor erheblichen Problemen“, erklärt Hurrelmann.

Anders als in den 1950er Jahren enden heute viele Ehen in einer Scheidung – etwa jede dritte Ehe in Deutschland, wie das „Handelsblatt“ berichtet. Nach der Trennung haben Hausfrauen, sofern das Paar keine gemeinsamen Kinder hat, in der Regel keinen Anspruch auf Unterhalt vom ehemaligen Partner, was sie finanziell in eine prekäre Lage bringen kann, so das Handelsblatt.

Langfristige Konsequenzen bleiben außen vor

Ein weiteres Problem stellt die Altersvorsorge dar. „Junge Frauen stürzen sich manchmal blauäugig in die Rolle der Hausfrau, ohne sich über die langfristigen Konsequenzen im Klaren zu sein“, warnt Hurrelmann. „Wenn ich nicht selbst für meine wirtschaftliche Absicherung sorge, habe ich keine Sicherheiten für die Zukunft.“

Während der Ehe sammelt das Paar zwar gemeinsame Rentenansprüche, aber wenn nur einer arbeitet, muss dieser besonders gut vorsorgen, um im Alter für beide genug Geld zu haben. Frauen, die sich gegen eine eigene berufliche Laufbahn entscheiden, geraten somit oft in eine finanzielle und emotionale Abhängigkeit von ihrem Partner.

Emanzipation oder total antifeministisch?

In einer Zeit, in der Feminismus einen hohen Stellenwert einnimmt und die Selbstbestimmung von Frauen neue Dimensionen erreicht, stellt sich also die Frage: Handelt es sich bei der Entscheidung, eine Hausfrau zu sein, tatsächlich um eine Form der Emanzipation? Oder ist der Trend der Generation Z, ihr Leben nach einem traditionellen Rollenbild auszurichten und sich ausschließlich um Ehemann und Haushalt zu kümmern, antifeministisch?

Hurrelmann sieht den Trend kritisch: „Ich finde, es ist ein nicht zu Ende gedachtes Modell, es birgt zu hohe finanzielle und emotionale Risiken.“ Gleichzeitig betont er jedoch, dass er niemandem vorschreiben möchte, wie er zu leben hat. „Wenn junge Frauen sich bewusst dazu entscheiden und sich der Risiken sowie Konsequenzen voll bewusst sind, dann würde ich das nicht kritisieren“, sagt Hurrelmann.

Er fügt jedoch hinzu: „Ich würde immer wieder darauf hinweisen, dass sie sich das gut überlegen sollten, damit sie im Falle einer Trennung nicht ohne jegliche Mittel dastehen.“

TikTok nicht der Auslöser, sondern Unterstützer

TikTok spielt eine zentrale Rolle bei der steigenden Popularität von traditionellen Lebensweisen, wie es am Beispiel der „Tradwife“-Bewegung deutlich wird. Hurrelmann betont, dass soziale Medien meist nicht der Auslöser für die Entscheidungen sind, sondern eher eine unterstützende und bestätigende Funktion einnehmen.

Laut dem Soziologen suchen junge Frauen, die sich für diesen traditionellen Lebensweg entscheiden, Bestätigung – nicht nur im familiären Umfeld, sondern vor allem in den sozialen Medien. „Wenn man sich einmal für diesen Lebensweg entschieden hat, findet man auf TikTok und anderen Plattformen viele Kanäle, die diese Lebensweise vorleben und die Entscheidung der jungen Frauen bestätigen“, erklärt Hurrelmann.