Blamage für Polizei: Notruf enthüllt großangelegte Spionage-Aktion
Der Fall klingt wie ein zweites Watergate: Ein Sicherheitsmann führt eine Routine-Untersuchung in einem Wohnblock durch. Ein Appartement kommt ihm verdächtig vor – vielleicht terroristische Aktivitäten? Als braver Bürger betätigt er natürlich sofort den Notruf. Und bringt so - ohne es zu wissen - das wohl größte Geheimnis der New Yorker Polizei ans Licht der Öffentlichkeit: eine beispiellose Überwachungsaktion gegen Muslime.
Wenn es nach der New Yorker Polizei ginge, wäre die Tonaufnahme dieses Notrufs nie an die Öffentlichkeit gelangt. Der Sicherheitsbeauftragte eines großen Appartementkomplexes in New Brunswick (gelegen in New Jersey, dem Nachbarstaat New Yorks) rief im Juni 2009 die Polizei unter der Notrufnummer 911 an. Er erzählte der Frau in der Notrufzentrale, dass seine Angestellten bei einer Routine-Untersuchung der Appartements auf etwas Verdächtiges gestoßen sind.
„Was ist verdächtig?“, fragte die Frau. - “Es ist insofern verdächtig, als im Appartement weder Möbel noch Klamotten sind – nur zwei Betten und New Yorker Polizeiradios“. „Wirklich?“, fragte die Frau spürbar überrascht.
Der Anrufer, Salil Sheth, ist über eines der größten Geheimnisse des New York Police Department (NYPD) gestolpert: ein „Safehouse“ - eine Wohnung, in der Undercover-Agenten außerhalb der Kontrolle des Polizei-Departments arbeiten und Überwachungsmissionen koordinieren können. Seit dem Attentat am 11. September 2001 überwacht die New Yorker Polizei, teils trainiert von der CIA, die Aktivitäten muslimischer Bürger. Detektive schleusten sich in Moscheegemeinden ein, belauschten Muslime in Cafés und verwanzten Studentengruppen.
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Die New Yorker Polizei führte Karteien über harmlose Predigten und die Namen von politischen Aktivisten. Außerdem legten sie einen Datenspeicher mit Informationen darüber an, wo Muslime leben, einkaufen, sogar wo sie gern Sportereignisse im Fernsehen ansehen. Aktionen außerhalb des Staates New York, wie die in New Brunswick, waren Teil dieser großangelegten Spionage-Strategie.
Die Presseagentur (AP) hatte in der Angelegenheit schon seit längerem recherchiert und die Herausgabe des Tonbandes angefordert – was die Polizei jedoch prompt verweigerte. Erst jetzt, nachdem AP vor Gericht gezogen war, veröffentlichte die Polizei das brandheiße Beweismaterial.
„Da liegen Computer, Software und solche Sachen einfach herum“, beschrieb der Sicherheitsbeauftragte, der den Notruf kontaktiert hatte, weiter. „Da sind Fotos von Terroristen und von unserem Nachbargebäude“.
„In New Brunswick?“, fragte die Dame am anderen Ende der Leitung, nicht minder verwirrt als der Anrufer.
Nach dem Notruf stürmten umgehend Beamte der Polizei von New Brunswick und des FBI zu dem Appartement. Die Polizisten und Agenten waren mehr als verdutzt über das, was sie vorfanden. Denn auch ihnen hatte niemand etwas über die Geheimoperation der New Yorker Polizei gesagt.
Für das NYPD war die verbockte Undercover-Aktion eine große Blamage. Die New Yorker Polizei stand wie eine Amateurtruppe da und musste sich das beschlagnahmte Material vom FBI zurückholen.
Neben dem Tonband kamen nun auch diverse E-Mails zum Vorschein, die weitere Einblicke darin geben, wie sich die New Yorker Polizei für ihre häufig kritisierte Überwachung von Muslimen rechtfertigt. Aus den Schriftstücken ist zu erfahren, dass das NYPD Geschäfte von Muslimen und Moscheen in New Jersey infiltrierte und fotografierte, außerdem die Internet-Posts von muslimischen Studenten überwachte und bis nach New Orleans reiste, um Muslime auszuspionieren.
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Die Aktionen der New Yorker Polizei werden von vielen US-Politikern kritisiert – unter anderem vom Gouverneur des Staates New Jersey und einigen Kongressabgeordneten. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg befürwortete indes das Recht der NewYorker Polizei, im ganzen Land nach Terroristen zu suchen – auch ohne der örtlichen Polizei Bescheid zu geben. Das NYPD verteidigte zudem die Geheimhaltung des Bandes: „Wenn eine Undercover-Aktionen auffliegt, bringt das immer die beteiligten Polizisten und ihre Kollegen in Gefahr“, teilte Assistant Chief Thomas Galati schriftlich mit.
Kurioser Nebenaspekt: Die New Yorker Polizei hat die Bürger des Staates ausdrücklich ermutigt, sich genauso zu verhalten, wie Sheth es getan hat. In ihrem Ratgeber „Acht Zeichen des Terrors“ heißt es, man solle umgehend den Notruf wählen und die Polizei informieren, wenn man verdächtige Aktivitäten bemerkt. Damit, dass dabei auch verdächtige Aktivitäten der Polizei gemeldet werden könnten, rechnete wohl niemand.
Muslimische Gruppen klagen nun jedoch gegen das Vorgehen des NYPD. Bürgerrechtler haben Bundesrichter aufgefordert, zu beurteilen, ob dieses Vorgehen gegen jene Bundesgesetze verstößt, die verhindern sollten, dass sich Spionageaktionen wie in den 1950er Jahren wiederholen. Damals suchte die Polizei vermeintliche Kommunisten - unter anderem im studentischen Milieu.
Hier können Sie den Originalanruf in englischer Sprache hören:
N.J. Terrorist Hideout Actually NYPD Operationvon associatedpress(