Magdeburg: Neunjähriges Kind und vier Erwachsene getötet
Magdeburg (dpa) - Bei der Todesfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sind ein neunjähriges Kind und vier Erwachsene ums Leben gekommen. Das teilte der Leiter der Staatsanwaltschaft Magdeburg, Horst Walter Nopens, mit. 200 Menschen wurden verletzt.
Bei der Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg mit fünf Tote und 200 Verletzten soll der mutmaßliche Täter über den Flucht- und Rettungsweg auf den zentralen Platz gelangt sein. Die Fahrt habe rund drei Minuten bis zur Festnahme gedauert, sagte Tom-Oliver Langhans, der Direktor der Polizeiinspektion Magdeburg, in Magdeburg. Nach Behördenangaben sind vier Erwachsene und ein neunjähriges Kind getötet worden. Es gebe insgesamt 205 Opfer, darunter 5 Tote. Nach derzeitigem Ermittlungsstand könne ein zweiter Täter ausgeschlossen werden, sagte ein Polizeisprecher.
In Magdeburg war ein Auto am Freitagabend auf einem Weihnachtsmarkt in die Menschenmenge gerast. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach vor Ort von einer «furchtbaren, wahnsinnigen Tat». Bei dem noch am Abend festgenommenen Verdächtigen handelt es sich um Taleb A., einen Arzt aus Bernburg, der aus Saudi-Arabien stammt.
Die Staatsanwaltschaft Magdeburg ermittelt gegen den mutmaßlichen Täter vom Weihnachtsmarkt bislang wegen fünffachen Mordes. Wie der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens sagte, lautet der Tatvorwurf darüber hinaus versuchter Mord in 200 Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Mögliches Motiv: Unzufriedenheit mit Umgang mit Flüchtlingen
Das Motiv des Todesfahrers von Magdeburg war möglicherweise Unzufriedenheit mit dem Umgang von Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland. Das sei der gegenwärtige Stand der Ermittlungen, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens in Magdeburg. Der Tatverdächtige kommt aus Saudi-Arabien.
Rettungsweg auf Weihnachtsmarkt nicht von Sperre geschützt
Der Flucht- und Rettungsweg, auf dem der mutmaßliche Täter von Magdeburg auf den Weihnachtsmarkt gelangt sein soll, war nach Angaben der Stadt nicht durch Sperren oder Poller geschützt. Notarzt und Feuerwehr sollten über diesen Weg bei Unfällen oder anderen Einsätzen auf dem Platz gelangen können, sagte Ronni Krug, Beigeordneter für Personal, Bürgerservice und Ordnung der Stadt.
Dort seien aber mobile Einsatzkräfte der Polizei stationiert gewesen. Die Wege seien daher nicht ungeschützt gewesen, verteidigte Krug das Konzept. Es habe sich «über lange Jahre bewährt».
Wer ist Taleb A.?
Bei dem noch am Abend festgenommenen Verdächtigen handelt es sich um Taleb A., einen Arzt aus Bernburg, der aus Saudi-Arabien stammt. Der Mann ist als islamkritischer Aktivist bekannt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bezeichnet sich der 50-jährige Arzt, der seit 2006 in Deutschland lebt, selbst als Ex-Muslim. Nach dpa-Informationen stellte A. im Februar 2016 einen Asylantrag, über den im Juli desselben Jahres entschieden wurde. Der saudische Staatsbürger erhielt damals Asyl als politisch Verfolgter.
In sozialen Medien und Interviews erhob Taleb A. zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen unter anderem vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: «Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland.»
Taleb A. hat als Facharzt für Psychiatrie in Sachsen-Anhalt gearbeitet. Wie eine Sprecherin der Betreibergesellschaft Salus auf Anfrage mitteilte, war er als Arzt im Maßregelvollzug in Bernburg (Sachsen-Anhalt) tätig. Er habe mit suchtkranken Straftätern gearbeitet und sei seit März 2020 in der Einrichtung tätig gewesen. Nach Informationen der dpa hatte das Gesundheitsministerium von Sachsen-Anhalt noch in der Nacht die Personalakte des Mannes angefordert und den Ermittlungsbehörden übergeben.
Warnung aus Saudi-Arabien
Saudi-Arabien hatte Deutschland vor Taleb A. gewarnt, hieß es aus saudischen Sicherheitskreisen. Das Königreich habe seine Auslieferung beantragt, darauf habe Deutschland nicht reagiert. Der Mann stammt demnach aus der Stadt Al-Hofuf im Osten Saudi-Arabiens. Er sei Schiit gewesen. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Es gibt immer wieder Berichte über Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land.
Saudi-Arabien verurteilte die tödliche Attacke. «Das Königreich bringt seine Solidarität mit dem deutschen Volk und den Familien der Opfer zum Ausdruck», schrieb das Außenministerium in einer Mitteilung auf X. In der Stellungnahme erwähnte das Land den Verdächtigen nicht.
Scholz verspricht Aufklärung
Der 50-Jährige war am Tatort von Einsatzkräften gestellt und festgenommen worden. Nach Angaben von Haseloff raste der Mann mit einem Leihwagen in die Menschenmenge. Die «Bild» schrieb unter Berufung auf die Polizei, dass sich die Fahrt auf dem Gelände über 400 Meter erstreckt habe. Die Polizei geht weiter von einem Einzeltäter aus. Der Mann wurde nach Angaben aus der Nacht verhört. Es würden unter anderem Durchsuchungen durchgeführt, sagte eine Sprecherin.
Jetzt sei wichtig, dass man aufkläre, mit aller Präzision und Genauigkeit, sagte Kanzler Scholz in Magdeburg. «Es darf nichts ununtersucht bleiben - und so wird es auch sein.» Man müsse den Täter, seine Handlungen und Motive genau verstehen und darauf mit den strafrechtlichen Konsequenzen reagieren.
Haseloff will Opfern helfen
Ministerpräsident Haseloff will den Opfern und Angehörigen der Todesfahrt unter die Arme greifen. Sein Kabinett habe Festlegungen getroffen über «finanzielle und organisatorische Ressourcen», sagte Haseloff. Mit dem Kanzler habe man darüber geredet, wie die Hilfe und Unterstützung des Bundes aussehen werde.
Naben Scholz und Haseloff machten sich auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Bundesjustizminister Volker Wissing, Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) am Vormittag ein Bild vom Tatort. Am Abend soll es im Dom eine Gedenkfeier geben. Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt ordnete bis Montag Trauerbeflaggung an allen Dienstgebäuden des Landes an. Bundesinnenministerin Faeser ordnete bundesweit Trauerbeflaggung an den obersten Bundesbehörden an.
Am Morgen nach der Tat war der Weihnachtsmarkt komplett abgeriegelt, die Buden und der Baum waren aber noch erleuchtet. Blumensträuße und Kerzen wurden vor der Johanniskirche abgelegt.
Auch Mitgefühl von Nato und UN
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb: «Die Vorfreude auf ein friedliches Weihnachtsfest wurde durch die Meldungen aus Magdeburg jäh unterbrochen.» Nato-Generalsekretär Mark Rutte kontaktierte nach eigenen Worten Scholz und drückte ihm sein Mitgefühl aus. Die Vereinten Nationen bekundeten ebenfalls ihr Beileid. Man sei schockiert, sagte Stéphane Dujarric, Sprecher des UN-Generalsekretärs. «Meine Gedanken sind heute bei den Opfern der brutalen und feigen Tat in Magdeburg», schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Plattform X.
Der französische Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X, Frankreich teile den Schmerz des deutschen Volks. Er sei zutiefst erschüttert über «den Horror», der den Weihnachtsmarkt heimgesucht habe.
Video soll Festnahme des Verdächtigen zeigen
Ein Handyvideo soll die Festnahme des Verdächtigen zeigen. In dem Clip ist zu sehen, wie ein Polizist seine Waffe auf den Verdächtigen richtet und ihm zuruft, sich hinzulegen: «Die Hände auf den Rücken!» und «Bleib liegen!» Der Mann legt sich neben einem schwarzen - sichtbar beschädigten - Auto auf den Boden und befolgt die Anweisungen. Schließlich kommt Verstärkung, mehrere Polizisten springen aus dem Einsatzwagen und umkreisen den liegenden Verdächtigen.
Die AfD-Landtagsfraktion forderte eine Sondersitzung des Innenausschusses - auch zur Aufklärung möglicher Verfehlungen oder Versäumnisse. Der AfD-Politiker Tobias Rausch wurde nach eigenen Angaben selbst Zeuge der Attacke auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. «Wenn man das miterlebt hat, das war erschreckend, wie die Panik ausgebrochen ist, wie die Leute umgefallen sind», schilderte Rausch seine Eindrücke am Morgen danach vor Pressevertretern in Magdeburg. «Auf einmal hat man ein dumpfes Geräusch gehört, da waren schon Schreie, Panik ist ausgebrochen.» Ein Motor habe laut aufgeheult, Scheinwerfer seien auf ihn und seine Begleitung zugekommen.
Rund acht Jahre nach Berliner Weihnachtsmarktanschlag
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, war in Berlin ein islamistischer Terrorist mit einem entführten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Dabei wurden zwölf Menschen getötet, das 13. Opfer starb 2021 an den Folgen. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde. Die Berliner Polizei erhöht nun ihre Präsenz auf den Berliner Weihnachtsmärkten nach der tödlichen Attacke vo Magdeburg.