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Totschlag-Drama vor 43 Jahren: Wollte Ingrid van Bergen sich eigentlich selbst umbringen?

"Ich hab' die Waffe geholt und dann ...tja": Was geschah wirklich im Februar 1977, als Filmstar Ingrid van Bergen ihren Geliebten erschoss? In einer ZDF-Doku am Freitagabend wurde der spektakuläre Kriminalfall neu ausgeleuchtet.

Der Staatsanwalt forderte zehn Jahre Haft, die Verteidigung plädierte auf höchstens fünf Jahre. Die Wahrheit bei der Rechtsprechung lag im Juli 1977 irgendwo dazwischen, als der Fall Ingrid van Bergen in München verhandelt wurde. Die gefeierte Schauspielerin hatte wenige Monate zuvor ihren Geliebten Klaus Knaths erschossen. Einmal, dann ein zweites und ein drittes Mal hatte sie abgedrückt. Sieben Jahre bekam der Star dafür, nach knapp fünf Jahren wurde van Bergen wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen. Wurde damals, vor über 40 Jahren, ein korrektes Urteil gefällt? War es Mord oder Totschlag? Lag bei van Bergen tatsächlich eine verminderte Schuldfähigkeit vor, wie sie seinerzeit vom Gericht erkannt wurde? In einer ZDF-Doku am Freitagabend wurde die Geschichte neu ausgeleuchtet.

Ingrid van Bergen und Klaus Knaths präsentierten sich in der Münchener Bussi-Bussi-Gesellschaft als perfektes Paar. Kurz vor der Tat waren sie noch gemeinsam in der Stadt unterwegs, nichts deutete auf das hin, was in der Nacht auf den 3. Februar 1977 passieren sollte. Vieles muss im Affekt geschehen sein, aber die Doku "Motiv Eifersucht? Der Fall Ingrid van Bergen" weist darauf hin, dass das Drama durchaus eine Vorgeschichte hatte.

Van Bergen war zwölf Jahre älter als Knaths, das ließ er sie in abfälligen Bemerkungen immer wieder spüren. Sie bezahlte den Großteil der Rechnungen, er hinterging sie wohl mehrfach mit anderen Frauen. Van Bergen wusste davon, erklärt im Film aber auch: "Ich liebte ihn." In der Tatnacht erwartete sie den charmanten Immobilienmakler in ihrer Villa in Starnberg - er kam wieder zu spät, wieder wegen einer anderen Frau, wie van Bergen erfuhr. Gab es ein Motiv? Ja, das gab es.

"Ein großes Theaterstück"

Aber war es Mord, das heißt, hatte van Bergen geplant, ihren Geliebten zu töten? Auch dieser Frage geht die True-Crime-Doku intensiv nach. Die Schauspielerin trank an diesem Abend. Im Film erinnert sie sich, Rotwein aus dem Kühlschrank geholt zu haben. Schon ein Promille Alkohol mindert das Urteilsvermögen eines Menschen spürbar, so erklärt es die Doku. Bei van Bergen wurden für den Tatzeitpunkt etwa zwei Promille errechnet. Zudem nahm sie Valium-Tabletten zu sich - eine "ganz schlechte Kombination", wie eine Rechtsmedizinerin erläutert. Durchaus möglich, dass man dabei in ein "großes Schwarzes Loch" fällt - dass man also nicht mehr weiß, was man tut, und sich hinterher auch nicht daran erinnert.

Die Feststellung der verminderten Schuldfähigkeit, die van Bergen eine härtere Strafe ersparte - sie wird 40 Jahre später in diesem Film mehr oder weniger bestätigt. Eine grundlegend neue Beurteilung des Falles gibt es nicht. Dafür aber deutliche Kritik an den Medien und der damaligen Berichterstattung. "Filmstar erschießt Geliebten" - das war natürlich eine Riesenschlagzeile. Ein "Sensationsprozess ersten Ranges" sei das gewesen, erinnert sich der ehemalige ZDF-Reporter Bernhard Töpper, der seinerzeit an allen fünf Verhandlungstagen vor Ort war. Die Boulevard-Medien schlachteten die Geschichte gnadenlos aus, trugen jedes noch so kleine Detail über van Bergens Liebesleben an die Öffentlichkeit. Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen erklärt, man habe die Schauspielerin der sensationslüsternen Leserschaft "zum Fraß vorgeworfen": "Es war schon ziemlich ekelhaft."

Die Situation auf der Anklagebank meisterte van Bergen, wenn man den Schilderungen von ZDF-Reporter Töpper glaubt, trotzdem erstaunlich souverän. Da sei "ein großes Theaterstück" aufgeführt worden, eine "griechische Tragödie". Die Angeklagte habe gewirkt, "als ob sie das Ganze einstudiert hätte".

"Ich hab' die Waffe geholt und dann ... tja"

Es wird viel rekonstruiert, viel nacherzählt und vieles bestätigt, das man schon wusste über diesen Fall. Trotzdem bleiben Fragezeichen und Raum für Interpretationen. Wenn es denn eine These gibt, die der Film verfolgt, dann ist es diese: Van Bergen hatte nicht den Plan, ihren Geliebten umzubringen - vielmehr wollte sie sich selbst umbringen.

Knaths hatte sie an diesem Abend erneut bitter enttäuscht, obendrein eröffnete er ihr am Telefon vor seiner Ankunft in Starnberg, dass er sie verlassen wolle. Van Bergen verfasste einen Abschiedsbrief an ihre Töchter und rief Knaths' Eltern an - sie sollen sich bitte zukünftig um die Kinder kümmern. Die Psychologin Katinka Keckeis mutmaßt: "Vermutlich steigerte sie sich in die Situation herein. Es fand eine Verengung des Denkens statt. In genau dieser Situation schrieb sie vermutlich auch den Abschiedsbrief. Weil sie sich das Leben nehmen wollte." Der ehemalige Profiler Axel Petermann, der 30 Jahre lang in Mordfällen ermittelte, spekuliert dann über den weiteren Verlauf: "Aus einem angedachten möglichen Suizid kam es zur Tat, zur Tötung von Klaus Knaths, der sie provozierte und somit das Fass zum Überlaufen brachte."

Aber ob alles wirklich so abgelaufen ist? Van Bergen selbst kann die letzten Unklarheiten in dieser Tragödie auch nicht beseitigen und erzählt das, was sie zuvor schon unzählige Male erzählt hat. "Ich hab' die Waffe geholt und dann ... tja." Am Ende des Films blickt die inzwischen 89-Jährige noch einmal zurück auf die Auswirkungen der Starnberger Horrornacht: "Meine Kinder waren allein, die Kinder von ihm hatten plötzlich keinen Vater mehr. Also es hat mein Leben furchtbar beeinflusst in jede Richtung." Zumindest die Richtigkeit dieser Aussage steht außer Zweifel.