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Warum eine Tour-Verschiebung den Radsport retten kann

Egan Bernal hat das Training schon eingestellt. Knapp drei Monate vor dem geplanten Start der Tour de France legt der Titelverteidiger in seiner kolumbianischen Heimat die Füße hoch - vor Monaten wäre das noch undenkbar gewesen.

Die Coronakrise stellt auch den Radsport vor ungeahnte Herausforderungen. Während sich Bernal derzeit "weder physisch noch mental" auf die Arbeit konzentriert, halten sich andere Favoriten auf den Tour-Sieg auf Heimtrainern in Form. Wann sie wieder Rennen fahren? Unklar.

Auch hinter der planmäßigen Austragung der Tour steht weiter ein großes Fragezeichen. Die Organisatoren kämpfen um das Rennen, das am 27. Juni mit dem Grand Depart in Nizza starten soll. Bernal macht sich für eine Verschiebung stark, andere würden zum Schutz der Allgemeinheit eine komplette Absage in Kauf nehmen.

SPORT1 stellt drei Szenarien für die Frankreich-Rundfahrt vor.

ABSAGE

Es ist das derzeit wohl unwahrscheinlichste Szenario. Der Radsport finanziert sich zu großen Teilen durch Sponsoren, und die Tour bietet den Teams eine unerreichte Werbeplattform. "Etwa 60 Prozent der Einnahmen in einer Saison werden durch die Tour generiert", rechnete Vincent Lavenu, Chef des französischen Teams AG2R, vor. Finanzielle Einbußen in dieser Größenordnung wären für den Großteil der Teams kaum zu stemmen.

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"Es wäre eine Katastrophe, wenn die Tour nicht gefahren oder erstmal abgesagt wird", sagte der deutsche Radprofi Emanuel Buchmann. Fahrer wie Buchmann, der in diesem Sommer auf das Tour-Podest fahren wollte, müssten die ohnehin stark beeinträchtigte Saison fast ganz abschreiben. Die Mitarbeiter träfe es noch härter. Wird die Tour abgesagt, "würde das einige Leute arbeitslos machen", sagte der britische Ex-Sieger Geraint Thomas.

Dennoch gibt es Stimmen, die eine Absage zähneknirschend in Kauf nehmen würden. "Wenn man die Tour de France absagen muss, um die Pandemie einzudämmen, ist das die absolut richtige Entscheidung - so bitter das auch für den Einzelnen ist", sagte der deutsche Radprofi John Degenkolb im ZDF.

VERSCHIEBUNG

Um Mechaniker, Köche und andere Mitarbeiter der Teams zu schützen, präferieren viele Fahrer eine Verschiebung der Tour - vorausgesetzt die Pandemie schwächt sich ab. "Es könnte besser sein, die Tour zu verschieben", sagte Bernal.

Ein weiterer Grund: die gestörte Vorbereitung. Die Tour ist für alle nominierten Fahrer der Höhepunkt der Saison, das ganze Jahr ist auf das wichtigste Radrennen der Welt ausgerichtet. Die derzeitige Ungewissheit sowie die öffentlichen Einschränkungen machen gezieltes Training aber unmöglich. "Wir hängen momentan alle in der Luft", sagte Thomas.

Luft hätte der Veranstalter ASO nach der Olympia-Verschiebung bei der Terminfindung. Reizvoll wäre eine Verschiebung - etwa in den August - auch aus folgendem Grund: Nach dem Aus des Giro d'Italia (auf unbestimmte Zeit verschoben) sowie der Sommerspiele (auf 2021) stünde eines der stärksten Fahrerfelder der Geschichte am Start.

START NACH PLAN

Dass der Grand Départ am 27. Juni in Nizza stattfindet, wird angesichts der Ausbreitung des Coronavirus immer unwahrscheinlicher. Und doch gibt es Befürworter, auch, weil die Tour in Frankreich einen besonderen Stellenwert genießt und als Kulturgut gilt.

Die französische Sportministerin Roxana Maracineanu hatte zuletzt etwa eine "Geister-Tour" ohne Zuschauer vorgeschlagen, was der deutsche Ex-Profi Marcel Kittel als "völlig unvernünftig" bezeichnete: "Das hieße ja, wir denken über eine Tour nach, die in einer Zeit durch Frankreich rollen würde, in der sich das Coronavirus noch weiter ausbreiten würde."

Fahrer wie der französische Publikumsliebling Julian Alaphilippe schlossen eine Tour ohne Zuschauer für sich bereits aus.