"Ich träume davon, zufrieden zu sein": Männer sprechen über ihre Magersucht

Markus (32) und Elija (19) wollen wieder gesund werden. Sie sind zwei von nur wenigen Männern, die sich dazu bekennen, magersüchtig geworden zu sein. Im Rahmen von "37°" im Zweiten ließen sie sich knapp ein Jahr lang von der Kamera begleiten.

Essstörungen galten lange als Frauenkrankheit. Das gängige Vorurteil lautete ungefähr so: Es würde vor allem junge Mädchen treffen, die von einer Model-Karriere träumen. Doch die Zahlen sprechen heute eine ganz andere Sprache: Mindestens zehn Prozent der Betroffenen von Magersucht & Co. sind männlich. Zwei von ihnen, der 19-jährige Elija und Markus (32), stellten sich der Kamera von Mirjana Momirovic und Caroline Haertel. In der "37°"-Reihe ist ihr Film über Männer, die magersüchtig sind, am Dienstag, 21. Januar, um 22.15 Uhr, zu sehen. Der Bericht der beiden Autoren zeigt mitunter erschütternde Bilder. Doch weckt er auch Hoffnung.

Markus sitzt an einem Strand. Möwen lärmen. Doch der 32-Jährige ist gut drauf: "Von der Intensivstation, fast tot, bis hier, ja, ist nicht schlecht", sagt er. Im Laufe der Dreharbeiten über die Dauer knapp eines Jahres hat der Student zehn Kilogramm zugenommen - noch unter der Obhut eines Ernährungsberaters. Jetzt wiegt er 66 Kilogramm. Bei einer Größe von 1,94 Metern ist das eigentlich nicht viel. Für Markus aber bedeutet dieses Gewicht alles: Die Zunahme rettete sein Leben.

Nur noch 38 Kilogramm wog der junge Mann, als sein Leben an einem seidenen Faden hing. Die Ärzte gaben ihm eigentlich keine Chance mehr. Nach einem langen Krankenhausaufenthalt in der Uniklinik Bochum und einem Jahr intensiver Therapie in einer Wohngemeinschaft ist er nun in eine Therapiewohnung umgezogen. Dort in Herne alleine zu sein, fällt ihm nicht immer leicht. Er sagt: "Es gibt Tage, da will einfach nur ins Fitnessstudio rennen. Ich habe ja sonst nichts zu bieten, also muss ich wenigstens gut aussehen."

Der Wahn nach einem angeblich perfekten Körper hat sowohl Markus als auch Elija in Essstörungen mit erschreckenden Ausmaßen getrieben. Bei dem Jüngeren, Elija, waren es tolle Videos aus dem Netz, die angeblich körperliche Perfektion mit sehr viel Sport und vorbildlicher Ernährung versprachen. Kaum vorstellbar: Auch bei Markus nahm alles seinen traurigen Lauf, als er mit Ausdauersport begann, um muskulöser auszusehen. Parallel dazu wollte er sich gesünder ernähren. Was als Hobby begann, wurde in kürzester Zeit zu einem Zwang.

"Alle erschießen"

In Momirovic' und Haertels Film lässt Markus frühere Bilder zu, die erschüttern. Sie zeigen einen beinahe bis auf das Skelett abgemagerten jungen Mann. Die Augäpfel stoßen aus den Höhlen hervor. Er wollte athletischer werden, doch damals war er nur noch "Haut und Knochen".

In dieser schlimmsten Zeit des lebensgefährlichen Abmagerns ihres Sohnes erklärt Markus' Mutter, wie sehr auch die Familie gelitten hat. Sätze wie: "Wenn ich damals eine Pistole gehabt hätte, ich hätte uns alle erschossen", schneiden tief ein in diese fesselnde TV-Reportage. Unter Tränen fügt die mitfühlende wie verzweifelte Mutter hinzu: "Ich habe dir ein gesundes Leben geschenkt und Kindheit. Und warum willst du nicht mehr leben?"

Was ist die Antwort darauf, woher rühren Essstörungen, Bulimie oder Magersucht bei den Betroffenen? Sei es nun bei Frau oder Mann? Es heißt, mehrere Faktoren spielten eine Rolle: Gene, Hormone, psychische Probleme und gesellschaftliche Einflüsse. Es kommt wohl immer einiges zusammen. Aber selbst die Wissenschaft ist sich darüber nicht einig.

Auch der schwer betroffene Markus kann da keine Antwort geben. Am Strand sitzend, mit nunmehr 66 Kilogramm auf den Rippen, erklärt er: "Ich träume davon, zufrieden zu sein." Viele Menschen wollen das. Und die Möwen kreischen.