Eine der bittersten Tragödien Sport-Amerikas
New York City, der 17. Juni 1986: Es ist ein sonniger Frühsommertag in Manhattan - an dem eine große Sportkarriere ihren Anfang zu nehmen scheint.
Beim NBA Draft im Felt Forum, einem Nebenraum der berühmtesten Sportarena der Welt, verstärkt sich Rekordmeister Boston Celtics an Position 2 mit einem jungen Mann, der als eines der heißesten Basketball-Talente seiner Generation gilt: Len Bias.
Ein Scout der Celtics, der ihn intensiv beobachtet hat, vergleicht den 22 Jahre jungen Small Forward mit einem anderen Jungstar namens Michael Jordan. Fans und Vermarkter träumen schon von einer Rivalität, die die NBA in ähnlicher Weise prägen könnte wie die zwischen Magic Johnson und Larry Bird - dem prominentesten neuen Teamkollegen von Bias.
Zwei Tage jedoch, nachdem NBA-Commissioner David Stern den aufgehenden Stern in seiner Liga begrüßt hat, ist Len Bias tot.
Len Bias‘ Tragödie erschütterte ganz Amerika
Die Tragödie um das unvollendete Supertalent - das heute 60 Jahre alt geworden wäre - erschütterte am 19. Juni 1986 Sport-Amerika.
Und ähnlich wie fünf Jahre später die Enthüllung der AIDS-Erkrankung von Magic Johnson hatte die Bias-Tragödie auch weitreichende Folgen für das gesamte gesellschaftliche Leben in den USA.
Nicht sehr positive, in diesem Fall.
Am College toppte er auch Michael Jordan
Leonard Kevin Bias, geboren am 18. November 1963 in Landover nahe der US-Hauptstadt Washington, war in seiner nach College-Sport verrückten Nation schon vor seiner Ankunft in der NBA ein Star.
An der University of Maryland, bei den Maryland Terrapins, bestach der robuste 2,05-Meter-Mann mit seiner enormen Dynamik, seiner atemberaubenden Sprungkraft und seiner hohen, kreativen Spielintelligenz. Bias galt als der kompletteste Forward seines Jahrgangs.
Die Vorstellung, dass er eines Tages mit „His Airness“ um Meister- und MVP-Titel konkurrieren können würde, schürte auch ein direktes Duell mit dem jungen Jordan im Jahr 1983: Der 19-jährige Bias führte die Terrapins damals zu einem 106:94-Sieg gegen die University of Carolina, den damaligen College-Meister um den jungen „MJ“.
Die NBA-Karriere wollte Bias - abseits des Courts ein künstlerisch interessierter Junge mit Faible für Mode und Innenarchitektur - trotz der Vorschusslorbeeren behutsam angehen.
In einem kurz nach dem Draft geführten Interview bekundete Bias noch seine Vorfreude, sein Können im Windschatten des etablierten Starensembles mit Bird, Kevin McHale und Co. weiter zu verfeinern: „Ob ich spiele oder nicht, ich werde von ihnen viel lernen.“ (Larry Bird: Der Ursprung der ikonischen Karriere war eine Tragödie)
Eine verhängnisvolle Partynacht an seiner alten Uni verhinderte es.
„Es darf doch nicht sein, dass er stirbt“
Zwei Tage nach dem Draft traf sich Bias am Maryland-Campus mit einer Gruppe von Freunden, um seinen großen Karriere-Schritt zu feiern. Die Requisiten für die Festlichkeiten in den Schlafräumen: ein Sixpack Bier, eine Flasche Cognac - und Kokain.
Brian Tribble, ein Studienabbrecher, der mit Bias befreundet geblieben war, hatte die Drogen organisiert. Die meisten, die Bias kannten, versichern, dass er in dieser Hinsicht keine Vorgeschichte hatte, die Aufputschsubstanz an diesem Abend wohl das erste Mal ausprobiert hatte.
Das Resultat: Der von einer Überdosis Koks und viel Alkohol in einen Dämmerzustand versetzte Bias bekam akute Herzrhythmusstörungen, erlitt einen Anfall - und einen Herzstillstand.
„Es ist Len Bias. Ihr müsst ihn wiederbeleben. Es darf doch nicht sein, dass er stirbt“, zitiert die BBC in einem fulminanten Feature über die Tragödie aus dem Notruf, den Freund und Dealer Tribble frühmorgens gegen 6.30 Uhr absetzte.
Len Bias konnte nicht wiederbelebt werden.
Bias‘ Tod beförderte „Krieg gegen Drogen“ - mit zwiespältigen Folgen
Die öffentliche Anteilnahme nach Bekanntwerden von Bias‘ Tod war riesig: Mutter Lonise bekam persönliche Beileidsbekundungen von Michael Jordan, Larry Bird, Magic Johnson, von George H.W. Bush, dem Vizepräsidenten und späteren Präsidenten des Landes. Der schockierende Tod der jungen Sporthoffnung wurde allerdings auch zu einem Politikum.
Bias‘ Schicksal schürte die Ängste und Sorgen vor dem zunehmend zerstörerischen Einfluss von Kokain und anderen Drogen, die sich damals epidemieartig verbreiteten - und war neben anderen Faktoren ein nicht unwesentlicher Katalysator für den „War on Drugs“ und die drakonischen Gesetzesverschärfungen in der Ära des damaligen Präsidenten Ronald Reagan.
Ein hochumstrittener Schwerpunkt der damals aus allen politischen Lagern unterstützten Initiativen waren lange Haftstrafen für Drogendealer und auch -konsumenten. Ein Gesetz, das eine Mindeststrafe von 20 Jahren für die Weitergabe von Drogen mit Todesfolge einführte, wurde bekannt als „Len Bias Law“.
Das erklärte Ziel der Abschreckung erreichten die Gesetze nicht, im Gegenteil: In den zehn Jahren nach Bias‘ Tod verdoppelte sich stattdessen die Zahl der Gefängnisinsassen in den USA. Dem gesellschaftlichen Frieden diente das nicht, die Law-and-Order-Politik wird zudem auch oft als strukturell rassistisch kritisiert: Die Gesetze bestraften den Umgang mit der bei Schwarzen stärker verbreiteten Billigdroge Crack härter als den mit Pulver-Kokain und anderen „weißen“ Drogen.
Ins Visier der Strafjustiz geriet auch Brian Tribble: In einem Strafprozess um seinen Beitrag zu Bias‘ Tod wurde der Dealer-Kumpel zwar freigesprochen, vier Jahre später aber wegen Kokainhandel im großen Stil zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Auch Bias‘ kleiner Bruder wurde jung aus dem Leben gerissen
Die Tragödie um Bias sollte nicht der einzige Schicksalsschlag bleiben, von dem seine Familie heimgesucht wurde: Vier Jahre nach Len Bias starb auch sein jüngerer Bruder Jay jung. Im Alter von nur 20 Jahren wurde er bei einem „Drive-by Shooting“ aus einem Autofenster erschossen - der Täter hatte sich zuvor mit ihm gestritten, weil Jay mit seiner Frau geflirtet haben soll.
Aufgrund der Bekanntheit Bias‘ erregte auch der Tod des Bruders und der anschließende Mordprozess nationale Aufmerksamkeit.
Drogen, Kriminalität, laxe Waffengesetze, Rassismus, gesellschaftliche Spaltung: Die Bias-Brüder wurden zu Symbolfiguren für viele der Probleme, die Amerika bis heute beschäftigen - die Erinnerung an sie wird auch wachgehalten von den Eltern Lonise und James, die infolge der Todesfälle zu engagierten Aktivisten gegen Drogen und für Waffenkontrolle wurden.
Len Bias, ihr verlorener Sohn, der eigentlich Michael Jordan Konkurrenz machen hätte sollen, liebt begraben auf dem Lincoln Memorial Cemetary in Suitland, Maryland.